Hat die Berliner Republik eigentlich noch eine Regierung? Der Außenminister teilt öffentlich mit, dass er Nato-Manöver in Osteuropa für falsch hält.
In einem Interview mit Bild Am Sonntag warnte er am Wochenende davor, „durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen“. Mit „symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses“ könne man nicht mehr Sicherheit schaffen.
Dass die deutsche Beteiligung an dieser Truppenparade dem Willen der Verteidigungsministerin entspricht, dürfen wir unterstellen. Dass Frau von der Leyen nichts ohne das Einverständnis der Kanzlerin tut, ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Das Amen gilt nicht für die SPD
Das Amen gilt nicht in der Kirche der SPD. Nach der Schlussformel des Gebets geht´s erst richtig los. Aber das ist nicht ganz in das Belieben der Gläubigen gesetzt. Bevor Herr Steinmeier in einer grundlegenden Frage die politische Linie der Regierung verlässt, hat er das der Kanzlerin mitzuteilen. Kommt es zu keiner Übereinstimmung, muss Herr Steinmeier zurücktreten oder Frau Merkel muss ihn entlassen. Wenn solche Selbstverständlichkeiten nicht mehr gelten, ist das der Anfang vom Ende. Auch eine Koalitionsregierung braucht eine Linie. Die Kanzlerin bestimmt die Grundsätze der Politik. Die Minister füllen den Bereich ihres Ressorts eigenverantwortlich aus. Wenn Richtlinie und Ressortkompetenz sich kreuzen, scheiden sich die Wege. Anything goes – nicht in der Regierung – das sollte kein Hippie-Verein sein. Es geht vielleicht gerade noch beim „Gedöns“, etwa wenn Manuela Schwesig unter dem Vorwand der Entgeltgleichheit die Gehälter in den Unternehmen ausspitzeln will. Es geht schon nicht beim Bimbes, wie Helmut Kohl die Finanzen nannte. Und es geht nicht bei der Frage um Krieg und Frieden, die unausweichlich hinter der Außenpolitik lauert wie die Katze vor dem Mauseloch.
In Koalitionsregierungen ist das nicht so einfach. Wird ein Minister vom Kanzler gefeuert, geht die ganze Partei. Ist die Partei gegen den Minister aus den eigenen Reihen, wird er von dort zum Rückzug gezwungen. Am Ende läuft es auf dasselbe hinaus: Es kann nur eine Linie geben, kein Krickelkrakel.
Und die Konflikte kommen nicht überraschend. Sie bauen sich seit Monaten auf. Zeit, für ein klärendes Gespräch wäre längst gewesen.
Claas und die Mähdrescher von Krasnodor
Es fühlte sich an wie eine Art Schaulaufen auf Bevorstehendes: Das jährliche Treffen der mächtigen und großen Familienunternehmen im Juni fand ausgerechnet in der russischen Botschaft statt. Putins Botschafter Grinin durfte die Friedensliebe und Wirtschaftsnähe des Kreml-Herren in warmen Worten beschreiben, der frühere Ministerpräsident von Brandenburg und Ex-SPD-Chef Matthias Platzeck dafür werben, dass nicht in allen Ecken der Welt „unsere Form der Westminster-Demokratie“ verwirklicht werden könnte. Aber nicht alle anderen Formen seien von vornherein undemokratisch. Die Firma Claas aus Harsewinkel wurde gelobt, weil sie trotz der Wirtschaftssanktionen eine Mähdrescherfabrik in Krasnodar baut. Es wurde heftig applaudiert.
Am Tag danach redete vor denselben Personen im feinen Hotel Adlon Angela Merkel über das Minsker Abkommmen, das buchstabengetreu einzualten sei, ehe die Sanktionen gelockert werden. Unmittelbar nach ihr machte Außenminister Frank-Walter Steinmeier, SPD und Vizekanzler Witze, einen nach dem anderen – und dabei ging verloren, dass er sagte: „Es darf nicht verboten sein, darüber nachzudenken, ob es nicht eine intelligentere Anwendung des Minsker Abkommens und des Sanktionsregimes gibt.“ Szenenapplaus.
Eine Woche später wurde aus der Stichelei eine Konfrontation, die den Anfang vom Ende der Regierung Merkel darstellen könnte. Und dabei stehen die Unternehmen nicht hinter Merkel, sondern hinter dem wendigen Sozialdemokraten.
Dass Bodo Ramelow “den Vorstoß von Partei-Chef Sigmar Gabriel für ein Mitte-Links-Bündnis begrüßt”, ist folgerichtig. Sich über neue Konstellationen nach kommenden Wahlen öffentlich auszulassen, während Gabriel noch der jetzigen Regierung angehört, mag als Stilfrage durchgehen. Aber dass Steinmeier das Handeln „seiner“ Bundesregierung für falsch erklärt, ist eine andere Qualität. Dass AfD-Gauland Steinmeiers Aufforderung zu Kooperation mit Putin statt Nato-Manöver zustimmt und aus Moskau Putin Steinmeier lobt, überrascht nicht. Dass die Presse mit wenigen Ausnahmen gegen Steinmeier kommentiert, zeigt, dass die Merkel-treue Medienfront noch steht – Verlass ist darauf keiner. Die Figuren auf dem politisch-medialen Schachbrett werden neu aufgestellt.
Hat die Auflösung der GroKo begonnen?
Wer in der Sache, dem Umgang des Westens mit Putin mehr und weniger Recht hat, ist hier gar nicht die Frage, sondern: Hat die Auflösung der GroKo in der Außenpolitik begonnen? In der Migrationspolitik agiert Merkel seit langem mit den Grünen gegen eine wachsende Opposition in der CDU. Nähern wir uns einem Zustand, in dem Merkel mit wechselnden Koalitionen regiert?
In Merkels Berlin gilt nicht einmal mehr das Selbstverständliche. Der Anfang vom Ende der schwarz-roten Koalition ist gemacht. Steinmeier hat seine Bewerbung als Kanzlerkandidat eingereicht. Regiert wird bis zur Bundestagswahl gar nicht mehr.
Hinter vorgehaltener Hand toben Unionschristen noch lauter als in den offiziellen Statements. Da ist die Rede von der „5. Kolonne“, also der Geheimarmee Moskaus, die sich der SPD bedient. Einen „beispielloser Akt der Illoyalität“ sieht darin die Welt, Verrat ist noch eine harmlose Variante. Sie wissen: Bricht die Koalition, ist Steinmeiers Ja zu Putin ein paar Prozent-Punkte in den Wahlen wert: In der Bevölkerung ist der Anti-Rußland-Kurs nicht populär, die Deutschen sind notorisch pazifistisch, denn schwer wiegt die Erinnerung an die Schrecken der Kriege. Schon einmal hat die SPD der Union den sicher geglaubten Sieg entwunden – als Gerhard Schröder sich gegen die Teilnahme am Irak-Krieg stellte und Edmund Stoiber mit fliegender Fahne unterging. Die Deutschen wählen Merkel, damit alles so bleibt wie es ist – nicht aber für militärische oder außenpolitische Abenteuer; und die SPD hat Raum für den Schulterschluss mit Links.
Ein neues Spiel also, in dem die SPD eine neue Karte spielt.
Morgen setzt an dieser Stelle Bettina Röhl die Debatte „Obama oder Putin/ Merkel oder Steinmeier“ fort.