Wie in jedem Jahr auch in diesem die übliche Gedenk-Folklore: Politiker legen mit ernstem Gesicht Kränze nieder und sprechen ernste Worte. In diesem Jahr ist es kein rundes Jubiläum, deswegen tritt das ganz große Orchester nicht an. Der Regierende Bürgermeister Müller und Kulturstaatsministerin Grütters legten an der Mauer-Gedenkstätte an der Bernauer Straße Kränze ab. In Berlin-Pankow erledigten zwei Linken-Politiker den Tagesordnungspunkt, der Pankower Bezirksbürgermeister Sören Benn, PDS seit 2000, und der Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung Pankow, Michael van der Meer, SED seit 1980 und während seines Wehrdienstes Zuträger für das MfS. Sie legten einen Kranz nieder am Grab von Peter Fechter, der als einer der ersten Mauertoten im Grenzstreifen qualvoll verblutete.
13. August 1976. Der Mauerbau jährte sich zum 15. Mal. Ich war Gefreiter der Grenztruppen der DDR und bei den Rückwärtigen Diensten eingesetzt. Von Michendorf bei Potsdam aus versorgten wir die Grenzregimenter im Bereich GKM (Grenzkommando Mitte), zu denen beispielsweise die in Groß-Glienicke, Hennigsdorf, Babelsberg, Kleinmachnow und Oranienburg gehörten. Den IM in der Kompanie hatte ich schon identifizieren können, ohne zu wissen, dass man diese Leute „IM“ nannte. Damals hießen sie Spitzel.
Wer in der DDR für die Grenzsicherungsanlagen den Begriff „Mauer“ benutzte, machte sich der Anwendung von Westpropaganda verdächtig. Offiziell hieß es politisch „antifaschistischer Schutzwall“ und militärisch „Grenzsicherungsanlagen“. In Soldatenkreisen wurde vom „Kanten“, also dem Rand des DDR-Territoriums, gesprochen. Zur Feier des Tages lud der Kommandeur in seinen Beratungsraum. Neben einer Auswahl an älteren Offizieren und Berufsunteroffizieren waren einige Quoten-Wehrpflichtige wie ich dabei. Oberstleutnant S. hielt eine kurze Rede dem Anlass angemessenen politischen Inhalts, danach gab es Kaffee und Kuchen, später kam ein Weinbrand dazu. Es folgten die Erinnerungen der alten Genossen an ihre Erlebnisse vom 13. August 1961. Sie waren an verschiedenen Stellen bei der Abriegelung Westberlins eingesetzt, saßen als Beobachter auf Bäumen oder waren in bestimmten Grenzabschnitten als Aufpasser beim Bau dabei.
So verschieden die Erlebnisberichte waren, in einem doch gleich – in der diebischen Freude darüber, wie es damals gelungen war, den Klassenfeind zu überrumpeln. Die Augen leuchteten wie bei Kindern zur Weihnachtszeit. Schwer vorstellbar, was in ihnen vorging, als sich 1989 herausstellte, dass ein großer Teil ihrer Biografien vergebens war. Aber auch auf der anderen Seite der Mauer wurde der Blick vorerst leer. Für Westlinke und Grüne war die Hoffnung auf ein sozialistisches und damit besseres Deutschland zunächst dahin. Der ostdeutsche Plebs auf der Straße hatte ihre Illusionen zerstört. Zu gern hätten damals SPD und Grüne die DDR als das bessere Deutschland prosperieren sehen.
Linksgedrehte Wessis marschieren heute unbehelligt im FDJ-Hemd durch Thüringen. Sie wollen den vermeintlich rechten Ossis mit Realsozialismus-Erfahrung den Weg zum Sozialismus zeigen. Eine besondere Form von Humor oder schon das Wetterleuchten einer neuen alten Zeit? Die SED-Nachfolger nehmen inzwischen wichtige Rollen in der Politik ein. Eine Linksextremistin erhält einen Sitz in einem Landesverfassungsgericht. Die CDU hat eigene Erfahrungen als Blockpartei und erkennt regional die führende Rolle der Ex-SED wieder an.
Geschichte wiederholt sich nicht. Dennoch ist die Restauration des Realsozialismus auf deutschem Boden denkbar. Ob es dann ein linker oder ökologischer Sozialismus oder ein linksökologischer Klimasozialismus sein wird, ist in seiner Wirkung gleich. Wer sich vorbereiten möchte, dem sei Rolf Henrichs Buch von 1989 empfohlen:
„Der vormundschaftliche Staat – Vom Versagen des real existierenden Sozialismus“.
Wie jedes Jahr am 13. August sind die offiziellen Worte schnell verhallt. Die Kränze verwelken in diesen Tagen besonders schnell.