In „Auf der anderen Seite“, einem Film des deutsch-türkischen Filmemachers Fatih Akin, gibt es diese Szene, als die türkischstämmige Prostituierte Yeter in der Straßenbahn auf Landsleute trifft, die sich als Sittenwächter aufspielen und sie massiv bedrohen. Was der Filmemacher da schon 2007 thematisiert hat, ist also kein neues Phänomen. Der Arm Erdogans beispielsweise reicht über die staatlich finanzierte und kontrollierte Religionsbehörde DITIB bis tief hinein in die Moscheen und Moscheevereine in Deutschland. Die Disziplinierung der einzelnen Familien durch das muslimische Kollektiv darf als ein gewichtiger Bremser der über die Jahrzehnte milliardenschweren Integrationsbemühungen verstanden werden.
Diese Problematik ist aber nicht nur auf Deutschland beschränkt. Fast überall, wo Muslime im Ausland leben, ist dieser Druck auf den Einzelnen spürbar. Er ist Prinzip dieser Religion im Alltag.
Im Nachbarland Österreich wurde jetzt ein besonders krasser Fall bekannt, hier allerdings im tschetschenisch-muslimischen Umfeld. Eine Tageszeitung berichtet aktuell, dass tschetschenischstämmige Frauen dort von selbst ernannnten muslimischen Sittenwächtern systematisch verfolgt, denunziert, bedroht und sogar verletzt werden. Sechs selbsternannte Aufpasser wurden jetzt in Wien und Linz festgenommen, nachdem eine der bedrängten Frauen in ihrer Verzweiflung allen Mut zusammengenommen und die Polizei informiert hatte. Wohl davon ermutigt, folgten weitere betroffene Frauen dem Beispiel.
Laut Polizeimeldung reichte oftmals schon ein Foto in den sozialen Medien in Badekleidung oder ein Kontakt zu einem Einheimischen, die selbsternannten Sittenwächter auf den Plan zu rufen. Facebook und Co seien zu diesem Zwecke auch gezielt ausspioniert worden sein. Laut Polizei sollen sogar Fotos der entsprechenden Frauen, so es kein „Einsehen” und keine „Besserung” gab, in der Moschee ausgehängt worden sein, um den Druck und Gruppenzwang noch zu erhöhen. Die Täter sollen zwischen 19 und 37 Jahre alt sein. Laut Landespolizei Wien erfolgten die Festnahmen im Rahmen eines koordinierten, simultanen Zugriffs.
Sicher ein krasser Fall mit polizeilichem Eingreifen. Aber die Grauzone ist auch in Deutschland noch viel größer, wie beispielsweise jetzt.de, das Online-Magazin der Süddeutschen Zeitung für jüngere Leser 2019 unter der Überschrift: „Wer will schon eine Frau, die mit zig Leuten im Bett war?“ berichtete. Hier geht es insbesondere um „die versteckte Macht, die muslimische Mütter bei der Erziehung ihrer Töchter haben“. Denn bei allem Mitgefühl für die betroffenen Frauen darf der Westen die Rolle der Frau in dieser muslimischen Disziplinierung nicht geringschätzen.
Der Artikel berichtet von automatisierten Disziplinierungen via strengem oder drohendem Blick schon in der Schule von Mädchen zu Mädchen. Die Autorin nennt das ein „Klima der Überwachung zur Sicherstellung der familiären Ehre.“ Die Ehre der Familie ist die nicht zu unterschätzende Kraft im sozialen Gefüge der muslimischen Community – davon besonders betroffen sind auch in Europa Millionen von Mädchen und jungen Frauen.
Die Autorin Zana Ramadani beschreibt in einem Buch, dass muslimische Frauen in westlichen Ländern oft sogar noch strenger kontrolliert werden als in den Herkunftsländern.
Aber auch in Deutschland scheint die Kraft der Idee von Freiheit und Selbstbestimmung groß genug, dass Frauen aufbegehren. Der erschütternste Hinweis dürften die „Ehrenmorde” in Deutschland und Europa sein. Jedes Jahr trifft es Dutzende – übrigens auch Männer werden hier Opfer. Unvergessen der Fall der Hatun Sürücü vor 15 Jahren, Täter war hier der eigene Bruder. Auch dieses Phänomen übrigens hat Filmemacher Fatih Akin in seinem 2004 erschienenen und mit dem goldenen Bären auf der Berlinale ausgezeichneten Film „Gegen die Wand“ thematisiert.