Thilo Sarrazin:
Das Hamburger Programm der SPD und der Inhalt des Buches Feindliche Übernahme (Zitate der SPD, auf die sich Sarrazins Erwiderung beruft, in kursiv)
Die Landesschiedskommission wirft mir in ihrer Urteilsbegründung vor, die Äußerungen in meinem Buch „Feindliche Übernahme“ stellten „einen erheblichen Verstoß gegen Grundsät- ze der Partei“ dar. Zum „Beleg“ stellt sie auf S. 7 f. der Urteilsbegründung einige Zitate aus dem Hamburger Programm zusammen. Die Überprüfung der zitierten Passagen ergab, dass die Zitierweise des Begründungstextes aus dem Hamburger Programm nicht an allen Stellen exakt und teilweise unvollständig ist.
Die Urteilsbegründung unterstellt mir, ich hätte in der mündlichen Verhandlung selbst bekundet, dass ich die Grundsätze des Hamburger Programms als für mich nicht verbindlich erachte, denn auf ausdrückliche Nachfrage hätte ich nur erklärt, ich stünde zum Godesberger Grundsatzprogramm. Das ist falsch, tatsächlich habe ich wörtlich ausgeführt, dass ich zu den Grundwerten des Godesberger Programms Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität stehe. Zum Hamburger Programm habe ich mich in der mündlichen Verhandlung gar nicht geäußert. Das war in Bezug auf die Grundwerte auch nicht nötig, denn auch im Hamburger Pro- gramm sind wie im Godesberger Programm unverändert die Grundwerte Freiheit, Gerech- tigkeit und Solidarität aufgeführt.
Die Behauptung in der Urteilsbegründung, mein Buch widerspräche den im Hamburger Pro- gramm aufgeführten Grundsätzen, trifft nicht zu. Ein diesbezüglicher Beweis wurde nicht erbracht.
Der Antragssteller greift diese Behauptung zuletzt in seinem Schriftsatz vom 1. Juli 2020 auf und ergänzt dies mit den Anwurf, ich hätte einen erheblichen Verstoß gegen den im Hamburger Programm niedergelegten Grundsatz der Solidarität begangen.
Nachdem die Landesschiedskommission bei ihrer Urteilsbegründung zentral auf einen an- geblichen Widerspruch meines Buches zum Hamburger Programm abstellte, habe ich dessen Aussagen und programmatische Vorstellungen im Hinblick auf die in meinem Buch ange- sprochenen Themen systematisch ausgewertet und die einschlägigen Programmsätze mit den Aussagen und Analysen des Buches abgeglichen. Das Ergebnis ist, dass mein Buch in voller Übereinstimmung mit den einschlägigen Grundsätzen des Hamburger Programms steht. Dies wird im Folgenden anhand der entsprechenden Aussagen des Hamburger Pro- gramms im Einzelnen belegt. Zunächst kommt immer in fett/kursiver Schreibweise das ent- sprechende Zitat aus dem Hamburger Programm. Dann folgt der Nachweis, dass mein Buch dazu nicht im Widerspruch steht.
S. 8:
Wir erleben, dass Staaten zerfallen, Brutstätten für Anarchie und Terrorismus entstehen, religiöse und politische Fundamentalisten die Welt willkürlich in Gut und Böse teilen.
Volle Zustimmung. Auf S. 99 ff gehe ich auf den Staatszerfall in der islamischen Welt ein. Auf S. 233 ff. und S. 346 ff. befasse ich mich mit religiösem Fundamentalismus und Terror. Keine der dort getroffenen Sachaussagen wurde vom Antragsteller und seine Gutachterinnen bestritten, widerlegt oder auch nur angesprochen.
S. 11:
Die Menschen haben es selbst in der Hand, ihre Zukunft friedlich, gerecht und solidarisch zu gestalten.
Volle Zustimmung. Allerdings können Menschen durch den Einfluss von Kultur, Religion oder Ideologie bei ihren Wahlentscheidungen auch behindert bzw. in eine falsche Richtung gelenkt werden. In meinem Buch betone ich an verschiedenen Stellen immer wieder, dass Ein- flüsse von Kultur, Religion und Ideologie auf das individuelle Verhalten einen statistischen Charakter haben und keinen Rückschluss auf den Einzelnen zulassen. Ich schreibe aber auch: „Die individuelle Erzählung hilft nur begrenzt, denn es gibt sowohl negative als auch positive Beispiele in großer Zahl. Entscheidend ist das Verhältnis der Zahlen, ihr positiver oder nega- tiver Trend, die Gefährlichkeit negativer Erscheinungen, die Wahrscheinlichkeit endogener Veränderungen und die Möglichkeit, Veränderungen exogen zu bewirken.“ (S. 21)
Ausdrücklich betone ich immer wieder, dass auch liberale Interpretationen des Korans mög- lich sind und sage dazu: „Bei den Vertretern liberaler Positionen der Koran-Interpretation handelt es sich zumeist um Publizisten und Islamwissenschaftler, die im Westen leben. … Solche Stimmen sind auch unter den Muslimen in Deutschland und der westlichen Welt Au- ßenseiterpositionen, in großen Teilen der islamischen Welt könnten sie ihre Interpretationen ohne Gefahr für Leib und Leben gar nicht vorbringen.“ (S. 55) Der Antragsteller und die Gut- achterinnen haben die von mir aufgeführten Fakten, die dieser Analyse zugrundliegen, we- der widerlegt noch haben sie ihnen widersprochen.
Weil ich der Überzeugung bin, dass Menschen ihre Zukunft selber in der Hand haben, rufe ich die Muslime ausdrücklich auf, sich einer liberalen Interpretation ihrer Religion zuzuwen- den. Ich schreibe: „Die geistige Reform des Islam ist eine Aufgabe der Muslime. Der toleran- te, mit Demokratie und Pluralität kompatible Islam ist bisher in der islamischen Welt ein Pro- jekt kleiner Minderheiten. Außer den Büchern einiger islamischer Intellektueller in Europa gib es dazu wenig. Die weitere Entwicklung zu einem liberalen, mit der Moderne und der Demokratie kompatiblen Islam hängt von den Muslimen selber ab.“ (S. 425) Wohlweislich haben der Antragsteller und seine Gutachterinnen diese Aussage weder zitiert, noch haben sie ihr widersprochen.
S. 13:
Wir begrüßen und achten persönliche Grundüberzeugungen und Glaubenshaltungen. Sie können niemals Parteitagsbeschlüssen unterworfen sein.
Volle Zustimmung. Zu solchen persönlichen Glaubenshaltungen und Grundüberzeugungen gehören religiöse Überzeugungen, aber auch die strikte inhaltliche Ablehnung einer Religion. Dazu gehört die Möglichkeit, Marxist zu sein, aber auch die strikte Ablehnung des Marxismus. Auch die Möglichkeit des überzeugten Atheismus gehört dazu. Jede Religion oder politische Ideologie definiert sich durch die Abgrenzung gegen andere ihr widersprechende Glaubensinhalte, das gehört zu ihrem Wesensgehalt. Die Schriftsätze des Antragstellers und der von ihm herangezogenen Gutachterinnen vermitteln den Eindruck, als ob die grundsätzliche kritische Auseinandersetzung mit dem Islam und die Untersuchung seiner kulturellen und soziologischen Wirkungen mit den Grundsätzen der SPD nicht vereinbar sein solle. Das wird vom Text des Hamburger Programms in keiner Weise getragen. Da alle Religionen gleichbehandelt werden sollten, ist zu fragen, wie es dann aus Sicht des Antragstellers mit der grundsätzlichen Kritik an anderen Religionen steht? Ist diese auch mit sozialdemokratischen Grundsätzen nicht vereinbar, oder kommt dem Islam im Gedankengebäude des Antragstellers eine Sonderrolle zu? Wie steht es mit grundsätzli- cher Kritik am Marxismus, wie steht es mit einer klaren antikommunistischen Position, oder soll jede Religions- und Ideologiekritik in der SPD ausgeschlossen sein, die nicht unter dem „Kampf gegen rechts“ subsumiert werden kann? Was für ein Verständnis von Demokratie und Liberalität kommt hier zum Ausdruck?
Tatsächlich verstößt der Antragsteller und nicht ich mit seiner Intoleranz gegenüber der in meinem Buch geübten Islamkritik gegen die zitierte einschlägige Passage des Hamburger Programms.
S. 13f.:
Die gleiche Würde aller Menschen ist Ausgangspunkt und Ziel unserer Politik. Menschen tragen verschiedene Möglichkeit in sich. … Sie sind vernunftbegabt und lernfähig. Sie sind fehlbar, können irren und in Unmenschlichkeit zurückfallen.
Diese Programmsätze werden von mir aus inhaltlicher Überzeugung voll geteilt: Jedem Men- schen kommt die gleiche Würde zu, unabhängig davon, welcher Religion oder politischen Ideologie er anhängt, und unabhängig davon, welch schrecklichen Irrtümern er dabei unter- liegt. Niemals kann die inhaltliche Kritik an den Leitsätzen einer Religion oder Ideologie und die Analyse ihrer kulturellen und soziologischen Auswirkungen die Würde der Gläubigen als Menschen verletzen, auch dann nicht, wenn sie aus der Sicht des Kritikers in schweren Irr- tümern befangen sind.
Darum ist der Vorwurf, meine Kritik am Islam und seinen Auswirkungen verletze die Würde der gläubigen Muslime, sowohl infam als auch unsinnig. Er missversteht das Wesen der Menschenwürde, die als moralische Norm ganz unabhängig von den Meinungen und Eigen- schaften des konkreten Individuums ist.
Auch der größte Verbrecher oder der, der verkehrten politischen Ideologien oder wissen- schaftlichen Irrtümern anhängt, hat die gleiche unveräußerliche Menschenwürde. Und die kritische Auseinandersetzung mit den Hintergründen, Inhalten und Ursachen seiner Verfeh- lungen, Irrtümer und Ideologien kann diese auch nicht beschädigen.
S. 14:
Die Würde des Menschen ist unabhängig von seiner Leistung und seiner wirtschaftlichen Nützlichkeit.
Richtig! Gleichwohl ist es zulässig und kann auch je nach Fragestellung notwendig sein, zu untersuchen, welchen Einfluss kulturelle und religiöse Prägungen auf die Bildungsleistung und die wirtschaftliche Leistung haben. Zu Fragen des Zusammenhangs zwischen Religion und Bildungsleistung zitiere ich auf S. 148 ff. und 264 ff. zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen und umfangreiches statistisches Material. Der Antragsteller und seine Gutachte- rinnen gehen auf die verwendeten Quellen und ihre Qualität überhaupt nicht ein.
S. 15:
Freiheit bedeutet die Möglichkeit, selbstbestimmt zu leben. Jeder Mensch ist zur Freiheit berufen und befähigt … Er muss frei sein von entwürdigenden Abhängigkeiten, von Not und Furcht.
Volle Zustimmung, mit dieser Zielsetzung wurde die SPD vor 157 Jahren gegründet, und we- gen dieser Zielsetzung bin ich der SPD vor 47 Jahren beigetreten. Kein einziger Satz in mei- nem Buch steht dazu im Widerspruch.
S. 15:
Gerechtigkeit gründet in der gleichen Würde jedes Menschen. Sie bedeutet gleiche Freiheit und gleiche Lebenschancen unabhängig vom Geschlecht … Menschen sind und bleiben ver- schieden … Wir wenden uns gegen jede Form von Benachteiligungen oder Privilegien aufgrund der Herkunft, des Standes, der Hautfarbe, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der Religion.
Volle Zustimmung. In meinem Buch beschreibe ich auf S. 164 ff. und 318 ff. Benachteiligun- gen und Zwänge von Menschen, die mit der vorherrschenden religiösen Praxis des Islam in Zusammenhang stehen. Auf S. 369 ff. mache in Vorschläge, wie der säkular-neutrale Staat religiöse Benachteiligungen abbauen und die Bedingungen für gleiche Freiheit und gleiche Lebenschancen unabhängig von der Religion verbessern kann.
S. 15:
Solidarität bedeutet wechselseitige Verbundenheit, Zusammengehörigkeit und Hilfe. Sie ist die Bereitschaft der Menschen, füreinander einzustehen und sich gegenseitig zu helfen. Sie gilt zwischen Starken und Schwachen, zwischen Generationen, zwischen den Völkern. Soli- darität schafft Macht zur Veränderung, das ist die Erfahrung der Arbeiterbewegung. Soli- darität ist eine starke Kraft, die unsere Gesellschaft zusammenhält – in spontaner und in- dividueller Hilfsbereitschaft, mit gemeinsamen Regeln und Organisationen, im Sozialstaat als politisch verbürgter und organisierter Solidarität.
Volle Zustimmung. Bereits in der mündlichen Verhandlung vor der Landesschiedskommissi- on am 10. Januar 2020 hatte ich mich explizit zu den Grundwerten des Godesberger Programms Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität bekannt. Das Hamburger Programm spannt für die Solidarität einen weiten Bogen, der von den Starken und Schwachen über die Gene- rationen bis zu den Völkern reicht.
Im Umgang von Menschen miteinander weist Solidarität immer wieder Mängel auf. Das gilt auch für den innerparteilichen Umgang in der SPD. Beispielhaft verweise ich auf die Ereignisse rund um den Rücktritt des ehemaligen Parteivorsitzenden Andrea Nahles, auf die Ereignisse rund um die Neubesetzung der Position des Wehrbeauftragten sowie auf zahlreiche öffentliche Äußerungen des ehemaligen Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel zum Zustand der SPD und auf die Vorgänge um sein Beratungsmandat beim Fleischverarbeiter Tönnies. Ich verweise auf die persönlich herabsetzende Kritik an meiner Person, einem SPD-Mitglied seit 47 Jahren, u.a. aus dem Mund der prominenten Parteimitglieder Sigmar Gabriel, Karl Lauterbach, Ralf Stegner. Kevin Kühnert oder des amtierenden Generalsekretärs Lars Klingbeil.
Im Unterschied dazu habe ich mich stets öffentlicher Kritik an der SPD und an einzelnen ihrer Führungskräfte weitgehend enthalten. Schon gar nicht war diese Kritik jemals persönlich herabsetzend. In meinen Büchern und den öffentlichen Lesungen aus diesen kommt die SPD mitsamt der jeweils gerade amtierenden Parteiführung überhaupt nicht vor. Das gilt auch für die Lesung in Wien am 15. März 2019.
Die oben zitierte Definition von Solidarität im Hamburger Programm umfasst zwar die ge- samte Menschheit. Sie enthält aber keinen konkreten Bezug auf die Solidarität, die innerhalb der SPD Funktionäre und Parteimitglieder einander schulden. Soweit man hier Solidaritäts- mängel beklagen kann, können sie unsolidarische öffentliche Äußerungen von mir schon deshalb nicht betreffen, weil es diese schlichtweg nicht gibt. Geradezu abenteuerlich ist es, einen fachlichen Vortrag im Ausland, bei dem das Thema SPD überhaupt keine Rolle spielt, deshalb als Verstoß gegen die Solidarität zu brandmarken, weil dort Vertreter ausländischer demokratischer Parteien teilnahmen. Zum Zeitpunkt meiner Lesung koalierte die SPÖ im Bundesland Burgenland mit der FPÖ, und diese stellte den Vizekanzler in der Republik Öster- reich.
S. 20:
Wir begegnen anderen Völkern mit Freundschaft, Offenheit und Respekt. Zum kulturellen Erbe der Menschheit haben viele Zivilisationen ihren Beitrag geleistet. Diejenigen, die ei- nen Kampf der Kulturen beschwören, erteilen wir eine klare Absage.
Volle Zustimmung. Darum setze ich mich auf S. 192 ff. und S. 318 ff. ff. mit islamischer Demokratiefeindlichkeit, Fundamentalismus und Terror auseinander. Stets gilt in dieser Welt auch der Satz von Friedrich Schiller: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“
S.24:
Ohne gleichberechtigte Teilhabe von Frauen auf der ganzen Welt sind Demokratie, globale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung nicht möglich.
Volle Zustimmung. Darum setze ich mich auf den S. 164 ff. und 351 ff. ausführlich und kri- tisch mit der abhängigen und gedrückten Rolle der Frauen in der islamischen Welt und unter den Muslimen des Abendlandes auseinander und mache auf S. 399 ff. Verbesserungsvor- schläge für die internationale und deutsche Politik.
S.25:
Die gefährlichste Ausprägung entstaatlichter Gewalt ist der Terrorismus.
Richtig, darum befasse ich mich auf S. 164 ff., 297.ff. und 346. ff. ausführlich mit religiösem Fundamentalismus, Kriminalität und Terrorismus.
S.26:
Der Staat ist nicht zuständig für Wahrheit, weder philosophische noch religiöse noch historische, wohl aber für die Bedingungen der Wahrheitsfindung.
Richtig. Darum muss der demokratische liberale Staat ein säkular-neutraler Staat sein, der alle Religionen strikt gleichbehandelt und religiös bedingte Übergriffigkeiten auf Gläubige und Ungläubige gleichermaßen unterbindet. Für Deutschland mache ich dazu auf S. 399 ff. konkrete Vorschläge.
S.35:
Der Rechtsstaat hat für Sicherheit zu sorgen. In Deutschland wird diese bedroht durch Kriminalität, auch organisierte und international vernetzte, durch Extremisten und Terroristen.
Richtig. Die islamistischen terroristischen Gefahren, aber auch die Kriminalität muslimischer Einwanderer werden in meinem Buch auf S. 233 ff., S. 297 ff. und S. 346 ff. ausführlich analy- siert und abgehandelt
S.36:
Wir Sozialdemokraten ächten Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.
Volle Zustimmung. In der Aufzählung vermisse ich allerdings die Ächtung von Linksextremismus.
Im Hamburger Programm der SPD kommt das Wort Rassismus nur einmal vor, nämlich in dem oben zitierten Satz. Nach der Antirassismus-Definition der UNO ist rassistische Diskriminierung eine „ auf der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung“. Auch die Antirassismusrichtlinie der EU (Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft) stellt ausschließlich auf Rasse oder ethnische Herkunft, nicht aber auf Religion oder Kultur ab. Da das 2007 verabschiedete Hamburger Programm denBegriff des Rassismus nicht näher spezifiziert, ist davon auszugehen, dass es den üblichen Sprachgebrauch zugrunde legt, wie er sich in der UNO-Definition oder der EU-Antidiskriminierungsrichtlinie widerspiegelt.
Muslime sind aber keine Rasse, sondern eine Religionsgemeinschaft, sie gehören ganz unterschiedlichen Rassen, Ethnien oder Völkern an. Das gemeinsame Merkmal ist die Religion und deren kulturelle Prägung. Eine kritische Haltung gegenüber den kulturellen Wirkungen der islamischen Religion wird in keiner Weise vom gültigen Rassismusbegriff der UNO oder der einschlägigen EU-Richtlinie abgedeckt.
In der Urteilsbegründung der Landesschiedskommission heißt es „Die Analyse und Schluss- folgerungen des Antragsgegners zeigen trotz des erkennbaren Bemühens um Wissenschaft- lichkeit deutlich antimuslimisch – rassistische Denkmuster und stehen in eklatantem Wider- spruch zur aufgezeigten Programmatik der SPD“. Die „Programmatik der SPD“ – womit wohl das Hamburger Programm gemeint ist – kennt aber nirgendwo einen „kulturellen“ oder “an- timuslimischen“ Rassismus. Meine Analysen sind also, egal wie man sie bewertet, insofern jedenfalls kein Programm-Verstoß.
Die renommierte Islamwissenschaftlerin Prof. Susanne Schröter von der Universität Franfurt kritisiert, „der Begriff des `antimuslimischen Rassismus ́ führt komplett ins Abseits. Der jüdische Philosoph Alain Finkielnkraut ist vor kurzem daran gehindert worden, an der Sciences Po einen Vortrag zu halten mit der Begründung des `antimuslimischen Rassismus ́. Da sieht man, wie absurd das ist.“ (Welt vom 8. Mai 2019).
Die aus Saudi-Arabien stammende Kolumnistin Khulud Alharthi war 2019 unter Lebensgefahr aus Saudi-Arabien geflohen, wo sie von ihrer strenggläubigen Familie unterdrückt und eingesperrt wurde. Sie beklagt zur Debatte in Deutschland: „Indem die Islamkritiker mit Rassisten gleichgestellt werden, stigmatisiert man ihre Position. Ein wahrlich perfider Kniff: Die Islamkritiker, die sich gegen die Diskriminierung von Frauen und Minderheiten und für die Freiheit und Gleichberechtigung aller Menschen einsetzen, werden mit den Freiheitsfeinden am politisch rechten Rand gleichgesetzt“. (Welt vom 23. März 2020)
Der Vorwurf des „antimuslimischen Rassismus“, den die drei Gutachterinnen Shoo- man/Albrecht/Pink erheben, und den die Landesschiedskommission in ihrer Urteilsbegrün- dung aufgreift, beruht auf einem definitorischen Trick: Die Gutachterinnen definieren grundsätzliche Kritik am Islam und seinen Erscheinungsformen als antimuslimischen kulturellen Rassismus. Deshalb kommen sie überall dort, wo sie bei mir auf Islamkritik stoßen, die ihnen nicht gefällt, zum „Ergebnis“, hier liege antimuslimischer kultureller Rassismus vor. Das ist aber ein logischer Zirkelschluss, der sich aus der eigenen Definition ergibt. Nirgendwo bestreiten Shooman/Albrecht/Pink von mir vorgetragene empirische Sachverhalte. Sie un- terstellen mir aber, ich hätte sie nur aus dem Grund benannt, um ein kulturrassistisches Vorurteil zu untermauern und Unterschiede quasi zu „erfinden“.
Prof. Dr. Nagel führt dazu in seiner Stellungnahme vom 12.11.2019 aus: „Blickt man von hieraus auf Sarrazins Buch, so fragt man sich, wo darin Unterschiede `erfunden ́ werden. Genau das müssen Shooman, Albrecht und Pink unterstellen, um den Vorwurf des antimuslimischen Rassismus gegen Sarrazin zu begründen. Mit den von Sarrazin vorgetragenen Sachverhalten selbst klappt das nicht, deshalb müssen sie zu dem pauschalen Vorwurf greifen, seine Quellen bzw. Belege seien vielfach unseriös. Auf eine explizite Darlegung und Be- gründung der `Unseriosität ́ wartet man freilich vergebens. Folglich hat man nichts weiter als einen rhetorischen Winkelzug vor sich, mit dem sich die Gutachterinnen der Pflicht zu einer an der Sache selbst orientierten Auseinandersetzung entledigt zu haben vermeinen. Der Vorwurf der Vortäuschung von Wissenschaftlichkeit (Pink, S.5) fällt auf sie selbst zurück.“
S.36:
Für religiös begründeten Extremismus ist in unserem Land kein Platz. Menschenrechte lassen sich auch durch Berufung auf religiöse Regeln oder Traditionen nicht außer Kraft set- zen, hier liegt die Grenze unserer Toleranz gegenüber anderen Kulturen.
Richtig, das bestätigt in Geist und Buchstaben die Intentionen und Analysen meines Buches.
S. 36:
Einwanderer müssen sich integrieren, wir müssen ihnen dazu alle Möglichkeiten geben, am Leben der Gesellschaft teilzunehmen. Darum verlangt Integration faire Chancen, aber auch klare Regeln.
Volle Zustimmung. Das Kapitel 5 meines Buches enthält auf S. 402 ff. Maßnahmenvorschläge zur Verbesserung der Integration von Muslimen in Deutschland und zu den klaren Regeln des Zusammenlebens. Es erfüllt insofern den zitierten Programmsatz mit Leben und steht keineswegs im Widerspruch zu ihm.
S. 36:
Unser Grundgesetz bietet Raum für kulturelle Vielfalt. Daher braucht niemand seine Her- kunft zu verleugnen. Es setzt aber auch Grenzen, die niemand überschreiten darf, auch nicht unter Hinweis auf Tradition oder Religion. Daher darf niemand Frauen und Mädchen daran hindern, sich frei zu entfalten und zu bilden.
Richtig. An dieser Stelle spricht das Hamburger Programm Probleme an, die im Gegensatz zu anderen Religionen weit überwiegend mit der Religion des Islam zusammenhängen. Auf den S. 164 ff. und 351. Ff. beleuchte ich diesen Zusammenhang ausführlich und mit reichem em- pirischem Material.
S. 37:
Wer in Deutschland gleiche Chancen haben will, muss die deutsche Sprache lernen und schließlich beherrschen.
Richtig. Auf S. 264 ff. gehe ich auf den Einfluss von Religion und Herkunft auf kognitive Kom- petenzen von Migranten, wozu auch die Sprachkompetenz gehört, näher ein. Es zeigt sich, dass Einwanderer mit muslimischem Glaubenshintergrund überall in Europa beim Erlernen der Sprache des Einwanderungslandes größere Defizite haben als andere Gruppen von Mi- granten.
S. 37:
Wir stehen zum Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte.
Volle Zustimmung. Politisches Asyl sollte aber nicht missbraucht werden für Einwanderung, die durch Wohlstandsunterschiede getrieben ist. Darum mache ich in dem Buch auf S. 389 ff. konkrete Vorschläge für die künftige Einwanderungspolitik unter Wahrung des Rechts auf politisches Asyl.
S. 38:
Wir brauchen eine Kultur der Anerkennung, die der Ausgrenzung von Minderheiten und ebenso der Bildung von Parallelgesellschaften entgegenwirkt. Wir wollen kulturelle Vielfalt statt fundamentalistischer Verengungen und der Politisierung von religiösen und kulturel- len Unterschieden.
Volle Zustimmung. Auf S. 278 setze ich mich ausführlich mit den mentalen Bedingungen und Erscheinungsformen von Parallelgesellschaften auseinander. Auf S. 402 ff. mache ich Vor- schläge, wie man Integrationshindernisse beseitigen und Assimilation verbessern kann.
S. 39:
Friedliche Vielfalt wird nur möglich sein, wenn wir uns unserer geistigen Vielfalt in christ- lich-jüdischer Tradition … und in Humanismus und Aufklärung versichern. Nur eine ebenso wertefundierte wie tolerante Kultur kann sich gegen den Versuch behaupten, Kultur und Religion als Mittel der Ausgrenzung zu missbrauchen. Für die Dialog der Religionen und das friedliche Zusammenleben in Deutschland ist der Beitrag der hier lebenden Muslime unverzichtbar.
Volle Zustimmung. Kulturelle Basis unserer Gesellschaft sind christlich-jüdische Tradition, Humanismus und Aufklärung. Auch die hier lebenden Muslime müssen ihren Beitrag für den Dialog der Religionen und das friedliche Zusammenleben in Deutschland leisten. Den politi- schen und gesellschaftlichen Rahmen dazu und entsprechende Reformvorschläge skizziere ich auf S. 369 ff.
S. 39:
Wir bekennen uns zum jüdisch-christlichen und humanistischen Erbe Europas und zur Tole- ranz in Fragen des Glaubens. Wir verteidigen die Freiheit des Denkens, des Gewissens, des Glaubens und der Verkündigung.
Volle Zustimmung. Umso ernster ist die Gefährdung zu nehmen, die daraus erwächst, dass ein großer Teil der Muslime in Deutschland und der Welt fundamentalistische Einstellungen hat und dem säkularen religionsneutralen Staat kritisch bzw. feindlich gegenübersteht.
S. 41:
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen, dass Frauen und Männer gleiche Rechte und Chancen haben.
Volle Zustimmung, Umso bedenklicher sollte aus sozialdemokratischer Sicht die vielfach ge- drückte und eingeschränkte Rolle von Frauen in den islamischen Ländern und in den musli- mischen Gesellschaften im Abendland sein. Ein Schwerpunkt meines Buches ist die Ausein- andersetzung mit den damit verbundenen Fragen auf S. 164 ff. und S. 351 ff.
S. 42:
Wir wollen eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an existenzsichernder Erwerbsarbeit.
Volle Zustimmung. Umso bedenklicher ist es, dass weltweit und auch in Deutschland die Ge- schlechterdiskrepanz zwischen der Erwerbstätigkeit von Männern und Frauen bei keiner Religion so groß ist wie bei den Muslimen. Darauf gehe ich an zahlreichen Stellen meines Buches ein, siehe insb. S. 278 ff.
S. 61:
Auch für die Integration Zugewanderter ist Bildung der Schlüssel.
Volle Zustimmung. Deshalb ist es besonders bedenklich, dass die Bildungsleistung von Mus- limen weltweit unter der Bildungsleistung von Angehörigen anderer Weltreligionen liegt, und dass in Deutschland und allen europäischen Ländern die Bildungsleistung von Migranten mit muslimischen Glaubenshintergrund (und deren Nachfahren) unter der Bildungsleistung von anderen Migrantengruppen liegt. Das schlägt auch durch auf religionsbezogene Unter- schiede bei der beruflichen Qualifikation, der Erwerbstätigkeit und der Transferabhängigkeit. (vgl. dazu in meinem Buch S. 148 ff. und S. 264 ff.)
S. 63:
Wir wollen, dass Schulen selbstständiger arbeiten. Sie erhalten verbindliche Standards, und ihre Leistungsfähigkeit wird regelmäßig überprüft.
Volle Zustimmung. Entsprechende Vorschläge mache ich in meinem Buch auf S. 414 ff. S. 65:
Unser Leitbild ist die Familie, in der Mutter und Vater gleichermaßen für Unterhalt und Fürsorge verantwortlich sind.
Volle Zustimmung. Dieses Leitbild wird weltweit und in Deutschland bei keiner Religionsge- meinschaft so stark verletzt wie bei muslimischen Familien.
S. 67:
Die Geschichte hat uns gelehrt: Nicht Systeme, sondern Menschen ändern die Verhältnisse. Eine bessere Zukunft kommt nicht von selbst, sie muss erdacht und erstritten werden.
Richtig. Darum wurde ich vor 47 Jahren Mitglied der SPD. Darum war ich stets ein gesell- schaftspolitisch wacher Zeitgenosse, der sich beruflich in ganz unterschiedlichen Funktionen für eine bessere Gesellschaft eingesetzt hat, und darum behandle ich in meinen Büchern Themen von gesellschaftspolitischem Interesse.
Zusammenfassung
Für die islamischen Länder sind das Fehlen von Demokratie, die Bildungsrückstände und die Mängel in der wirtschaftlichen Entwicklung weltweit evident. Die jüngst erschienenen Bü- cher der Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter Der politische Islam. Stresstest für Deutschland und des Migrationsforschers Ruud Koopmans Das verfallene Haus des Islam sind mit umfassendem empirischem Material in ihrer Islamkritik weitgehend deckungsgleich mit der Analyse meines Buches. Beide Autoren werden ja auch mit früheren Äußerungen wiederholt in meinem Buch zitiert. Sie sind Teil meiner Quellen, die die Gutachterinnen pauschal als unseriös kritisieren.
In meinem Buch stelle ich die wissenschaftliche Hypothese auf, dass die beschriebenen Prbleme der islamischen Welt mit der kulturellen Prägung durch die Religion des Islam zu- sammenhängen. Diese Hypothese ist prinzipiell falsifizierbar. Dazu müsste man sich bemü- hen, meine empirischen Belege zu widerlegen oder sie anders zu erklären.
Diesen Versuch machen der Antragsteller und die von ihm beauftragten Gutachterinnen aber nirgendwo. Sie versehen stattdessen meine grundsätzlich falsifizierbare wissenschaftli- che Hypothese mit einem negativen moralischen Werturteil, das sie in die Vokabel „antimus- limischer kultureller Rassismus“ fassen. Dieses negative moralische Werturteil bleibt nach den verschiedenen Schriftsätzen des Antragstellers und den Urteilsbegründungen der Kreis- und der Landesschiedskommission die einzige Begründung, um auf der Basis meines Buches meinen Parteiausschluss zu betreiben.
In der Programmatik des Hamburger Programms ist solch eine Begründung jedenfalls nicht zu finden. Wie oben ausführlich gezeigt, steht der Inhalt meines Buches an keiner Stelle zum Hamburger Programm in Widerspruch. Den Nachweis solch eines Widerspruchs hätte der Antragsteller konkret führen müssen, um seinen Ausschlussantrag zu begründen. Das ist in allen von ihm seit dem 7. Januar 2019 vorgelegten Schriftsätzen nicht geschehen.
Es bleibt den vom Antragsteller beauftragten Gutachterinnen selbstverständlich unbenommen, meine Analysen und die Schlussfolgerungen daraus abzulehnen. Nirgendwo aber wei- sen sie mir eine einzige wesentliche falsche Tatsachenbehauptung nach. Nirgendwo ziehen sie meine Quellen, meine Zitate, die von mir angeführten Statistiken konkret in Zweifel. Sie lehnen meine Fragestellung ab und verurteilen allein aus diesem Grund ein Werk, in dem sie keinen einzigen wesentlichen sachlichen Fehler nachgewiesen haben.
Wie schon die intensiven theologischen Streitigkeiten in der islamischen Religionsgemeinschaft selber zeigen, kann man mit gutem Recht auf der Basis derselben Schriftzeugnisse zu sehr unterschiedlichen Urteilen über die Inhalte der islamischen Religion kommen. Dieses Recht nehme ich auch für mich in Anspruch. Meine Einschätzung der wesentlichen Kernaus- sagen der islamischen Religion wird über weite Strecken von zahlreichen muslimischen Theologen und Islamwissenschaftlern gestützt. Der renommierte Arabist Prof. Nagel betont ausdrücklich, dass hinsichtlich des Inhalts des Korans „an Sarrazins Wiedergabe nichts zu beanstanden“ ist. (S. 13 des Gutachtens vom 7. August 2019). Selbst die vom Antragssteller beauftragte Johanna Pink kann bei der Darstellung des Inhalts der islamischen Religion in Kapitel 1 meines Buches offenbar keine Falschaussagen entdecken. Sonst hätte sie diese sicherlich benannt.
Auch die vom Antragsteller und den Gutachterinnen aufgestellte Behauptung, ich spräche dem Islam die historische Wandelbarkeit ab und legte die Muslime auf eine unwiderrufliche Rolle fest, ist falsch. Zahlreiche Aussagen in meinem Buch belegen das Gegenteil (vgl. Zitat- auswahl in der Anlage)
Es ist auch sonst auffallend, dass Johanna Pink sich in ihrer Stellungnahme vom 13. Oktober 2019 mit den konkreten Aussagen des Buches kaum befasst und jedenfalls keine einzige da- von falsifiziert. Stattdessen entblödet sie sich nicht, den Basler Kulturwissenschaftler Jacob Burckhardt, aus dessen weltberühmtem Standardwerk Weltgeschichtliche Betrachtungen ich zitiere, einen Kulturrassisten zu nennen. Dabei kommt in seinem 150 Jahre alten monumen- talen Werk das Wort Rasse gar nicht vor. In Burckhardts Fokus stehen Kulturen und Religio- nen, nicht Rassen. Johanna Pink projiziert den ideologischen Kampfbegriff „kultureller Ras- sismus“, der zu Burckhardts Zeiten noch gar nicht existierte, auf dessen kulturhistorische Forschungen. Das ist ein vorgreifender Anachronismus (mit wesentlich mehr Berechtigung könnte man als Argument gegen den Marxismus den notorischen und vielfach belegten Rassismus und Antisemitismus von Karl Marx anführen).
Unerhört und anmaßend ist die haltlose Behauptung von Shooman/Albrecht, meine Quellen seien unseriös. Damit wollen sie wohl entschuldigen, dass sie keine einzige meiner Zahlen oder Sachbehauptungen widerlegen oder sich auch nur darum bemühen. Schon die Autoren- liste der von mir zitierten Monographien (S. 8 ff. des Schriftsatzes vom 21.2.2020) beweist die Seriosität meiner Quellen. Selbst wenn ich in meinen Analysen irrte, wäre dies noch kein moralischer Schuldvorwurf. Die Gutachterinnen können die sachliche Richtigkeit der von mir zitierten Zahlen und Sachverhalte nicht erschüttern und versuchen dies auch gar nicht erst. Das sachlich Unbestrittene entzieht sich aber einer moralischen Bewertung und kann auch durch die Abwertung des Autors nicht widerlegt werden.
Zur Einordnung der Anwürfe gegen mich habe ich die in den Schriftsätzen des Antragstellers aufgeführten Zitate in einem Exemplar des Buches markiert, um ein Verständnis für die Zitatauswahl zu gewinnen. Dabei fällt auf: Alle von mir aufgeführten Fakten und empirischen Untersuchungen lässt der Antragsteller bei seiner Zitatauswahl links liegen. Sie haben ihn offenbar nicht interessiert, er macht sich nicht die Mühe, sie zu untersuchen oder zu bestreiten. Vorgeworfen werden mir jene Passagen, in denen ich das Ergebnis der unter- suchten Fakten interpretiere und schlüssig zusammenfasse. Um meine Zusammenfassungen und Interpretationen zu erschüttern, müsste man mir Faktenfehler oder logische Gedanken- fehler nachweisen. Darauf verzichtet der Antragsteller ebenso wie seine Gutachterinnen vollständig. Er weiß ja nur zu gut, dass dieser Nachweis nicht möglich ist.
Dazu ein Beispiel: Auf S. 148 meines Buches steht zum weltweiten religionsbezogenen Bildungsvergleich der Satz „Die durchschnittlich niedrigste formale Bildung haben die Muslime.“ Dieser Satz zählt zur Zitatauswahl der mir vorgeworfenen Aussagen. Daneben steht im Buch eine Tabelle über die weltweiten Bildungsabschlüsse religiöser Gruppen, die genau diese Aussage eindrucksvoll belegt. Diese Tabelle wird ebenso ignoriert wie die gesamten Textpassagen mit Untersuchungen zum Vergleich von Bildungsleistungen und kognitiven Kompetenzen auf den S. 148 ff. und 264 ff., untermauert durch zahlreiche Verweisungen auf die einschlägige Literatur.
Dieses Verfahren wendet der Antragsteller für das gesamte Buch an: Er klammert die von mir angeführten Fakten vollständig aus. Zur Last gelegt werden mir jene Textpassagen, in denen ich aus den aufgeführten Fakten schlüssig begründete Schlussfolgerungen ziehe. Die- se sollen offenbar als Beleg für meine verwerfliche Gesinnung diesen. Aber es ist schlicht nicht möglich, aus dem Umstand, dass ich unwillkommene aber unbestrittene Fakten anfüh- re und analysiere, einen Widerspruch zu sozialdemokratischen Grundwerten und Grundsät- zen zu konstruieren.
Von der mündlichen Verhandlung vor der Bundesschiedskommission erwarte ich mir nun endlich eine seriös durchgeführte Beweisaufnahme. Das bedeutet für mich, jedes einzelne Zitat aus meinem Buch, das der Antragsteller gegen mich ins Feld führt, in dem Gesamtzusammenhang, in dem es steht, auf seine Nichtübereinstimmung mit den Programmsätzen des Hamburger Programms zu überprüfen. Dem ist der Antragsteller bisher mit Erfolg aus- gewichen. In den mündlichen Verhandlungen vor der Kreisschiedskommission und der Lan- desschiedskommission wurde es mir leider verweigert, Zitate aus meinem Buch, die mir vorgeworfen werden, konkret und in dem sachlichen Zusammenhang, in dem sie im Buch stehen, zu diskutieren.
Anhang
Das Hamburger Programm der SPD und der Inhalt des Buches Feindliche Übernahme: Ausgewählte Zitate aus Feindliche Übernahme zur Variabilität und Reformfähigkeit der Islamischen Lehre:
S. 21
„Zu den Gefahren des Islam gilt deshalb: …. Die individuelle Erzählung hilft nur begrenzt, denn es gibt sowohl negative als auch positive Beispiele in großer Zahl. Entscheidend ist das Verhältnis der Zahlen, ihr positiver oder negativer Trend, die Gefährlichkeit negativer Er- scheinungen, die Wahrscheinlichkeit endogener Veränderungen und die Möglichkeit, Verän- derungen exogen zu bewirken.“
S. 21 f.
Ich versuche, „das Spektrum der Deutungen des Islam aufzufächern, und untersuche näher, was Muslime unter dem Islam verstehen und wie der Islam die Lebenswelt, die Gesellschaf- ten und die Mentalität der Muslime prägt. Dazu sammle ich verfügbare Fakten und interpre- tiere ihren inneren Zusammenhang. Bei meinen Deutungen versuche ich, nicht voreilig zu sein. Wer ihnen nicht folgt, wird die von mir dargelegten Fakten gleichwohl nicht übergehen können. Er muss sie in diesem Falle anders erklären.“
S.25:
„Gläubige Muslime nehmen in ihrer großen Mehrheit den Text des Korans als Botschaft Gottes wörtlich. So wird es vom Gesandten Gottes, dem Propheten Mohammed, verlangt und so sehen es auch überwiegend die heute im Islam vertreten Lehrmeinungen.
Eine historisch-kritische Interpretation des Textes könnte – ähnlich wie im Fall der Bibel – auch zu einem anderen Ergebnis kommen. Sie gilt aber bei vielen Autoritäten des Islam als unislamisch. Die Anhänger einer historisch-kritischen Interpretation werden mit dem Vor- wurf der Gotteslästerung (Apostasie) konfrontiert oder müssen gar um ihr Leben fürchten.“
S. 51
„Es gab zu jeder Zeit und es gibt auch heute sehr fortschrittliche und liberale islamische Theologen und Rechtsgelehrte. Allerdings waren sie stets in der Minderheit. Generell domi- nierten und dominieren aber traditionelle und manchmal fundamentalistische Auffassungen. Der Mainstream des islamischen Rechts konnte sich niemals ausreichend von der Religion des Islam und folglich auch von dem Gesellschaftsbild, das der Islam vermittelt, trennen – etwa in Bezug auf die Rolle der Frauen, auf die Haltung zu den Ungläubigen, auf die Legiti- mation des Staates oder auf Demokratie und Meinungsfreiheit.“
S. 55
„Bei den Vertretern liberaler Positionen der Koran-Interpretation handelt es sich zumeist um Publizisten und Islamwissenschaftler, die im Westen leben“ …. „Solche Stimmen sind auch unter den Muslimen in Deutschland und Europa Außenseiterpositionen. In großen Teilen der islamischen Welt könnten sie ihre Interpretationen ohne Gefahr für Leib und Leben gar nicht vorbringen.“
S. 56
„Je nach dem Grad der Abweichung von einer wörtlichen Interpretation islamischer Texte, insbesondere des Korans, sind zahlreiche Interpretationen möglich … Und selbst die wört- lichste Interpretation muss mit der objektiven Unschärfe vieler Textstellen und den gar nicht oder widersprüchlich geregelten Sachverhalten umgehen.“
S.60
„Die Problematik des Islamismus bis hin zum Terrorismus ist in der vorherrschenden Traditi- on des Islam angelegt. Der französische Schriftsteller und liberale Muslim Tahar Ben Jelloun sagt dazu: `Im Allgemeinen akzeptieren Muslime das System der Laizität nicht. Denn für sie ist der Islam alles, eine Religion, eine Moral, eine Weltanschauung, eine tägliche Praxis ́“
S. 61
„Mittlerweile äußert Bassam Tibi die Einschätzung, dass seine Idee vom Euro-Islam gescheitert sei, allenfalls 5 Prozent der deutschen Muslime leben auf individueller Ebene einen europäischen Islam.“
S. 425
„Die geistige Reform des Islam ist eine Aufgabe der Muslime. Der tolerante mit Demokratie und Pluralität kompatible Islam ist bislang in der islamischen Welt ein Projekt kleiner Min- derheiten. Außer den Büchern einiger islamischer Intellektueller in Europa gibt es dazu bis- her wenig. Die weitere Entwicklung zu einem liberalen, mit der Moderne und der Demokra- tie kompatiblen Islam hängt von den Muslimen selber ab.“