Der tägliche Überlebenskampf gegen den todbringenden Klimawandel erfordert entschlossene, konsequente, ehrgeizige Maßnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen. Die überzeugende und kluge Politik der Bundesregierung stellt mit dem Kohleausstiegsgesetz die Weichen (Formulierung kann Spuren von Ironie enthalten). Nun geht es auf zum Abschalten und vielleicht schaltet man die modernsten Anlagen zuerst ab. Genau dies regt das Gesetz an.
Wahnsinn mit Methode
Am 1. September startete entsprechend der Festlegungen des Kohleausstiegsgesetzes die erste Ausschreibungsrunde zur Stilllegung von Steinkohlekraftwerken. Für 4.000 Megawatt vorfristiger Abschaltung in 2021 winken Entschädigungen. Das Prinzip soll Unternehmen animieren, Steinkohlekraftwerke möglichst frühzeitig stillzulegen. Die Entschädigungshöhe liegt in dieser ersten Runde bei stolzen 165.000 Euro pro Megawatt (§ 19).
Für einige Schlagzeilen, vor allem im Norden, sorgte die Ankündigung Vattenfalls, sich mit dem nur fünf Jahre alten und entsprechend modernen Kraftwerk Hamburg-Moorburg an der Ausschreibung zu beteiligen. Bei 1.640 Megawatt installierter Leistung gäbe es einen stattlichen Betrag, um die 270 Millionen Euro. Was treibt Vattenfall? Das Kraftwerk Moorburg wird schon seit seiner Projektphase als „umstritten“ bezeichnet. Das ist die mediale Sprachregelung, um etwas negativ zu stigmatisieren.
Vattenfall baute als Ausgleichsmaßnahme unter anderem eine –zig Millionen teure Fischaufstiegstreppe in Geesthacht, weitab vom Kraftwerk Moorburg. Es gab mehrere Gerichtsverfahren gegen die Einschränkungen, die Vattenfall zum Teil gewann, zum Teil verlor. Ein neues Urteil erwirkte der BUND unlängst, wonach Vattenfall kein Wasser aus der Elbe zur Kühlung entnehmen darf. Deshalb muss der im Ursprungsprojekt nicht vorgesehene Hybrid-Kühlturm dauerhaft betrieben werden. Dieser verschlingt für den Betrieb seiner Ventilatoren über 50 Megawatt des selbst erzeugten Stroms und drückt die Wirtschaftlichkeit in den Keller.
Der Einspeisevorrang der „Erneuerbaren“ führte zu geringeren Produktionsmengen, die CO2-Zertifikatepreise stiegen deutlich, vor allem aber die im Projekt vorgesehene und danach verhinderte Wärmeauskopplung ermöglicht keinen wirtschaftlichen Betrieb. Grün-rote Ideologie verhinderte durch die Einteilung in gute und böse Fernwärme den Bau einer Trasse. Bürgerinitiativen argumentierten mit der nötigen Fällung von 500 Bäumen. Die haut man heutzutage locker für eine einzige Windkraftanlage im Wald weg. Das sehen die Hamburger natürlich nicht, sie haben keinen Wald, aber Gesinnung. Nun geht ein Teil der Abwärme über den Kühlturm in die Umgebung, anstelle sie für die Wärmeversorgung zu nutzen.
Lukrative Einnahmen verlor Vattenfall zudem nach einem Volksentscheid zum Rückkauf des Strom-Verteilnetzes durch die Stadt Hamburg im Jahr 2013 („Unser Hamburg – unser Netz“). Der Entscheid ergab 50,9 zu 49,1 Prozent, ein denkbar knapper Ausgang, den Vattenfall klaglos akzeptierte.
Vattenfall-CEO Magnus Hall, ein ehemaliger Manager aus der Papierindustrie, wird den Konzern Anfang nächsten Jahres verlassen („aus persönlichen Gründen“). Das schlechte Konzernergebnis dürfte eine Rolle bei der Entscheidung gespielt haben.
Die Wärmeversorgung Hamburgs indes bleibt im Ungewissen. Das betagte Heizkraftwerk in Wedel in Schleswig-Holstein, ein so genanntes „Adenauer-Kraftwerk“ aus den Sechzigern, bekommt ein Problem mit der Einhaltung der Emissionsvorgaben. Es versorgt den Westen Hamburgs und bleibt vorerst unabschaltbar. Ein Konzept für die Wärmeversorgung der Metropolregion gibt es bislang nicht. Die „Erneuerbaren“ sollen es richten. Daran arbeiten subventionierte Netzwerkprojekte wie „Norddeutsche Energiewende – NEW 4.0“ und künftig auch ein „Norddeutsches Reallabor“. Ziel ist, Großtechnologien wie Wasserstoff-Elektrolyseanlagen, Energiespeicher und aufwendige Steuerungssysteme für die Energieversorgung zusammenwirken zu lassen. Abwärme aus der Industrie, Wärmepumpen und Wärme aus Müll sollen die Lücken füllen, aber ohne ein neues Gaskraftwerk in Wedel oder Stellingen wird es wohl nicht gehen.
Nicht nur der Ersatz der Wärmeerzeugung, auch der Ersatz der Stromproduktion ist weitgehend offen. 2021 wird das Kernkraftwerk Brokdorf an der Unterelbe, mit 1.480 Megawatt etwa in der gleichen Größenordnung wie Moorburg, vom Netz gehen. Die Großregion Hamburg stellt eine große Lastsenke dar mit bedeutenden Unternehmen wie dem Hafen, den Metallstandorten Aurubis, Arcelor Mittal und Trimet sowie Airbus, alles Kunden mit einem besonders hohen Strombedarf. Insgesamt ist es das größte zusammenhängende Industriegebiet unseres Landes.
Umweltsenator Kerstan von den Grünen freut sich über die mögliche Stilllegung als großen „Klimaschutz-Schritt“. Es ähnelt der Freude von Schulkindern über Unterrichtsausfall, auch sie können noch nicht realisieren, dass er schadet. Das Kraftwerk sei „nicht mehr systemrelevant“ und es gäbe bessere Alternativen. Welche das sein sollen, sagt er nicht. Der Standort wäre ideal für die Produktion grünen Wasserstoffs. Ein Standort, der bisher viel Strom erzeugte, soll zu einem Standort werden, der viel Ökostrom verbraucht, der wiederum eben jenen entfallenden Kohlestrom auch ersetzen soll. Kaum anzunehmen, dass Herr Kerstan einen Taschenrechner bemühte, um die Netzsituation in Norddeutschland durchzurechnen. Für wen die Welt ausschließlich aus Klimaschutz besteht, der ignoriert alles andere.
Aber Klimaschutz kann man nicht essen, diese Erkenntnis muss noch wachsen. Den Schweden kann die Versorgungsicherheit des deutschen Stromnetzes egal sein. Das ist der deutschen Knäckebrot, an dem sie sich die grünen Zähne ausbeißen werden.
Die Bundesnetzagentur wird der Stilllegung des Kraftwerks Moorburg kaum den Zuschlag erteilen. Es dürfte im norddeutschen Netz zu wichtig sein. Kann man dann einen ausländischen Betreiber zwingen, die defizitäre Anlage weiter zu betreiben?
Die letzte Option wäre der subventionierte Weiterbetrieb mit Ausgleich der betriebswirtschaftlichen Verluste. Auch hier würde sich bestätigen, dass die deutsche Energiewende die kostenmaximierte Variante des Umbaus eines Energiesystems ist.
Es wird viel Geld kosten, abzuschalten. Noch mehr wird es kosten, anderes einzuschalten.
Das Kohleausstiegsgesetz reizt an, möglichst neue Anlagen stillzulegen, da sie auf lange Sicht nicht mehr rentabel betreibbar sind. Altanlagen hingegen sind bereits abgeschrieben und stehen ohnehin vor dem Ende ihrer technischen Laufzeit. Deren Weiterbetrieb kann man ohne allzu große Verluste noch ein paar Jahre durch die Rippen schwitzen. Vielleicht steigt der Börsen-Strompreis auch wieder, vielleicht werden sie als systemrelevant erklärt und subventioniert. Der unternehmerische Schaden einer entschädigungslosen Abschaltung hielte sich in Grenzen, während der Weiterbetrieb moderner und großer Anlagen auch über mehrere Jahre keinen Gewinn mehr bringen wird. Nach Kohleausstiegsgesetz erfolgen die Ausschreibungen im Jahreszyklus mit degressiv gestalteten Entschädigungszahlungen.
Umweltsenator Kerstan könnte sich von Spezialisten beraten lassen. Im teuren Hafenviertel sitzt die Zentrale von Greenpeace, der reichen und einflussreichen Organisation, die niemandem verantwortlich ist, aber immer ein paar Ratschläge übrig hat. Ich bin dafür, mutig, entschlossen und ehrgeizig abzuschalten – in Hamburg.