Tichys Einblick
Ende der Freiheit

Der Duft des Totalitären: Denunzianten werden gefeiert

Der „Kampf gegen Rechts“ und „gegen Rassismus“, die MeToo-, die Gender- und die Klima-Bewegung eint, dass sie alle zu einer neuen, gefährlichen Atmosphäre der Diffamierung, Ausgrenzung und Einschüchterung beitragen. Rasant breitet sich eine „Cancel culture“ aus. Auch in Deutschland wächst die Zahl der Opfer.

imago Images/Steinach

Wenn das Private politisch wird, ist der Totalitarismus nicht weit. Werden Alltag und Konsum, Freundeskreis und Hobbys, Begegnungen und Geplauder öffentlich auf den Prüfstand der herrschenden Moral gestellt, ist es mit der Freiheit vorbei. Demokratische Verfassungen billigen der Freiheit des Bürgers höchste Priorität zu, sicher eine der größten Errungenschaften unserer Zivilisation.

Jedermann im NS-Deutschland, in der Sowjetunion oder in der DDR wusste um die Macht der Denunziation. Blockwarte, KGB-Spitzel und Stasi-Informanten waren zu Recht gefürchtet. Auch kleine Organisationen – wie die Linksradikalen der 68er Generation in KBW, KB und KPD/ML oder aber Sekten wie Scientology – kennen moralischen Terror als Disziplinierungsinstrument in den eigenen Reihen. Wo das „Entlarven“ von Abweichlern Mode oder gar System wird, rückt das Totalitäre näher. Es ist zutiefst Besorgnis erregend, dass Denunziation derzeit im freien Westen sichtlich eine ungeahnte Blüte erlebt, manche Menschen völlig unerwartet mit voller Wucht trifft und damit öffentlich vernichtet.

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In den USA und England genügten in den letzten Jahren schon allein Vorwürfe und Beschuldigungen wegen Sexismus oder Rassismus, damit unzählige Menschen an Universitäten und Verbänden, in der Wirtschaft, Politik oder Kultur ihre Jobs verloren. Sehr vielen ist gemein, dass die angeblichen Vergehen entweder nicht strafbar oder nicht justiziabel waren. Greifbares Ergebnis dieser Entwicklung ist ein Klima der Angst und des Misstrauens, die Dominanz moderner Tugendwächter vor allem in Universitäten, Medien und kulturellen Einrichtungen. Die „Cancel Culture“, der systematische Boykott von politisch inakzeptablen Personen oder Organisationen, greift immer weiter um sich.

Auch in Deutschland gibt es diese Entwicklung. Jüngstes Beispiel ist die Kampagne des ARD-Magazins Panorama gegen Oberstleutnant Marcel Bohnert, einem drittrangigen Referenten im Verteidigungsministerium, der angeblich mit Rechtsradikalen sympathisiere. Als Belege wurden aufgeführt, dass der Offizier auf Instagram mit einem Anhänger der rechtsextremen Identitären Bewegung und ehemaligen Bundeswehrsoldaten vernetzt sei und dessen Fotos – so eines mit der Unterzeile „Defend Europe“ – „geliked“ hatte. Zudem habe Bohnert im „Studienzentrum Weikersheim“, angeblich ein Hort der „Neuen Rechten“, sowie vor der rechtsgerichteten Münchener Burschenschaft Cimbria Vorträge über die Bundeswehr gehalten. (In Weikersheim traten auch Ex-Bundespräsident Joachim Gauck oder Ex-Kanzler Gerhard Schröder auf).

Diese extrem dünne Beweislage der Panorama-Autorinnen, die im Übrigen nachweislich enge Verbindungen zum linksextremen Milieu haben, genügten, damit der Offizier bundesweit als rechtsradikal an den Pranger gestellt wurde. Merklich eingeschüchtert sprach er gegenüber Spiegel Online von einem „fatalen Fehler“, er habe mit seinem „Like“ nur „die Community von Soldaten“ unterstützen wollen.
Panorama lieferte mit der Denunziation eines harmlosen, engagierten Bundeswehr-Offiziers ein besonders unappetitliches Beispiel dafür, wohin Haltungsjournalismus führen kann. Weder die Standards des guten Journalismus, noch menschlicher Anstand hindern moderne Gesinnungs-Journalisten an ihrer offenbar lustvollen Jagd auf alle, die auch nur im Verdacht stehen, dem gängigen Narrativ der Berliner Politik oder auch nur den sprachlichen Vorgaben der „Political Correctness“ bezüglich Islam, Migration, Klima oder EU nicht zu folgen.

Im Extremfall dienen schon das Zeigen der Deutschland-Flagge, der Verweis auf das Grundgesetz oder ein Zitat von Ex-Kanzlern wie Helmut Schmidt oder Helmut Kohl als Indiz für eine anstößige „rechte“ Gesinnung. Abstruserweise würde jemand, der heute Sätze sagt wie „Multikulti ist absolut gescheitert“ (Kanzlerin Angela Merkel 2010) oder „Es gibt den Missbrauch des Asylrechts“ (Merkel 2003), ebenso geschwind in der Schublade für „Dunkeldeutschland“ landen.

Der Kampf gegen „Rechts“
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Offen wird heute in Deutschland mit hanebüchenen Argumenten das Denunziantentum gepriesen. Das vor allem von der Bundesregierung und der „Open Society“ von George Soros finanzierte Recherche-Netzwerk Correctiv forderte jüngst seine Unterstützer und Leser zur Nutzung seines „anonymen Briefkasten“ auf. Schließlich seien Bürger, die Missstände aufdeckten, „Helden“ der Demokratie.
Der Autor verwies auf die Tradition der „Whistleblower“, die „dunkle Geheimnisse… von Firmen und Institutionen“ enthüllten. Wäre er korrekt und ehrlich gewesen, hätte er von Machenschaften in Staat und Regierung sprechen müssen, denn bei den großen politischen Skandalen wie Watergate oder der Spiegel-Affäre ging es immer um Machtmissbrauch an höchsten Stellen. Aber Correctiv will alles andere als den Regierenden auf die Finger schauen. Es gehe um die „Radikalisierung im vermeintlich bürgerlichen Milieu“, so Correctiv, weil es „poröse Grenzen“ zwischen „Rechtsnationalen, Rechtsradikalen, Rechtsterroristen“ gebe.

Schon jetzt ist erkennbar, dass es gegen Gewerkschafter, Manager und engagierte Bürger, gegen Künstler und Wissenschaftler geht. Die Geschichte lehrt seit dem Tugend-Terror des florentinischen Bußpredigers Girolamo Savonarola oder der Jakobiner in der französischen Revolution unter Maximilien de Robespierres, dass es bei der Jagd nach Feinden und Abweichlern schließlich um den missliebigen Nachbarn, den verdächtigen Kollegen und zu guter Letzt auch noch um die Mitglieder der eigenen Familie geht.

Das zutiefst Perfide und Entlarvende an dem Correctiv-Aufruf ist, dass er in direktem Zusammenhang mit der aktuellen Kampagne gegen einen regionalen Gewerkschaftsfunktionär steht, dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft in Berlin, Bodo Pfalzgraf. Dieser war vor 20 Jahren vorübergehend bei den Republikanern und einem rechtsextremen Bildungsverein gewesen, wo es sogar laut Correctiv Funktionäre mit „Kontakten zum NSU-Helfernetzwerk“ gegeben habe. Man spürt den fast verzweifelten Drang, wie auch immer einen gedanklichen Brückenschlag zwischen dem bislang unbescholtenen Offizier und dem Neonazi-Terrorismus herzustellen. Pfalzgraf selbst spricht von einer „Verirrung“, er habe sein Engagement in Partei und Verein wegen deren rechtsradikalen Tendenzen verlassen.

Es geht hier sichtlich in keiner Weise um halbwegs aktuelle Vorgänge oder gar Vergehen, schon gar nicht um irgendetwas Strafwürdiges – um die bei Ideologen und Polit-Aktivisten geliebte Charakterfrage zu stellen, genügt die Skandalisierung früherer Aktivitäten. Niemand aber misst heute mit diesem Maßstab Politiker der Grünen oder Linken, die vor Jahrzehnten hohe Funktionäre linksradikaler, demokratiefeindlicher Organisationen oder aber in der DDR waren – und selbst, wie manche Grüne, vor dem Propagieren der perversen „Liebe zu Kindern“ nicht zurückschreckten.

Interview Talk Radio London
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Der Geist der Denunziation ist schon viel tiefer in unsere Gesellschaft eingedrungen, als wir es wahrhaben wollen. Immer wieder wird mehr oder minder massiv versucht, kluge Köpfe wie Thilo Sarrazin, Henryk Broder, Herfried Münkler, Jörg Baberowski oder Norbert Bolz in eine rechtsextreme oder gar rassistische Ecke zu schieben. Andere, weniger prominente Intellektuelle haben längst die Erfahrung gemacht, dass sie von den meisten Medien, insbesondere aber von den wirkungsstarken öffentlich-rechtlichen Anstalten rigoros geschnitten werden. Längst schon geht es aber darum, in allen Bereichen der Gesellschaft angeblich gefährliche Abweichler zu entlarven, mutmaßliche rechte Machenschaften aufzudecken und überall Rassismus, rechte und reaktionäre Gesinnung zu enthüllen. Paradoxerweise glauben sich dabei manche Journalisten in der Tradition des Enthüllungs-Journalismus zu bewegen – in Wirklichkeit beteiligen sie sich aktiv an der Aussonderung und Diffamierung unliebsamer Persönlichkeiten.

Die biedere, hoch angesehene Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat einen harmlosen Beitrag des Kabarettisten Dieter Nuhr nach einem Shitstorm von ihrer Website gelöscht.

Nuhr war im Rahmen einer DFG-Kampagne dem Aufruf gefolgt, etwas zu schreiben, um seine „Überzeugung für eine freie und erkenntnisgeleitete Forschung in die Gesellschaft zu tragen“. Allerdings löste Nuhrs Text, der sich differenziert mit den Erkenntnisprozessen in der Wissenschaft auseinandersetzt, einen Proteststurm im Netz aus. Nuhr schrieb, was jeder Wissenschaftler unterschreiben würde: Wissenschaft sei keine Religion, die absolute Wahrheiten verkünde, es gebe kaum eine 100-prozentige Sicherheit, Wissenschaftler müssten Sichtweisen aufgrund neuer Erkenntnisse oft auch ändern. Besonders übel nahmen wohl viele Klimaaktivisten den indirekten Seitenhieb auf ihre Stars Greta Thunberg und Luisa Neubauer: „Wer ständig ruft: ‚Folgt der Wissenschaft‘“, der habe das Wesen der Wissenschaft sichtlich nicht begriffen.

Der Shitstorm gegen Nuhr, der als „Klimaleugner“ und „Wissenschaftsleugner“ beschimpft wurde, veranlasste die DFG schließlich dazu, den Beitrag des Kabarettisten von der DFG-Website zu entfernen. Nuhr kritisierte scharf, dass die DFG dieser „Denunziation“ im Netz nachgebe. Das sei ein Beleg für die sich ausbreitende „Cancel Culture“. Nuhr konnte seine Popularität nutzen, um auf den Skandal aufmerksam zu machen, einige Medien reagierten mit kritischen Kommentaren. Die meisten, die heute in den Universitäten und kulturellen Einrichtungen wegen ihrer unliebsamen Meinungen oder Formulierungen diszipliniert und bestraft werden, haben die Öffentlichkeit nicht.

Obwohl es auch schon in deutschen Universitäten heftige, teilweise brutale Kampagnen gegen den Auftritt von Politikern (Christian Lindner, FDP oder Thomas de Maizière, CDU) und Professoren gab, scheint das erst ein Vorgeschmack auf eine neue Zeit der Unduldsamkeit und Intoleranz zu sein. In vielen US-Universitäten dominieren längst die Protagonisten des „Woke“ – der Begriff definiert, dass einfach alles mit der Elle so genannter „sozialer und rassistischer Gerechtigkeit“ gemessen wird. Das Ergebnis ist in manchen Hochschulen – verkürzt gesagt – die reine Willkür über das, was gelehrt werden, wer auftreten und wer was sagen darf. Der Korridor des öffentlich Sagbaren wird schmaler.

Gleichzeitig erleben wir eine wachsende Skandalisierung des gesellschaftlichen und privaten Alltags. Das beginnt mit den ständig von den Medien thematisierten Fragen des moralisch korrekten Konsumierens, Reisens und Kommunizierens und reicht bis zur Denunziation selbst harmloser Äußerungen, Kontakte und Begegnungen. So verlor 2019 der Leiter der hessischen Filmförderung, Hans Joachim Mendig, wegen eines Mittagessens mit AfD-Chef Jörg Meuthen seinen Job.

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Die oben beschriebenen Entwicklungen tragen in allen Demokratien auch maßgeblich zur schleichenden Erosion des Rechtsstaates bei. Wo Beschuldigungen und Verdächtigungen ausreichen, verschwindet der Grundgedanke des modernen Rechtssystems, dass jeder Angeklagte das Recht auf eine Unschuldsvermutung hat, dass niemand ohne Beweise verurteilt oder bestraft werden darf. In den Genuss der Unschuldsvermutung in der Öffentlichkeit kommen heute vielleicht noch „traumatisierte“ Gewalttäter oder Antifa-Aktivisten – ganz sicher nicht katholische Geistliche, die des Missbrauchs beschuldigt werden oder Täter, denen ausländerfeindliche Verbrechen zur Last gelegt werden.

Die feministische „MeToo“-Bewegung hat für die Abkehr von diesem Rechtsstaatsprinzip den Boden bereitet. Sogar der demokratische Präsidentschaftskandidat Joseph Biden hatte bei den Sexismus-Debatten in seinem Land gefordert, Frauen, die Männern sexistische Übergriffe vorwarfen, auch ohne justiziable Belege grundsätzlich erst einmal zu vertrauen. Ironie der Geschichte: im Frühjahr wurde der Demokrat selbst von einer Frau beschuldigt wurde, sie massiv unsittlich berührt zu haben.

Auch im Kampf für eine „politisch korrekte“ und „gendergerechte“ Sprache werden gerne die Mittel der Denunziation und der Diffamierung genutzt. Im Kampf um die kulturelle Deutungshoheit sind alle, die liberale und konservative Werte vertreten, zwangsläufig in der Defensive.

Zwar mehren sich sowohl in den USA als auch in Deutschland mahnende Stimmen quer durch die politische Lagern gegen die ausufernden, freiheitsfeindlichen Kampagnen und den eifernden, aggressiven Journalismus. Publizist Ferdinand Knaus sieht sogar Grund zum Optimismus, schließlich „endeten alle Hexenjagden und Diffamierungskampagnen irgendwann“. Mit der Zeit leide nämlich die Glaubwürdigkeit der Hexenjagden, zudem fürchteten ab einem gewissen Zeitpunkt immer mehr Bürger, selbst Opfer der gnadenlosen Kampagnen zu werden. Das ist historisch sicher korrekt. Aber oft genug blieben rechtzeitig mahnende Stimmen – wie beispielsweise von Kurt Tucholsky oder Erich Kästner in den 30er Jahren – folgenlos, zum anderen reichen auch schon einige Jahre des ideologischen Wahns, um eine Bevölkerung zu quälen oder gar zu terrorisieren.

In den USA spielt bei dem derzeit sehr einseitigen Kulturkampf die Gewalt auf den Straßen und in den Universitäten eine immer größere Rolle. Soweit ist es bei uns noch nicht, auch wenn die Gewaltaktionen der deutschen Antifa erschreckend sind. „Antifa ist Faschismus ohne schlechtes Gewissen“, lästerte der bayerische Kabarettist und Schauspieler Sigi Zimmerschied einmal kühn. Nun droht uns noch kein Faschismus oder auch nur Vergleichbares. Was allerdings als gesichert angesehen werden kann, ist eine Entwicklung in den westlichen Demokratien, bei der die Freiheit zunehmend und gravierend leidet, während totalitäre Kräfte beängstigend erfolgreich und weiter in der Offensive sind.

P.S. Niemand in Deutschland wäre in dieser Situation der bedrohten Freiheit mehr gefordert als die liberale Partei …

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