Nach dem Umwandlungsprozess der Hagia-Sophia in eine Moschee, ist nun auch die Chora-Kirche in Istanbul betroffen. Der 1945 zum Museum erklärte Kirchenbau soll für islamische Gebete geöffnet werden, dies geht aus einem am vergangenen Freitag veröffentlichen Dekret des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hervor. Bereits im November 2019 hatte das oberste Gericht der Türkei den Weg für die Umwandlung frei gemacht.
Nun sind es schon zwei Museen, welche ursprünglich byzantinische Kirchenbauten waren, die zu einer Moschee umgewandelt wurden. Es ist offensichtlich, dass es Erdogan unter anderem um ein Verdrängen der Symbolik des Christentums als Religion geht. Doch das bedeutet gleichzeitig, dass es ihm um ein Verdrängen christlicher Kunst „Ars sacra“ (lat. „heilige Kunst“) geht – vor allem da beide Bauten die Funktion eines Museums innehatten, nicht die einer aktiven Kirche. Das Christentum wurde in diesen Kirchenmuseen nicht mehr praktiziert. Aber das Christentum wurde durch die Kirchenmuseen mittels Architektur und Kunst unvermeidbar ausgestrahlt und symbolisiert. Sowohl die Hagia Sophia als auch die Chora-Kirche haben in ihrer Museumsrolle das Christentum historisch und kunsthistorisch wiedergegeben. Christliche Kunst ist immer pari passu christliche Narration für den Rezipienten. Wer solche historisch essenziellen Kirchenmuseen zu Moscheen umwandelt und die zugehörige christliche Kunst mit Tüchern verdeckt, der löscht auch Kunstgeschichte aus – Eine christliche Kirche soll dann nicht mehr faktisch, historisch und kunstgeschichtlich existieren.
Der politische Islam trifft auf Kunstgeschichte
Der politische Islam hat das ideologische Ziel einer islamischen Hegemonie. In dieser Hegemonie darf weder das Christentum als Religion noch christliche Kunst existieren. Mit den Umwandlungen in Moscheen wird dem Christentum und christlicher Kunst das Existenzrecht in der Türkei offiziell abgesprochen. Würden christliche Symbole existieren dürfen, dann würde dies der islamistischen Ideologie widersprechen. Erdogan schreibt mit seinen Moschee-Umwandlungen Geschichte, weil es nun offiziell zum Phänomen des türkischen Nationalislamismus gehört, dass nicht einmal christliche Kunst ein Bleiberecht besitzen darf. Doch auch das Phänomen des politischen Islams, den Erdogan vertritt, legt damit der Welt offen, dass dieses nun so weit geht, dass es die zeitgenössische Kunstgeschichte beeinflussen kann.
Kunstgeschichte durch den politischen Islam umgeschrieben
Ein nationalislamistisch werdender Staat, der keine andere religiöse Kunst duldet, löscht in der Konsequenz Kunstgeschichte aus. In diesem Moment der Umwandlung in eine Moschee werden Geschichte und Kunst überschrieben mit islamischen Normen; gleichzeitig wird versucht, Kunstgeschichte zugunsten des eigenen Staates umzuschreiben. Zuerst wurde die Hagia Sophia unter Sultan Mehmet II. und danach die Chora-Kirche unter dem Großwesir Bayezidis II., in eine Moschee umgewandelt, im 20. Jahrhundert wurden sie dann unter den säkularen Machthabern Atatürk und Inönü zu Museen erklärt. Die heutigen Umwandlungen von Erdogan befinden sich ergo in einer historischen Chronologie des Osmanischen Reichs. Dies mag kein Zufall sein. Nach dem Mehmet II. endgültig die Eroberung von Konstantinopel abschloss, widmete er die größte christliche Kirche in einem Akt symbolischer Aneignung zur Moschee Aya-Sofya um. Sein Sohn, Großwesir Bayezids II., tat es ihm mit der Umwidmung der Chora-Kirche zur Kariye-Moschee gleich.
Die Mosaiken und Fresken der Chora-Kirche gehören zu den bedeutendsten byzantinischen Bildwerken, die uns überliefert sind. Darstellungen von Jesus Christus, Maria mit Kind, Petrus, der Erzengel Michael, das jüngste Gericht oder die Koimesis werden nun demnächst aus der Chora-Kirche verbannt werden. Die weißen Tücher sind die neue Flagge des Politischen Islams im Sakralbau.