Da hat die italienische Zeitung Il Giornale ganze Arbeit geleistet: „Die Schlepper irregulärer Einwanderer, die von den Küsten Libyens und Tunesiens aus in die offenen italienischen Häfen einwandern, werben auch auf Facebook, wie echte Reisebüros; dies ist zum Beispiel der Fall eines Schleppers, der sich „Morad Zuwara“ nennt, mit mehreren Profilen und sozialen Seiten, wo er seine Mobiltelefonnummer hinterlässt und irreguläre Einwanderer einlädt, mit ihm Kontakt aufzunehmen.“, so beginnt der Artikel meines Namensvetters Giovanni Giacalone. Enthalten im Artikel ist ebenso die öffentlich verfügbare Telefonnummer des Schleppers. Diese Rufnummer habe ich ausprobiert. Und in der Tat, wie im Artikel beschrieben, ein Vermittler oder Organisator, man kann ihn getrost Schleuser nennen, namens „Morad Zuwara“ geht nach langem Freizeichen tatsächlich ans Telefon, als wir es versuchen – im Hintergrund viel Stimmengewirr, so als säße Zuwara (wenn er denn tatsächlich so heißt) in einem überfüllten Cafè, auf neue Aufträge wartend.
Der italienische Reporter Giacalone nennt Zuwara einen Menschenhändler, der sich nicht einmal mehr die geringste Mühe macht, weder seine Profile auf Social Media noch die darauf veröffentlichten Absichten zu verbergen.
Ganz offen wirbt er für seine Überfahrten von Libyen nach Italien – anscheinend seit Jahren mit derselben Mobilnummer.
Und das Geschäft scheint Typen wie Morad Zuwara momentan nicht auszugehen, ganz im Gegenteil, es brummt richtig: blickt man nach Italien, wo im Stundentakt größere Boote und Schiffe, aber auch viele kleine Dschunken, Nussschalen oder Schlauchboote ankommen. Oft im Schatten der größeren Boote, und manchmal auch ganz offiziell mit der Küstenwache, wenn die Boote aus Libyen oder Tunesien unterwegs doch Schaden oder Schlagseite genommen haben, weil sie überfüllt waren und zu kentern drohten.
Die Italiener sind schließlich keine Unmenschen, doch die geschlossenen Häfen unter Matteo Salvini als Innenminister waren ihnen besonders auf Lampedusa, wo nun der Notstand ausgerufen wurde, schon lieber. Die Bürger Lampedusas demonstrieren bereits am Hafen und versuchen diesen für Neuankünfte zu blockieren. Fremde auf eigenem Land und Boden wollen sie auch nicht sein.
Es kann so nicht mehr weitergehen, und es scheint, als finde auch bei Premier Giuseppe Conte ein langsames Umdenken statt. Viele der ankommenden illegalen Migranten (zu 90% Männer, von wegen Frauen und Kinder) bringen auch eine Corona-Infektion mit nach Italien, doch das ist noch mal eine ganz andere Geschichte. Und sie kümmert auch die Menschenhändler und Schlepper nicht, die sich mit ihren Überfahrten ganz offiziell eine goldene Nase verdienen.
Praktisch wie Reisebüros bewerben sie ihre (Reise-)Angebote und Dienste, für jede Preisklasse. Meist auf Facebook, ohne jede Heimlichtuerei.
Morad Zuwara, kaum zu glauben und fast schon ein schlechter Witz, wurde quasi vor einem Jahr bereits beim frischen „Handeln“ ertappt, als ihn ein Reporter des Rete4-Senders, Stasera Italia, (Heute Abend Italien) telefonisch direkt kontaktierte (wohl dieselbe Nummer, die auch wir gewählt haben, dazu gleich mehr).
Der „Menschenhändler“ hatte freimütig dargelegt, dass der zu zahlende Betrag für eine Überfahrt nach Italien recht günstige 1.300 Euro beträgt, und klärte dabei auch über die Eigenschaften des für die Reise benutzten Bootes ausführlich auf: „Es ist aus Holz, hat eine Kapazität von fünfundzwanzig Sitzplätzen und einen starken Motor, von Yamaha. Jetzt habe ich die Flüchtlinge in meiner Nähe, und wir werden aufbrechen, sobald das Wetter es zulässt, und, wenn Allah will.“
„Das Beunruhigende ist daher nicht nur, dass trotz der zahlreichen Berichte an die libyschen und italienischen Behörden seine Profile (einschließlich seiner Telefonnummer) nie unkenntlich gemacht wurden, sondern dass Herr Morad seit über einem Jahr immer noch frei ist, seine „Reisen“ nach Italien zu bewerben, ohne dass jemand auch nur einen Finger rührt.“, so Il Giornale weiter. „Ein Aspekt, der viel über die enormen Interessen hinter der Aktivität des irregulären Verkehrs aussagt.“
Ganz sicher ein Indiz dafür, dass wohl sehr viele Interessen hinter dieser Art von illegaler Migration stehen.
Der Reporter von Il Giornale schreibt auch, die Nummer sei während der Recherche noch erreichbar gewesen. Und jetzt kommt’s: genauso bei unserem Versuch. Wir wollten bereits auflegen, hatten mit unterdrückter Nummer in Libyen angerufen, es klingelte lange und dauerte, doch dann ging Morad Zuwara ran, im Hintergrund sehr laut wie eingangs beschrieben.
Zuerst meldete ich mich auf Englisch und klopfte ab, ob Morad denn Englisch oder Italienisch verstehen würde. Morad antwortete, „No English, no Italy – Francaise or arabic …“, und wirkte amüsiert fröhlich dabei. Dann übergab ich das Handy an meinen Arabisch sprechenden Bekannten, der sich jedoch nicht namentlich vorstellte, sondern nur meine Fragen vom Papier abgelesen hat.
Wir riefen aus Europa an, um für andere Geflüchtete, die auf Freunde und Verwandte warteten, den Preis zu erfragen. Und: was denn wäre, wenn die Boote auf hoher See doch untauglich, also seeuntüchtig wären?
Mein Bekannter meinte, Morad sei hier plötzlich etwas skeptisch gewesen, und sein Arabisch arg von einem Dialekt geprägt. Der Preis, so Schleuser Morad Zuwara, sei vom Boot und von der „Beladung“ abhängig. Zwischen 2.000 und 6.000 Euro. Auch US-Dollar möglich. Uns kommt es immer noch recht günstig vor. Wahrscheinlich herrscht gerade ein Überangebot. Das Wetter passt und Italiens Politik ist recht leger.
Zuwara, jetzt von skeptisch zu interessiert, beschwichtigte, ach, es werde mit seinen Booten schon nichts passieren, die seien bestens ausgerüstet, nach Bedarf auch mit mehreren Rettungswesten und Ringen – und auf dem Wasser seien die ausländischen Schiffe aber oft schon ganz in der Nähe.
Was wir denn tatsächlich wollen, fragte er nun direkt. Als mein Bekannter meinte, es sei nur rein informativ gewesen, verabschiedete sich Zuwara eilig. Wir sollten uns melden, wenn wir uns entschieden hätten. Etwas verwundert blieben wir zurück. Das war doch noch wesentlich leichter als vermutet.
Ein Post des Menschenschmugglers auf seinem arabischen Profil vom vergangenen 24. Juli lautete in etwa so: „Aufgrund von Druck und zahlreichen Nachrichten, waren wir nicht in der Lage, allen zu antworten. Nur für ernsthaft interessierte Personen, die mit uns von Libyen nach Italien reisen wollen, geben wir für Anfragen und zur Koordination direkt die folgende Nummer 0021************* an. Morad Zuwara (Derya).“
„Bald wird der Konvoi Libyen in Richtung Italien verlassen…“ findet sichin einem weitern Posting. „Der Konvoi besteht aus 35 Personen und das Boot ist 14 Meter lang, aus Holz. Rettungsmaterial ist ebenfalls verfügbar“ (…) „Der Schmuggelreiseveranstalter heißt alle willkommen“.
Nun, dass wir wohl nicht ernsthaft interessiert gewesen sind, davon bekam er wohl schnell Wind. Zeit ist Geld, nach einer Minute war alles besprochen.
Der Artikel von Giovanni Giacalone bei Il Giornale schließt: „So absurd und offensichtlich es auch sein mag, müssen wir uns leider daran erinnern, dass der Handel mit irregulären Einwanderern ein Verbrechen ist und auch eine Aktivität, die mehr als nur Drogen herstellt, wie Salvatore Buzzi bereits sagte, im Zentrum der „Mafia Capitale“-Untersuchung. Stellen wir uns internationale Drogenhändler vor, die ihre Aktivitäten im Licht der Sonne in sozialen Netzwerken bewerben.“ Und mit diesen bemerkenswert offenen Sätzen: „Im Falle des illegalen Einwandererhandels geschieht dies wirklich schon seit Jahren. Ein Aspekt, der uns nur dazu bringen kann, ernsthaft darüber nachzudenken, welche enormen Interessen dahinter stehen und bis zu welchem Grad.“