Janine Wissler, bis vor wenigen Tagen Mitglied der trotzkistischen Gruppe Marx21, kandidiert für den Parteivorstand der LINKEN. Gegenüber der ZEIT erklärte sie jetzt ihren Austritt: „Ich bewerbe mich als Parteivorsitzende, da ist es üblich und richtig, die Unterstützung und Mitgliedschaft in innerparteilichen Strömungen und Zusammenhängen zu beenden“, sagte Wissler ZEIT ONLINE. „Das gilt in meinem Fall für die Sozialistische Linke, die Bewegungslinke und Marx21.“
Selbst wenn sie erklärt hätte, dass sie die politischen Grundsätze der trotzkistischen Gruppe nicht mehr teile, müsste man die Frage stellen, ob sich Haltungen von einem Tag auf den anderen radikal ändern und ob der Austritt aus einer Gruppe gleichbedeutend mit einer überzeugenden inneren Abkehr sei. Aber Wissler hat sich ausdrücklich nicht von den Inhalten, die diese Gruppe vertritt, distanziert.
Wenig kann man in den Medien auch über das Thema „Entrismus“ lesen, dabei ist eine Kenntnis dieser trotzkistischen Taktik entscheidend ist, um Janine Wissler zu verstehen. „Entrismus“ ist ein anderes Wort für „Unterwanderung“ und wurde schon in den 20er Jahren von Trotzkisten in der SPD und der französischen sozialdemokratischen Partei angewandt. 1934 trat beispielsweise auf einen Ratschlag Leo Trotzkis die Mehrheit der französischen Trotzkisten in die sozialdemokratische SFIO ein, um diese zu unterwandern. Diese Taktik verfolgen die Trotzkisten auch mit der Zielrichtung der LINKEN, und die Wahl von Wissler wäre die erfolgreiche Krönung.
FAZ zu Wissler: „Links mit Format“
Die FAZ bringt am 10. September einen großen Artikel unter der positiven Überschrift „Links mit Format“.
In dem Artikel heißt es, auch wer Wisslers Positionen nicht teile, werde den Abschied der Fraktionschefin der Linken im Hessischen Landtag „bedauern“. Unbestreitbar besitze sie „das nötige Format für die nationale Ebene der deutschen Politik“, mit ihrem rhetorischen Talent sei sie ein „Ausnahmetalent“. „Fast möchte man sie als Schaf im Wolfspelz bezeichnen – wenn sie nicht so schlau wäre“, so die FAZ. Soll heißen: Sie ist im Kern friedfertig und gut und wirkt vielleicht nur nach außen anders. Aus dem Wolf im Schafspelz macht die FAZ ein Schaf im Wolfspelz.
Und was ist mit ihrer Mitgliedschaft in der trotzkistischen Gruppe? Auch dazu hat die FAZ eine verharmlosende Erklärung: „Viele Zitate aus der Programmatik des trotzkistischen Netzwerkes wurden ihr in den zurückliegenden Tagen vorgehalten. Darin wird in erstaunlicher Klarheit eine tiefe Verachtung von demokratischen Regeln und Institutionen zum Ausdruck gebracht. Doch hat Wissler die Theorien der Ultralinken nie besonders ernst genommen.“
Aha, Wissler war bis vor wenigen Tagen Mitglied einer Gruppe, die sich an den bolschewistischen Revolutionären Lenin und Trotzki orientiert. Aber, Schwamm drüber, ist nicht so schlimm. Erstens ist sie ja ausgetreten und zweitens hat sie das alles sowieso nie ernst genommen. Belege? Keine.
Wie wäre die Reaktion, wenn bekannt würde, dass ein AfD-Mitglied viele Jahre in einer offen rechtsextremistischen Gruppierung Mitglied war und jetzt ausgetreten ist? Hieße es dann auch: „Naja, der ist ja ausgetreten und außerdem hat er die rechtsextremistischen Theorien sowieso nie ernst genommen.“
Man reibt sich die Augen: Kein einziges Medium bringt ein Interview mit Wissler, in dem sie direkt gefragt wird, wie sie es heute mit Lenin und Trotzki hält. Ich würde gerne ein Interview lesen, in dem sie mit dieser Frage konfrontiert wird – geführt von einem Journalisten, der kritisch genug ist, sich nicht mit Ausflüchten und Gemeinplätzen zufrieden zu geben.
Hennig-Wellsow – Lanz fragte nicht nach
Wirklich kritische Nachfragen sind jedoch selten, wenn es um die Linke geht. In Erinnerung geblieben ist ein denkwürdiger Auftritt von Susanne Hennig-Wellsow am 12. Februar 2020 bei Markus Lanz. Hennig-Wellsow wurde bekannt, weil sie nach der Wahl von FDP-Mann Thomas Kemmerich in Thüringen dem soeben gewählten Ministerpräsidenten einen Strauß Blumen vor die Füße warf. Neben Wissler ist sie die zweite Kandidatin für den Parteivorsitz der LINKEN. Ihr intellektuelles Niveau wird in diesem Dialog deutlich:
„Wenn ich Ihnen erzählen würde, wie die AfD im Thüringer Landtag unsere Abgeordneten bedroht. Immer in Situationen, in denen niemand dabei ist, wo es immer perfide ist. [Markus Lanz: Können Sie mal ein Beispiel geben?] Es ist einfach Fakt, dass die AfD faschistische Methoden anwendet. Zwei Beispiele: Das eine: wir haben eine junge Abgeordnete, die war neulich im Fahrstuhl, dann kam eine Reihe von AfD-Abgeordneten in den Fahrstuhl hinein und stellten sich so [zeigt vor die Nase] mit ihren Gesichtern vor sie und grinsten sie an und hörten nicht auf. Eine Situation, aus der sie nicht herauskommen konnte. Das andere Beispiel ist das extreme Gegenbeispiel, aber auch das eine Methode der Nazis: Übertriebene Freundlichkeit. ‘Gehen Sie doch mit uns Kaffee trinken’, ‘Sollen wir Sie nicht da und dort mitnehmen und fahren’ und so weiter. Ich selbst wurde neulich von einem AfD-Abgeordneten bedrängt, der körperlich meinen Weg begleiten musste. Ich will damit nur sagen, das ist keine bürgerliche Partei und das kann man schon wissen, wenn man nur Björn Höcke zuhört.“
Warum fragte Lanz eigentlich nicht kritisch nach: „Übertriebene Freundlichkeit und die Einladung auf einen Kaffee – sind das wirklich typische Nazi-Methoden? Bedeutet das nicht eine Verharmlosung von wirklich faschistischen Methoden?“
Zur Erinnerung: Lanz hatte nach Beispielen für die Bedrohung von Abgeordneten der Linken gefragt. Statt kritisch nachzuhaken, ob denn eine Einladung zum Kaffee wirklich eine Bedrohung sei, nickte er nur und schien zufrieden mit der Antwort. So wie Lanz unlängst nicht nachfragte, wen Grünen-Chefin Annalena Baerbock denn gemeint hat, als sie im Gespräch mit ihm behauptete, fast wäre ein Nazi Ministerpräsident von Thüringen geworden.
Dabei hat Lanz sonst schon hundertfach bewiesen, dass er gekonnt und kritisch nachfragt und nachhakt – so lange, bis es weh tut. Aber wehtun wollte er an diesem Abend offenbar der Frau mit dem Blumenstrauß nicht.
Warum schonen die Medien die Linke?
Ich glaube nicht, dass die meisten Journalisten der LINKEN nahe stehen. Aber ich bin sicher, dass nicht wenige Journalisten eine Grün-rot-rote Bundesregierung favorisieren. Das ist der Grund, warum die LINKE verharmlost und die „Aktion Nebelkerze“ der SPD nicht aufgedeckt wird. Was ich damit meine: Es ist doch ganz offensichtlich, dass mit Olaf Scholz ein Kanzlerkandidat vorgeschickt wird, dessen ausschließliche Funktion die Wählertäuschung ist. Eine radikal nach links gerückte SPD, in der die Meinungen von Kevin Kühnert und Saskia Esken dominieren, kann keine Stimmen ehemaliger Merkel-Wähler holen. Deshalb inthronisiert man jemanden als Kanzlerkandidaten, der „bürgerlich“ erscheint, ganz nach dem Vorbild der Demokraten in den USA, die Biden vorschicken, weil sie glauben, dieser könne eher ehemalige Trump-Wähler herüberziehen als die Linksaußen-Politiker Bernie Sanders oder Elizabeth Warren.
Dass die LINKE jetzt freilich ein Duo aus einer Trotzkistin und einer unsympathischen radikalen Linken auf das Schild heben wird, hat im Vergleich zur SPD in der Tat etwas Ehrliches: Personen wie Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht, die als Sympathieträger galten, waren gefährlicher als die unsympathische Hennig-Wellsow und die Trotzkistin Janine Wissler. Umso erschreckender ist, dass beide jetzt in den Medien so positiv dargestellt werden. Das NEUE DEUTSCHLAND jubelt schon: „Zwei Frauen, deren Namen bereits einen guten Klang haben in der Partei wie in der Öffentlichkeit.“