Tichys Einblick
Vom Massensterben verschont

Corona in Afrika: Horrorszenarien im Interesse der Helfer

Afrikas offizielle Sterberaten liegen derzeit vierzigmal unterhalb der in der europäischen oder amerikanischen Bevölkerung. Woran das liegt, ist unklar. Doch die professionellen Helfer schüren dennoch große Panik - im eigenen Interesse.

Besucher eines Naturparks in Uganda desinfizieren sich die Hände

imago images / Xinhua

Die Corona-Pandemie in Afrika ist für viele Hilfsorganisationen lediglich ein Vehikel, um Gelder lockerzumachen. Mit Schlagwörtern und spekulativen Horrorszenarien wie „die tickende Zeitbombe“ wird Angst und Hysterie gefördert. Auch der Virologe Drosten beteiligte sich frühzeitig an der Panikmache : „In den afrikanischen Ländern wird in diesem Sommer der Peak der Infektionen auftreten. Ich mag mir gar nicht ausmalen, welche Bilder man sehen wird. Wir werden noch erleben, dass die Leute daran auf den Straßen sterben in Afrika. Die Situation wird schlimm sein, sehr schlimm“, sagte er in einem Stern-Interview am 20.03.2020. Auch Bill Gates prognostizierte mehr als 10 Millionen Tote.

Heute fünf Monate später zeigt die Pandemie-Realität, dass der Kontinent von dem Massensterben bislang weitgehend verschont blieb. Die bekannten Fallzahlen haben dieser Tage die Millionen-Marke überschritten und es sind in New York deutlich mehr Menschen an COVID-19 gestorben als in allen 55 Staaten des Kontinents (24.000 Opfer). In Lagos in Nigeria leben fast vierzehntausend Menschen pro Quadratkilometer, doppelt so viele wie in New York. In Ruanda gibt es Mitte August 2020 rund 2.100 infizierte, achthundert Patienten befinden sich in Kliniken, insgesamt wurden bis heute fünf Todesfälle gezählt. Afrikas offizielle Sterberaten liegen derzeit vierzigmal unterhalb der in der europäischen oder amerikanischen Bevölkerung.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Über das Ausmaß der Covid-19-Pandemie lassen sich in Afrika immer noch keine zuverlässigen Aussagen machen. Wenn die Experten ehrlich sind, dann müssen sie zugeben, dass sie es nicht wissen. Wie bei uns sind Ursachen, Wirkungen und Abhilfemöglichkeiten noch unzureichend erforscht. Dennoch werden, wie so oft aus dem vordergründigen Motiv, das eigene Budget aufzustocken, Horrorszenarien ausgemalt. Afrika brauche mehr Hilfe, mehr Finanzmittel müssten fließen, damit der Kontinent die Corona-Krise in den Griff bekomme. „Wir“ sollten mehr Verantwortung und Solidarität zeigen, denn der Kontinent sei nicht in der Lage, von sich aus der Ausbreitung des Virus Herr zu werden. Dabei weiß jeder, der Afrika kennt, dass die Zahl der an Malaria erkrankten Menschen und der daraus resultierenden Todesfälle bei weitem höher ist als bei Covid-19. Malaria ist nach wie vor die größte medizinische und gesundheitliche Herausforderung für den Kontinent. Aber auch die ökonomische Verwundbarkeit Afrikas durch das Zusammenbrechen des Arbeitsmarktes ist erkennbar.

Mit dem Virus liegt eine unberechenbare Gefahr über dem Kontinent. Aber niemand weiß wirklich, warum die in der westlichen Welt ausgemalten düsteren Szenarien bisher nicht eingetreten sind. Von der vergleichsweise geringen Anbindung an den internationalen Reiseverkehr und von der schlechten Infrastruktur ist die Rede – Nachteile, die sich in einer Pandemie zum Vorteil umkehren können. Aber auch die junge Bevölkerung und die Blutgruppe könnten eine Rolle spielen. In Subsahara-Afrika finden sich viel mehr Menschen mit Blutgruppe 0 als in Europa und den USA. Menschen mit Blutgruppe 0 sind möglicherweise besser gegen Covid-19 geschützt als Menschen mit anderen Blutgruppen. Auch leiden offenbar weniger Afrikaner unter Übergewicht und Diabetes. Offensichtlich ist hingegen, dass viele afrikanische Staaten, bei weitgehender Ungewissheit früh Vorkehrungen gegen Corona ergriffen haben – zu einem Zeitpunkt, als die Krankheit noch nicht weit verbreitet war. Vielerorts haben die Ärzte schon sehr viel länger und intensivere Erfahrungen mit Infektionskrankheiten und potentiellen Pandemieerregern wie Ebola und Lassa.

Statussymbol und legale Abwechslung
Polygamie in Afrika: Permanente Angstzustände
Die Sängerin Angélique Kidjo hat einen Welthit von Miriam Makeba neu aufgenommen, um über die Verbreitung des Covid-19 Virus zu informieren und auf die Hygiene- und Abstandsregeln hinzuweisen. Da in Afrika ein Teil der Bevölkerung nicht lesen und schreiben kann, werden wichtige Botschaften oft mit Musik vermittelt. Pata Pata aus der Xhosa-Sprache Südafrikas bedeutet „Berühren Berühren“. Die Botschaft Kidjos lautet: „Wir müssen unsere Hände sauber halten – deshalb kein ‚Pata Pata‘ und berührt euer Gesicht nicht.“ Das Lied wurde Ende April 2020 über 15 Radiostationen in Afrika ausgestrahlt und ist bei Youtube unter „No Pata Pata“ zu finden.

Tatsache bleibt: Die afrikanischen Staaten haben bis heute trotz der düsteren Prophezeiungen nur einen Bruchteil der erwarteten Infizierten und Toten. In Afrika leben derzeit mehr als 16 Prozent der Weltbevölkerung, aber weniger als fünf Prozent der Corona-Infizierten.

Wer die aktuellen Debatten bei uns um die moralische Besserwisserei – auch zu Corona – verstehen möchte, sollte zu dem kürzlich bei „Matthes und Seitz“ auf Deutsch erschienenen Essay „Das Reich des Guten“ von Philippe Muray greifen. Zwei Zitate daraus:

„Das Leben ist kurz, Geschäft ist Geschäft: Damit das Geld aus den Tresoren sprudelt, muss mindestens, und zur Primetime, ein Leichentuch gelupft, den Fernsehzuschauern ab und zu ein frisch verhungertes somalisches Baby gezeigt werden.“ (S.82) 

Über Moral zu reden, verpflichtet zu nichts! Das verschafft einem Ansehen, verbirgt einen. Alle Mistkerle sind Prediger! Je ausgekochter, desto gesprächiger! Ich werde nie müde, diese Passage aus Mea Culpa [Louis-Ferdinand Céline: Mea Culpa, 1937] zu zitieren. (S.102) 

Im Frühjahr 2020 gab es zwei Appelle von frankophonen und anglophonen afrikanischen Intellektuellen, darunter Achille Mbembe und Nobelpreisträger Wole Soyinka, die gegen das Bild vom hilflosen Krisenkontinent in Coronazeiten antraten, das sich außerhalb Afrikas verfestige. Sie haben ihre Regierungen dazu aufgerufen, die Probleme nicht nur nationalstaatlich zu lösen.


Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. Drei Nachauflagen folgten 2019 und 2020. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

Die mobile Version verlassen