Nein, „Rassist“ reicht nicht mehr. Um den Erfolgsautor zu diskreditieren nennt ihn der NDR in einer aktuellen Sendung “eugenischer Rassist“. Nun ist auch dann, wenn man seine Bücher mit dem semantischen Elektronenmikroskop analysiert, bei Thilo Sarrazin keine Formulierung zu finden, nach der er Zuwanderer sterilisieren oder kranke Kinder ermorden will und auch von rassischen Gesichtspunkten ist bei ihm keine Rede. Aber um Fakten geht es schon längst nicht mehr. Die Kritik an ihm ist nicht berechtigt oder unberechtigt. Sie dreht sich vielmehr völlig faktenfrei in einem Kosmos erfundener wirrer Gedanken. Etwa wenn ihm der bislang nicht bekannte Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke den Aufruf zu eugenischen Schandtaten vorwirft, für den es keinen Beleg gibt, oder wenn er ebenso freischwingend behauptet, Sarrazin beziehe sich auf das Erbgut der Deutschen.
Aber hat Sarrazin etwa nicht von „Kopftuchmädchen“ gesprochen? Nun hat sich in der linken Szene für Deutsche der Begriff „Kartoffel“ eingebürgert; aber es sei Sarrazin gewesen, dem es „außerdem gelungen (sei), die abwertende Bezeichnung vom ‚Kopftuchmädchen‘ zu etablieren“. Kartoffel oder Kopftuchmädchen? Welcher Begriff ist „abwertender“? Dass er damit seine Bedenken ausdrücken wollte, ob die Kinder türkischer Einwanderer, insbesondere die Mädchen, den Aufstieg aus ihrem Milieu in die moderne Arbeitswelt schaffen würden, wird nicht wahrgenommen. Dass sich Sarrazin damit einem früher ureigensten Thema der SPD widmet, nämlich wie der soziale Aufstieg organisierbar sei für die, deren Eltern am unteren Ende der sozialen Leiter stehen: ausgeblendet.
Tiefergehende Vorwürfe findet der NDR nicht, außer einem: Er habe „die vermeintlichen Kosten der Migration“ thematisiert; Kosten, die es gar nicht gebe.
Die menschliche Geschichte war immer geprägt durch Wanderungsprozesse. Aber friedlich oder gewaltfrei ging es dabei eher selten zu. Nun ist Sarrazin deswegen kein Einwanderungsgegner; selbstironisch bezeichnet er auch seine persönliche Herkunft als „europäische Promenaden-Mischung“ verschiedenster Herkünfte. Aber der Frage, wann und wie Einwanderung tatsächlich fruchtbar für beide Seiten sein kann, geht er schon lange auf den Grund, bereits in seinem ersten Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ wird sie mitverhandelt.
Wobei klar sein dürfte: Unkontrollierte und ungezügelte Einwanderung, wie sie Angela Merkel seit 2015 betreibt, kann es nicht sein. Grenzen sind notwendig, um die vielfältigen Ressourcen der Länder vor der Plünderung zu schützen und Investition in Infrastruktur, Bildung, Soziales Kapital und Wirtschaft erst möglich zu machen. Eine grenzenlose Einwanderung kann nur die Nivellierung des gerade Erreichten und damit den Rückschritt, statt eines innovativ getriebenen Fortschritts zur Folge haben. So darf von Sarrazins neuem Buch erwartet werden, dass er Anforderungen an Steuerung und eine Politik der Einwanderung entwirft und erneut ein faktenreiches Werk mit vielen Informationen und Anregungen vorlegt, dass es verdient, gelesen und – durchaus kontrovers – diskutiert zu werden.
Aber seinen Kritikern geht es offensichtlich vielmehr darum, bereits die Lektüre durch haltlose Beschimpfungen und unbelegbare Behauptungen zu diskreditieren. Unvergessen der Verriss von „Deutschland schafft sich ab“ in der WirtschaftsWoche, deren Autor sich sogar damit brüstete, das Buch gar nicht erst gelesen zu haben.
Sarrazins Buch wurde im Vorfeld unter Verschluss gehalten, um einer hasserfüllten Vorabdebatte den Boden zu entziehen, indem das Buch Lesern und Journalisten gleichzeitig zur Verfügung gestellt wird. Eine kluge Überlegung. Dabei steht in den Medien das Urteil bereits fest. Wie der NDR beweist, der keine Zeile gelesen hat.
Bilden Sie sich Ihr eigenes Urteil.
Thilo Sarrazin, Der Staat an seinen Grenzen. Über Wirkung von Migration in Geschichte und Gegenwart. LangenMüller Verlag, 480 Seiten, 26,00 €
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