Die Lage auf Lesbos ist nach dem Brand des Lagers Moria nach allen Seiten blockiert. Weder das Aus- noch das Inland werden sich einig, was zu tun ist. Griechische Polizisten blockieren noch immer die Straße zwischen dem Dorf Moria und der fünf Kilometer entfernten Hauptstadt Mytilini. Dorthin sollen die Migranten keinesfalls gelangen. Man befürchtet eine Weiterverbreitung des Coronavirus. Auch Tränengas kam nun zum Einsatz, da einige jugendliche Migranten versuchten, dennoch in die Inselhauptstadt zu gelangen und die Beamten mit Steinen bewarfen.
Zu allem Überfluss teilte Regierungssprecher Stelios Petsas mit, dass die Migranten auf keinen Fall die Insel verlassen dürften. Das sähe er offenbar als Belohnung für ihre strafwürdige Brandstiftung an. Doch für 165 Minderjährige wurde bereits eine Ausnahme gemacht. Per Flugzeug kamen sie nach Thessaloniki – und sind damit dem Ziel ihrer Wünsche (dem dauernden Aufenthaltsstatus in der EU) vermutlich einen Schritt näher gekommen. 240 weitere sollen folgen. Daneben ist offenbar davon auszugehen, dass alle Migranten aus dem Lager und dem umgebenden ›Dschungel‹ ein neues Obdach brauchen werden. Durch fortgesetzte Feuer werden auch die provisorischen Zelte immer weiter abgebrannt. Der Großbrand scheint für manche ein Erfolgsrezept zu sein.
Bürgermeister Kytelis: Lesbos ist nun selbst unglückselig geworden
Bürgermeister Stratis Kytelis stellte an der Straßenblockade bei Moria fest, dass die Einwohner von Mytilini und der umliegenden Dörfer das Gefühl der Sicherheit eingebüßt haben und die bisherige Lage nicht mehr ertragen können. Konkret befürchtet Kytelis die Verbreitung des Coronavirus auf der Insel, schon jetzt müsse man durch die Bewegungen und die Durchmischung der Migranten aus dem Lager von weiteren Ansteckungen ausgehen. Dass es mehr als nur 35 Fälle unter den einstigen Lagerbewohnern gibt, glaubt auch der Gouverneur der Nordägäis Kostas Moutzouris, der sich selbst gerade in vorsorglicher Quarantäne befindet; er hatte einen infizierten Regierungsbeamten getroffen.
Derzeit unterhält die Stadt Mytilini, was angesichts des aufsehenerregenden Großlagers Moria gerne übersehen wurde, noch fünf weitere Aufnahmeeinrichtungen, die zum Teil in der Hauptstadt selbst liegen. Bürgermeister Kytelis hält das, angesichts der explosiven Sicherheits- und Gesundheitslage, nicht mehr für tragbar.
Inselgouverneur Kostas Moutzouris ließ am Mittwoch keinen Zweifel daran, dass es sich um einen »organisierten Plan zur Brandstiftung« gehandelt habe. Daneben wollte er nicht ausschließen, dass auch NGOs oder ausländische Agenten für das Feuer verantwortlich sein könnten: »Wir erhalten laufend Informationen, die darauf hindeuten.« Laut Moutzouris befinden sich die Inseln der Nordägäis im Visier der Türkei, und in den Lagern befänden sich Menschen, die auf der Seite der Türkei stehen und Ereignisse zu deren Gunsten auslösen wollen. Sie müssten von den Inseln verschwinden. »Die Regierung muss Maßnahmen ergreifen. Wir wollen keine Besuche von Ministern mehr, sondern Maßnahmen.«
Moutzouris hatte schon vor Monaten darauf hingewiesen, dass die Nordägäis mit Inseln wie Lesbos, Chios und Samos und tausenden Migranten in diversen Lagern ein Pulverfass sei, das jederzeit in die Luft gehen könne. Seine Worte haben sich nun bewahrheitet. Als Konsequenz bleibt Moutzouris bei seiner Forderung aus dem Frühjahr, dass es keine neuen Aufnahmeeinrichtungen auf den Inseln geben dürfe. Das dürfte würde allein schon der Widerstand der einheimischen Bevölkerung verhindern. Ein neues »Moria« dürfe es nicht geben, schrieb auch eine Nachrichtenseite von der Ägäisinsel Limnos.
Im Gespräch mit Skai 100,3 blieb Moutzouris jedenfalls dabei, dass Schiffe und unbewohnte Inseln eine Lösung darstellen könnten. Auch der Radiosender selbst gehöre doch einem großen Reeder. Vielleicht ließe sich ja da etwas machen, ließ er etwas provokativ einfließen.
Die Athener Regierung einmal mehr zwischen den Fronten
Adonis Georgiadis, Minister für Aufschwung und Investitionen und lautstarker Rechtsausleger der Regierung, forderte die sofortige Abschiebung der Täter, gleich ob sie einen Asylgrund hätten oder nicht. Die Schuldigen an dem Großbrand verdienten kein Asyl mehr in Griechenland. Einen Teil der Schuld sucht allerdings auch Georgiadis bei den Anwohnern, die die Errichtung »geschlossener Einrichtungen« durch ihren Widerstand verhindert hätten: Niemand, und schon gar nicht die Regierung, habe doch einen Bürgerkrieg auf Lesbos und Chios provozieren können, doch darauf wäre es hinausgelaufen, wenn man die geschlossenen Zentren gegen den Willen der Bürger errichtet hätte.
unruhestiftenden Asylbewerber, andererseits gebe es auch ein Problem mit den örtlichen Behörden und den Einheimischen, die gegen die Errichtung neuer Asylunterkünfte auf Lesbos sind. Die Regierung rettet sich an dieser Stelle in Floskeln von »öffentlicher Gesundheit, Menschlichkeit« und »nationaler Sicherheit«. Alle diese Argumente sollen in die Richtung neuer »geschlossener« Aufnahmeeinrichtungen weisen, für die sich dennoch kein Insulaner erwärmen kann.
Neue Feuer und raunende Kommentare
Am Mittwoch und Donnerstag wurde praktisch laufend von immer neuen Bränden berichtet. Am Donnerstagmittag konnte der Fernsehsender Star eine der Brandstiftungen sogar live in einer Nachrichtensendung bringen: Migranten setzten demnach ein Zelt und trockenes Gras in Brand, bevor sie vom Ort des Geschehens flohen. Das geschehe laufend so, berichtete der Reporter. Das Lager Moria soll es nach dem Willen seiner Bewohner nicht mehr geben.
Auch deutsche Politiker und Kommentatoren geben sich raunend-ratlos, was den Weitergang der Dinge nach dem Brand angeht. Die deutsche Familienministerin Franziska Giffey erklärte bei ntv, dass Kommunen, die Menschen aus Moria aufnehmen wollen, endlich auch dürfen sollten. Die Haltung der deutschen Sozialdemokratie sei »sehr klar«: Eine europäische Lösung unter Einbezug der Kommunen muss offenbar her. Kommentator Christian Jakob meinte in der taz zu den griechischen Inseln: »In den Lagern dort darf niemand bleiben müssen.« Andere meinen, dort müsse keiner bleiben dürfen. Man wird sich nicht einig. Ein großes »Nein« ist der Konsens, in dem alle zusammenfinden.