Beim Betrachten und vor allem Hören dieses Interviews kann man durchaus peinlich berührt sein, fast Mitleid bekommen angesichts der offenkundigen Überforderung von Annalena Baerbock. Da sitzt eine Frau, die eine Partei führt, die von weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit für die Krone des Politikbetriebes gehalten und von der Kanzlerin zum Wunschkoalitionspartner erklärt wird, und sagt diesen Satz: „Wenn alle so bei 25 Prozent stehen, dann ist das nicht mehr so große Koalition wie zu anderen Zeiten, die haben alle miteinander so 75 Prozent im Bund oder sogar ne Zweidrittelmehrheit.“ Nach dem „Kobold“ und dem im Netz gespeicherten Strom, liefert Baerbock also erneut ein geflügeltes Wort, mit dem sie endgültig zum Inbegriff grüner Kompetenz wird: 75 Prozent oder sogar eine Zwei-Drittel-Mehrheit! Rechnen und Zahlen sind so nicht ihre Sache; Bruchrechnung ist nur etwas für Mathematik-Studenten. Da werden Erinnerungen wach an Fußballer-Interviews aus Zeiten vor der Erfindung des Kommunikationstrainings (zum Beispiel Andi Möller: „Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien“). Aber die Fußballer, die diese Dummheiten von sich gaben, wollten auch nur Fußball spielen und glaubten nicht, dass sie die größte Herausforderung unserer Zeit bewältigen und ein Land regieren oder sogar die Welt retten könnten.
Aber wir haben vorgegriffen. Als Baerbock diesen Andi-Möller-mäßigen Satz sagt, ist das Interview mit ZDF-Journalistin Shakuntala Banerjee schon fast am Ende. Also hören wir noch ein bißchen rein in das, was Baerbock und Banerjee in den knapp 20 Minuten zu sagen hatten.
Warum wollte Baerbock in Frankfurt an der Oder interviewt werden? Das sei „für mich so im Herzen Europas“ meint Baerbock zum launigen Einstieg. Naja, so was sagen Politiker eben. Daran muss man nichts aussetzen. Und ohne schöne Sätze formulieren zu können, kann man bekanntlich hierzulande sogar Bundeskanzlerin werden. Aber dabei bleibt es nicht.
Nach dem Einspieler samt O-Ton eines gewissen Antonio Rohrßen, Gründers der neuen Partei „radikal:klima“ und der Frage, wie es passieren konnte, dass die Grünen „ausgerechnet bei ihrer Kernkompetenz Umwelt den Anschluss verlieren“, gibt Baerbock indirekt und unfreiwillig eine ehrliche Antwort, die es wert ist komplett und unverändert transkribiert zu werden:
„Nehmen wir mal ganz konkret Kohleausstiegsgesetz, war ja auch im Beitrag, bei den Jamaika-Verhandlungen. Ich hab das selber verhandelt. Ja und wir haben einen Kohleausstiegsplan vorgelegt, wie man schrittweise Kohlekraftwerke abschaltet, hätten dann, das ist jetzt eine technische Zahl, nichtsdestotrotz 7 Gigawatt gehabt, da wären wir jetzt 2020 mehr in die Nähe gekommen, auch die Klimaziele zu erreichen. Das ist alles gescheitert. Und was ist stattdessen passiert? Es hat über zwei Jahre gar kein Kohleausstiegsgesetz gegeben. Und deswegen: Wir hätten Dinge wirklich anders gemacht. Es ist anders gekommen, wir sind nicht in der Regierung. Und dass aber ne Umweltbewegung, ne Jugendbewegung sagt: Leute, wir sind der Stachel im Fleisch, hat er’s glaub ich genannt, das ist total richtig.“
Was das nun für eine Zahl – 7 Gigawatt – ist, hätte man als Zuschauer natürlich gerne gewusst. Aber Banerjee will es nicht wissen. Und so macht Baerbock einfach weiter: „Wir sind ja eine Partei die in Regierungsverantwortung auch in Ländern Verantwortung übernommen hat, Dinge umsetzt, Ausbau von Erneuerbaren umsetzt. Aber dass wir von Bewegungen getrieben werden, halte ich für essentiell in einer Demokratie. Wär ja schlecht, wenn alle sagen würden: Ist ja schon ganz gut so.“
Geradezu skurril wird das Gespräch, als Banerjee den Tierschutz anspricht. Baerbock: „Wenn ich einen gewissen Rahmen habe, wo ich Dinge verändern kann, in diesem Fall eine Bundesministerin von der CDU, die erst überhaupt nichts verändern wollte beim Kastenstand, dann auf Druck von grünen Landesministern, wir müssen hier ran, einmal haben wir den Kompromiss abgelehnt, weil wir gesagt haben, da verändert sich strukturell nichts. Und dann war die Frage: Verändern wir gar nichts und der fatale Status quo von den Sauen, die leiden ohne Ende, wird fortgeführt. Oder schaffen wir eine Regelung, wo es in Zukunft, ja es dauert ein paar Jahre, das war auch die Kritik von einigen, in Zukunft aber so ist, dass Sauen auch entsprechend ihrer Art abferkeln können.“
Von den abferkelnden Sauen kommt man dann aber irgendwie doch wieder auf Höheres zu sprechen. „Welcher Punkt ist Ihnen denn so heilig, dass Sie ihn für keine Koalition aufgeben werden?“, fragt Banerjee. „Heilig ist unser Grundgesetz“, sagt Baerbock. Aber dann wird ihr wohl klar, dass das nicht die Antwort ist, die man von ihr erwartet, also sagt sie: „Klar ist, wir müssen, und das ist, glaube ich, die Aufgabe unserer Generation, Klimaneutralität. Diese Gesellschaft klimaneutral zu machen, eine sozial-ökologische Marktwirtschaft zu schaffen, damit wir die größte Herausforderung unserer Zeit, den Klimawandel, man sieht’s auch hier an Wasserständen (F.K.: Sie zeigt auf die Oder, an deren Ufer das Interview stattfindet), in den Griff zu bekommen, das ist unsere zentrale Aufgabe, und das zusammen mit sozialer Gerechtigkeit zu gestalten.“
Ebenso wie die interviewte Baerbock offenbart sich in dieser Sendung auch die Interviewerin. Banerjee fällt keine wirkliche Frage ein, die über verschiedene Varianten des Vorwurfs hinausginge, die Grünen seien nicht radikal genug. Man weiß gar nicht, über was man sich bei diesem Interview mehr wundern soll, über die Sinnarmut und sprachliche Unbeholfenheit von Baerbocks Antworten oder Banerjees heißmacherische und sprachlich nicht viel weniger holprige Fragen. Kompromissbereitschaft scheint für diese verwerflich zu sein, wenn sie Baerbock vorwirft: „Aber wenn Sie auf Probleme stoßen, werden Sie wieder abstufen.“ Für Banerjee scheint ein kritisches Interview mit einer Grünen-Vorsitzenden den Sinn zu haben, diese zur Unerbittlichkeit anzutreiben und ihr das, was man unter Bolchewisten einst verächtlich „Kompromisslertum“ nannte, vorzuwerfen.