Alexander Wallasch spricht mit einem Aachener Zahnarzt, der zu denen gehörte, die am Samstag am späten Nachmittag den Reichstag „gestürmt” haben, aber nur bis zu den Treppenstufen kamen. Die BILD titelte zu Aufnahmen von drei Polizisten, welche die ungebetenen Reichstagsbesucher vertrieben: „Da sind die drei Helden vom Reichstag“. Das letzte Mal, dass es hier einen Zusammenhang zwischen Reichstag und Heldentum gab, war, als 1945 ein Foto von der Befestigung einer roten Fahne durch sowjetische Soldaten gemacht wurde. Für das Foto wurde diese Szene von den Sowjets ein zweites Mal nachgespielt. Damals gab es noch keine Handys oder soziale Netzwerke.
Warum sind Sie vergangenen Samstag nach Berlin gekommen?
Meine Frau, ein Freund und ich, wir sind nach Berlin gefahren, weil wir am 1. August schon da waren und unbedingt erleben wollten, wie sich diese Bewegung weiter entwickelt und auch, weil wir uns über diese vollkommen konträre Berichterstattung nach dem ersten August geärgert hatten.
Was war Ihre Erwartungshaltung?
Ich wollte Menschenmassen, ich wollte einfach wissen, ob noch mehr Leute da sind und aufgewacht sind als schon beim ersten Durchgang. Da wurde ja phänomenal gelogen. Denn da waren schon mindestens 500.000 da.
Ich habe das durchgezählt, für mich waren das unter einhunderttausend Teilnehmer. Hatten Sie einen anderen Eindruck?
(lacht) Natürlich, ich war ja überall, Sie auch? Nehmen Sie einen Veranstaltungsort, der 20.000 Leute fasst, ich kenne da einen und weiß, wie die Abmarschbewegungen da aussehen, wenn alle auf einmal nach Hause wollen. Und das waren jetzt in Berlin locker zwanzig Mal so viele Leute, also vierhundert- bis fünfhunderttausend Leute.
Wie seid ihr auf der Demo angekommen?
Wir kamen von Osten her und haben uns erst einmal die ganzen klassizistischen Häuser am Wegesrand angeschaut und waren einigermaßen stolz auf unsere Vergangenheit und was heute daraus gemacht worden ist. Unter den Linden sind wir dann direkt abgefangen worden.
Von wem?
Von irgendeinem Ordner, wir sollten die Friedrichstraße nehmen, haben wir aber nicht gemacht.
Ein Order der Querdenker?
Ja, von Querdenken im weißen T-Shirt mit gelber Weste und der Megafon-Ansage: ‚Achtung, Achtung, alle jetzt da rein’ … usw., der hat schon versucht, die Menschen umzuleiten von Unter den Linden Richtung Friedrichstraße.
Wie würden Sie sich politisch einordnen?
Ich weiß, wo ich stehe. Der Break passierte für mich 2009, als der Sarrazin sein Buch herausgegeben hat und wie damit umgegangen worden ist, auch von Seiten der SPD. Damals dachte ich schon: Der Sarrazin hat zwar das falsche Parteibuch, aber mächtig dicke Eier. Bei ihm kann sich jedenfalls keiner beschweren, wenn in zwanzig Jahren das Licht ausgeht. Und da hatte ich den Wahnsinn von 2015 noch gar nicht auf dem Schirm. Das war damals mein Reden. Weil ich weiß, dass, was die Libanesen mittlerweile machen mit ihren Clans, die sind in den 1980er Jahren noch in homöopathischen Dosen zu uns gekommen, das waren wohl so um die zweitausend Leute. Und da braucht man keinen Taschenrechner, auszurechnen, was passiert, wenn eine Millionen Syrer zu uns kommen und sich erst einmal vernetzten.
Aber bleiben wir in der Chronologie der Ereignisse …
Ok, also wir kamen am frühen Vormittag am Brandenburger Tor an und wunderten uns, dass die Polizisten uns nicht durchließen. Das kam einem ja vor, als hätten die die Grenze zwischen Ost und West wieder aufgebaut. Und das vollkommen sinnlos. Auch aus polizeilicher Sicht vollkommen sinnlos.
Was war dafür die Motivation?
Es ging wohl darum, die Leute drinnen zu halten im möglicherweise geplanten Kessel. Mir erschien es so, als ginge es von Anfang an nur darum, die Mindestabstände klein zu bekommen. Die haben dafür semipermeable Grenzen aufgemacht in den Seitenstraßen. Wir haben dann versucht, das zu umlaufen und das auch geschafft: Wir durften rein- aber nicht mehr rausgehen. Irgendwann war mir das zu doof. Und nachdem wir eine halbe Stunde gestanden haben, sind wir ins Museum gegangen.
Welches Museum?
Das deutsche Technikmuseum. Da habe ich festgestellt, wenn die Antifa Arbeitsstunden ableisten muss, dann machen sie das wohl in diesem Museum. Uns hatte dort nämlich einer angesprochen, weil ich hinten noch was von Querdenken angepappt hatte, was dem wohl nicht gefallen hat. Alle zehn Meter kam auch eine Asiatin und meckerte über die Maske, wenn sie nicht genau über der Nase war. Mir rutscht das Ding nämlich immer unter die Nase, dass kenne ich schon von der Arbeit. Alle zehn Meter: „Über die Nase! Über die Nase!“ Das war noch relativ spaßig. Irgendwann kam aber noch einer an und meinte: „Hier keine politischen Symbole!“
Im Technikmuseum wurde Ihnen das Querdenken also untersagt?
Richtig. Als ein Freund dann fragte, wer er denn genau sei, sagte der, er möchte nicht, dass solche Leute, also wir, wüssten, wie er hieße. In einem so unverschämten Ton, dass meine Freundin auch gleich mit eingestiegen ist. Ich habe gesagt, „Wie redest Du denn, du tust ja so, als wärst du bei der Antifa.“ Da sagt der, „Ja, ich bin auch bei der Antifa.“ Da habe ich meinen Mundschutz ausgezogen, auf den Boden geschmissen und gesagt, „Gut, dann lass uns mal reden.“ Dazu kam es dann aber doch nicht.
Und wie ging es weiter?
Wir sind dann beim Brandenburger Tor wieder rein. Und da stand hinter dem Tor auf der Westseite so ein LKW mit Paletten drauf als Bühne, wo die von Querdenken drauf standen und hinterher noch ihre Goa-Party veranstaltet haben. Da hieß es dann auf einmal von oben runter, wir müssten zur Russischen Botschaft, das haben wir dann aber nicht gemacht. Und eine halbe Stunde später wurde aufgerufen, zum Reichstag zu gehen.
Wer rief zunächst zur Botschaft?
Einer von Querdenken, der die Durchsagen gemacht hatte. Der sagte, da würden Leute gebraucht, da gäbe es Gerangel.
Die Offiziellen haben dazu aufgefordert?
Ich meine ja, dass war ja der einzige Wagen dort in diesem Bereich. Es wurde ja nichts weiter reingelassen an Fahrzeugen, war ja alles dicht. Der LKW stand da aber schon seit dem frühen Morgen.
Die haben die Leute dann zur Botschaft geschickt …
Und eine halbe Stunde später zum Reichstag, da würden wir dringend gebraucht. Und dann sind wir halt zum Reichstag gegangen. Aber die Leute, die da mitgingen, die waren mir etwas zu Hardcore mit ihren Reichsflaggen.
Was können Sie über diese Leute sagen?
Ein paar waren wirklich so, dass ich gedacht habe, ne, das sind Agenten oder verkleidete Schauspieler.
Sie kannten niemanden von denen?
Nein.
Jetzt wurde vereinzelt behauptet, die Fahnen seien erst am Reichstag selbst aus Kisten gezogen worden …
Nein, habe ich so nicht gesehen. Die führten die ja schon mit, das war nicht notwendig. Die Polizisten positionierten sich auf dem Rasen vor dem Reichstag, die Panikgitter standen auch schon.
Wieviel Uhr war das?
Etwa eine halbe Stunde vor dem Sturm.
Welchem Sturm?
Na, bevor es hoch ging zum Reichstag, halbe Stunde davor.
War das gegen 17 Uhr?
Ich weiß es nicht mehr. Die Leute jedenfalls gefielen mir nicht. Ich fand das nicht echt. Aber ich bin mitgegangen, weil die ja von dem Wagen herunter dazu aufgerufen hatten. Die Durchsage ging ungefähr so: „Wir werden am Reichstag benötigt.“ Und da sind wir gucken gegangen. Wir standen zunächst seitlich am Reichstag an einer Art doppelt gesicherter Rampe. Was mir übrigens den ganzen Tag schon aufgefallen war, war, das die Polizei scheinbar grundlos mit Blaulicht und Sirene durch die Gegend gefahren ist.
Warum sollten die das tun?
Um die Stimmung anzuheizen? Ich weiß es nicht, jedenfalls vollkommen grundlos. Als wir aus dem Museum kamen, standen in einer Seitengasse Polizeiautos, aber in einer anderen Farbe, in dunkelgrau. Das waren die Autos der härteren Jungs glaube ich, die waren da quasi für später zwischengelagert. Polizei kam auch gemütlich aus den umliegenden Cafes geschlendert, die sind in ihre Fahrzeuge gestiegen, das waren so fünfzehn Mannschaftswagen würde ich schätzen und dann auf einmal, als wir ungefähr am Potsdamer Platz waren, kam die ganze Kolonne mit Blaulicht und Tatütata an uns vorbei geknallt erst nach rechts, Richtung Brandenburger Tor und fünf Minuten später wieder zurück und dann rechts abgebogen, seitlich Richtung Stern. Die sind da vollkommen sinnlos mit Blaulicht und Sirene hin- und her gefahren. Das war schon sehr komisch.
Wie ging es weiter?
Wir waren dann also am Reichstag angekommen und standen rechts an der Rampe. Wir haben dann festgestellt, dass da Gitter aufgestellt waren, Leute nur zum Reichstag rein- aber nicht mehr rausgelassen wurden. Der Reichstag war also für Nachrückende abgeriegelt, wir sind dann durch die Büsche im Tiergarten Richtung Wiese vor dem Reichstag, da ist bei mir nämlich der Sportsgeist geweckt worden. Die Polizei hatte ihre Panikgitter in etwa genau auf der Trennung Wiese zu Kiesel aufgestellt. Die waren aber miteinander verkettet. Wenn da etwas passiert wäre, da wäre niemand gut weggekommen. Das war der ausschlaggebende Punkt für uns, zu den Seiten hin auszuweichen. Dann kam nach und nach immer mehr Polizei.
Warum kam die?
Keine Ahnung. Auch ganz komisch, es war ja noch nichts los, weiter. Aber es würde ein ziemlich übergroßer Schuh daraus werden, bedenk man das uns die Querdenker erst da hingeschickt haben, dass dann die Polizei kam – die Stimmung war zunächst nicht so, dass man etwa annehmen wollte, dass da jemand den Reichstag etwa stürmen wollte.
Sie glauben, das alles war irgendwie inszeniert?
Ich weiß es wirklich nicht, aber es war deutlich sehr merkwürdig in seiner Entstehungsgeschichte, bis da so viele die verbotenen Treppen hoch sind.
Vor dem Reichstag war ja noch eine weitere Bühne, da dachte ich, die hier stehen und zuhören, das sind schon Leute der härteren Gangart. Ich dachte, für diesen Platz sei extra gesorgt worden, um die Reichsbürger und Co von den anderen etwas abzusondern. Jedenfalls ein Magnet für Leute mit diesen Fahnen.
Ihr wart dann also seitlich an der Rampe zum Reichstag.
Genau. Da waren dann auch Polizisten und zwei Reihen Panikgitter. Die erste Reihe habe ich gleich mal abgebaut und dann sind wir das kurze Stück rübergeflankt und hochgerannt. Da kamen uns schon Polizisten entgegen und haben die meisten weggetreten, die dort hinauf wollten.
Was heißt „weggetreten“?
Na, wie beim Baseball, beim Football. Das waren auch nicht viele, manche kamen auch von der Seite. Vorher, unten, da wollten die Leute um mich herum nicht so wirklich, aber als dann das erste Gitter fiel, war es für alle leichter (lacht). Dann kam allerdings die Polizeitruppe, die gegen die normalen Polizisten ausgetauscht wurde. Das schienen mir die Jungs für das Grobe gewesen zu sein. Das war eine spezielle Truppe, die hatten auch immer die blauen Vierecke im Nacken. Die sahen wirklich aus, wie voll mit Drogen und hochrote Köpfe und ich dachte spontan: Mit denen haben sie irgendwas gemacht. Ich habe heute früh spaßeshalber Jemandem geschrieben: Die haben sie danach wieder in den Keller gesperrt um sie erst bei der nächsten Demo wieder raus zu lassen (lacht).
Du stürmtest quasi von der Seite, was passierte derweil im vorderen Bereich?
Da sammelten sich bereits geschätzt zweihundert Leute. Es wurde also voll, von der Seite brauchten wir allerdings etwas länger. Ehrlicherweise wusste ich nicht, dass es von vorne so einfach war, wir hatten von der Seite kommend deutlich mehr Mühe, hinaufzugelangen. Neben mir wurde alles umgehauen, mich haben sie relativ in Ruhe gelassen. Unten vor den Zäunen standen noch weitere hunderte Menschen, die ebenfalls Interesse an einem Selfie mit Reichstag zu haben schienen. Und noch einmal hundert Meter weiter in den Tiergarten rein, standen auch wieder hunderte Leute mehr, aber zwischenzeitlich waren Polizeifahrzeuge in Zweierreihen dazwischen gefahren worden, wohl als Sichtschutz. Dicht an dicht, so, das keiner durchkam.
Aber was wolltet ihr da oben eigentlich?
Da wollte definitiv keiner in den Reichstag hinein, da ging es schlicht wie spontan darum, Teil von etwas Sportlich-abenteuerlichem zu sein und möglicherweise ein Foto als Souvenir mitzubringen. Niemand wollte ernsthaft in den Reichstag oder den gar anzünden. Diese Black-lives-matter-Demos hingegen werden als Persilschein verstanden, alles kaputt zu machen. Das war aber hier einfach nicht der Fall, wir haben ja nicht einmal Müll da gelassen. Ich bin dann aber schnell wieder runter zu meiner Freundin hinter diese eine noch intakte Absperrung. Bei einem wurde beim Abgang auch Pfefferspray oder Reizgas nachgesetzt. Und von den letzten Metern, möglicherweise von einem Schlag, habe ich auch eine Platzwunde am Unterarm. Aber ich war so unter Adrenalin, dass ich das zunächst gar nicht merkte. Aber das könnte schon von einem Polizeiknüppel gewesen sein, anders ist das kaum zu erklären, was da am Aufgang zur rechten Rampe des Reichstags passierte. Ich habe dann noch geschrien, ob sie sich nicht schämen und keine Kinder haben, aber das ist an diesen Vollgepumpten vollkommen abgeprallt.
Was dachten Sie, während das alles passierte?
Ich fand das einfach gut. Ich bin Sportler durch und durch. Dieses Stürmen und da Hochrennen, das empfand ich als Äquivalent dazu, zur Bewegungslosigkeit verurteilt zu sein in diesem Kessel, den sie in der Friedrichstraße gemacht haben. Man muss doch auch mal dahin gehen, wo es ungemütlich werden könnte. Wenn irgendwo Gitter stehen, fühle ich mich innerlich berufen. Da steht ja auch „Dem deutschen Volke“ – und da bin ich dann angesprochen.
Vielen Dank für das Gespräch.