Wer sich an ihn erinnert, der weiß, dass Oskar Lafontaine ein begnadeter Wahlkämpfer war. Bei öffentlichen Auftritten auf Marktplätzen für die SPD und später die Linkspartei war der Saarländer in seinem Element. Der politische Ziehvater von Heiko Maas, Ministerpräsident und Bundesfinanzminister a.D., ehemalige Chef einer damals noch großen Volkspartei (SPD) und später Chef der Linkspartei, und schließlich Ehemann der linken Ikone a.D. Sahra Wagenknecht könnte es nun ruhiger angehen lassen, er hat es schließlich auf der bundesdeutschen Politbühne wie kaum ein anderer krachen lassen. Ein Gigant. Und immer einer der lauten Töne.
Aber Lafontaine ist kein Politrentner, der sich nur mit launigen Erinnerungen durch Talkshows reichen lässt. Nein, Lafontaine beißt und bellt. Er wedelt selten. Und er lässt kein gutes Haar an fast niemandem. Aktuell wird ein Facebook-Posting von ihm (Stand 07. Sept., 10:40 Uhr) 2238 mal geteilt, 644 mal kommentiert und 3.716 mal mit Daumen hoch versehen. Titel: „Pharisäer und US-Marionetten“ und gemeint sind unter anderem Friedrich Merz, Katrin Göring-Eckardt und Außenminister Heiko Maas. Der Vorwurf an sie und weitere bundesdeutsche Politiker könnte härter nicht formuliert sein: „Immer wenn es darum geht, die Vorgaben der US-Verbrecherclique in der deutschen Politik zu erfüllen, treten die bekannten US-Marionetten auf den Plan“, schimpft – nein schreit – der Ex-Minister.
Maas und Co seien laut Lafontaine „Einflussagenten“, ebenso wie Röttgen, Wadepuhl (CDU) und Lambsdorff (FDP), aber auch Bütikofer, Baerbock und Özedmir (Grüne) wären solche „Pharisäer und US-Marionetten“. Nur die Linken und die AfD spart er aus.
Mal davon abgesehen, dass sich hier möglicherweise die (nach Lafontaines Rücktritt als Bundesminister) alte Feindschaft zwischen Schröder und Lafontaine aufgelöst haben könnte, verwundert Göring-Eckarts Haltung tatsächlich mindestens in sofern, als ihre Lautstärke immer deutlich zurückgeht, wo es beispielsweise darum ginge, Angela Merkel bzw. die Union als zukünftige Wunschpartnerin zu kritisieren beispielsweise für die Zusammenarbeit mit Erdogan. Da geht es über ein par geräusperte Kritiken nicht hinaus.
Lafontaine geht in seinem Facebook-Posting aber noch weiter auf die Grünen los: Insbesondere kritisiert er die gerade beendete grünen Klausurtagung, auf der die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright zu Gast war, die laut Lafontaine „mit ihrem berüchtigten Satz zum Tod von 500.000 Kindern im Irak durch die US-Sanktionen („Wir glauben, es ist den Preis wert“) die menschenverachtende Politik der US-Verbrecherclique aller Welt vor Augen geführt hat.“
Lafontaine empfiehlt den Grünen rückwirkend besser Jimmy Carter (heute 95) eingeladen zu haben. Der nämlich hätte über die US-Politik gesagt, die USA seien „eine Oligarchie mit grenzenloser politischer Bestechung“. Also ganz nach einem Venceremos-Geschmack von Lafontaine hoch gewürgt aus dem 1970er Jahren. Damals wollte Lafontaine allerdings noch zu den Etablierten gehören.
Lafontaine empfiehlt den Grünen und explizit Göring-Eckardt, ihre Kritik an Nordstream 2 umzuleiten auf eine, die sich einmal beschäftigt mit der Zusammenarbeit von Joschka Fischer mit der ehemaligen US-Außenministern in der Albright-Group. Nicht Schröder, sondern Fischer solle sich doch bitte entscheiden, ob er auf der Seite der „Demokratie und der Menschenrechte steht“.
Zu den Reaktionen auf das mutmaßliche Attentat auf Alexei Nawalny zetert Lafontaine: „Wenn man sich die Einlassungen der US-Marionetten an diesem Wochenende zu Nawalny anhört, so muss man sich fragen, ob diese Leute blind, dumm oder gekauft sind.“ Dazu passt dann möglicherweise eine aktuelle Schlagzeile der Welt: „Das auffällige Schweigen des Donald Trump zum Fall Nawalny.“
Selbstredend spielt Lafontaines Beschimpfung der US nicht nur Traditionslinken in die Hände, sondern auch der alten Rechten, die im Gegensatz zur Neuen Rechten eine fundamentale US-Kritik immer in ihrem Köcher mitführte, mitunter noch im Duett mit einem mehr oder weniger verkappten Antisemitismus.
Die Grünen haben ihren außenpolitischen Gründungsmythos der Solidarität mit den angeblich von den USA unterdrückten lateinamerikanischen „Befreiungsbewegungen“ spätestens mit Joschka Fischer als Außenminister abgelegt, als der den Grünen das Che-Guevara-Plakat von der Wand riss. Aber eigentlich waren die Grünen schon auf US-Kurs, als Kelly und Bastian kurz vor dem ersten Einzug in den Bundestag ihren Antrittsbesuch in den USA machten.
Lafontaine ist laut. Er zerschlägt Porzellan wie ein tobender Elefant. Alte Freund- und Seilschaften scheinen ihm nichts wert. Aber ist das nun sympathisch oder eher doch nicht?