Tichys Einblick
STREIT UM ANTISEMITISMUS

Die Kampagne gegen den Antisemitismus-Beauftragten Felix Klein

Nachdem 60 Intellektuelle schwere Vorwürfe gegen den Antisemitismusbeauftragen Felix Klein und der Verwendung des Antisemitismus-Begriffs machten, melden sich nun die größten jüdischen Verbände und Gemeinden zu Wort.

imago Images/photothek

In einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel stellten sich vor kurzem 60 Wissenschaftler und Intellektuelle als „besorgte deutsche und israelische Bürgerinnen und Bürger“ vor, die den Antisemitismusbeauftragten Felix Klein kritisieren. Der Brief vom 24.07.2020 beginnt folgendermaßen:

„Unsere Sorge gilt der drohenden Annexion palästinensischer Gebiete durch Israel sowie dem inflationären, sachlich unbegründeten und gesetzlich unfundierten Gebrauch des Antisemitismus-Begriffs, der auf die Unterdrückung legitimer Kritik an der israelischen Regierungspolitik zielt. Unsere Sorge ist besonders groß da, wo diese Tendenz mit politi- scher und finanzieller Unterstützung des Antisemitismusbeauftragten gefördert wird.“

Es geht den Verfassern einerseits um die bevorstehende Annexion der palästinensischen Gebiete, andererseits um einen ihrer Ansicht nach falschen Gebrauch des Antisemitismus-Begriffes, der dazu führe, Kritik an Israels Politik zu unterdrücken. Unter den Verfassern ist Professor Wolfang Benz, der ehemalige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung. Erst vor kurzem brachte Benz als Herausgeber einen wissenschaftlichen Sammelband heraus, der vielfach in der Kritik steht. Die Verfasser stellen den Posten eines Antisemitismusbeauftragen bereits vollständig in Frage und schlagen vor, Antisemitismus als Teil eines „systematischen Rassismus“ zu führen. Auch wurde nicht nur die Position deutlich, dass die Autoren mit der israelischen Besatzungspolitik nicht einverstanden sind, sondern sie verharmlosten Formen des Antisemitismus bis hin zu einer Leugnung. Die Autoren dieser Publikation, Moshe Zimmermann, Gert Krell, Alexandra Senfft, Micha Brumlik und Katajun Amirpur, sind ebenso Verfasser des Briefes.

Der Vorwurf in dem Brief an Felix Klein ist schwerwiegend: 

„Mit der Unterstützung rechtspopulistischer israelischer Stimmen lenkt der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus die Aufmerksamkeit von realen antisemitischen Gesinnungen und Ausschreitungen ab, die jüdisches Leben in Deutschland tatsächlich gefährden.“

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In dem Brief wird unter anderem eine Förderung der Publikation „Der neu-deutsche Antisemit“ von Arye Sharuz Shalicar kritisiert, indem der Historiker Reiner Bernstein geschmäht werde. Doch dies ist eine Falschbehauptung. Die Bundesregierung finanzierte nicht Shalicars Buch mit, sondern eine Veranstaltungsreihe der Deutsch-Israelischen Gesellschaft über Antisemitismus in Deutschland im Jahr 2019, auf der Shalicar als Rednerin auftrat. 

Des Weiteren heißt es: 

„Wo kritischer Dialog notwendiger denn je ist, schafft die missbräuchliche Verwendung des Antisemitismusvorwurfs zunehmend auch in Deutschland eine Stimmung der Brandmar- kung, Einschüchterung und Angst.“

Diese Argumentation gleicht den Positionen in der neuen Publikation von Benz. In dieser wird argumentiert, dass man sich zu stark auf den Israel-bezogenen Antisemitismus fokussieren würde, wodurch Kritik an der israelischen Besatzung nicht erlaubt würde. Gleichzeitig werden in dem Sammelband jedoch Verharmlosungen von Antisemitismus begangen, indem dem Ruf „Du Jude“ aberkannt wird, eine antisemitische Konnotation haben zu müssen. Genauso wurde der Angriff eines Syrers auf einen Kippa-Träger in Berlin nicht als eine antisemitische Tat anerkannt und stattdessen in einen politisierten Kontext des Nahost-Konfliktes eingeordnet. 

Rückendeckung für Felix Klein

Die Buch-Publikation und der darauffolgende offene Brief erscheinen zusammen wie eine gezielte Kampagne, vor allem gegen Felix Klein. Auffällig ist auch, dass Klein den Historiker Achille Mbembe kritisierte, den wiederum die Verfasser des Sammelbands gegen Antisemitismus-Vorwürfe in Schutz nehmen. Dass dieser Meinung — sowohl des Briefes als auch des Sammelbands — anscheinend nur eine kleine Minderheit anhängt, zeigt sich nun an einem neuen offenen Brief vom 29.07.2020: Diesmal sind es der Zentralrat der Juden und die größten jüdischen Verbände und Gemeinden in Deutschland, die sich an die Bundeskanzlerin wenden und sich hinter den Antisemitismusbeauftragten Felix Klein stellen:

„In einer beispiellosen Kampagne wurde in den letzten Wochen der Bundesbeauftragte gegen Antisemitismus, Dr. Felix Klein, angegriffen. Wofür? Dafür, dass er ALLE Formen des Antisemitismus benennt und ihnen entgegentritt und dafür, dass er der Antisemitismus-Definition der IHRA (International Holocaust Rememberance Alliance) folgt, welche von über 35 Staaten angenommen wurde. Auch von der Bundesregierung, deren Auswärtiges Amt in diesem Jahr den IHRA-Vorsitz hat.

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In dem Brief verteidigen sie den gegenwärtigen Antisemitismusdiskurs und Felix Kleins Arbeit: Ebenso haltlos ist die Behauptung, die Meinungsfreiheit werde eingeschränkt, und zwar von Felix Klein. Wir stellen fest: Endlich wird angefangen, die verschiedenen Ausprägungen des Judenhasses zu erkennen und zu benennen. Deren Ursachen wurden noch nicht mal erwähnt, geschweige denn kritisiert.

Nur wenn Antisemitismus in all seinen Ausprägungen erfasst und benannt wird, ist es möglich, diesen zumindest einzudämmen. Dies sehen wir durch die Arbeit von Dr. Felix Klein gewährleistet. Er engt den Begriff nicht auf eine politische Richtung ein, sondern benutzt ihn umfassend. Egal, ob Antisemitismus von Rechtsextremisten kommt, aus der Mitte der Gesellschaft, von islamischen Fundamentalisten oder von Linksradikalen.“

Die Verfasser und Verteidiger Felix Kleins betonen, es sei „zynisch“ den Schutz der Meinungsfreiheit für diejenigen einzufordern, die „nur eine ‚Friedenslösung‘ für den Nahen Osten kennen: Die Vernichtung Israels“. Sie beobachten, dass Kritik an dem Handeln der israelischen Regierung als Vorwand genommen werde, um judenfeindliche Ressentiments zu äußern, was eine Form des Antisemitismus sei. 

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Ziemlich deutlich werden die Verfasser ebenso hinsichtlich des scharfen Vorwurfs, dass der Antisemitismus-Begriff missbräuchlich verwendet wurde und damit Kritik an der Besatzung von palästinensischen Gebieten unterdrückt werde. „Es ist antisemitisch, Jüdinnen und Juden hier in Deutschland für die Handlung der israelischen Regierung verantwortlich zu machen.“ Dies erleben Jüdinnen und Juden seit Jahrzehnten und die Behauptung, dass man Israel nicht kritisieren könne, sei bereits ein Teil des Ressentiments. Und die Verfasser setzten noch eins drauf: „Wir wissen, dass der moderne Antisemit gelernt hat, seinen Judenhass sozial adäquat auszudrücken. Statt: ‚Ich hasse Juden!’ sagt er: ‚Ich hasse Israel!’“

Auch der Historiker Michael Wolffsohn nahm in einem Interview in der Jüdischen Allgemeinen Klein in Schutz und kritisierte die 60 Brief-Autoren: „Kern ihrer Haltung ist Hass auf nationale und religiöse Personen und Parteien in Israel, auf Konservativ-Liberale weltweit, die sie gerne mit Trump gleichsetzen oder vergleichen, sowie nicht zuletzt auf das diasporajüdische Establishment, das Israel verteidigt – auch wenn der israelische Premier Netanjahu heißt. Jene Verfasser setzen unausgesprochen Israel mit Premier Netanjahu gleich. Das ist Dämonologie, keine Empirie.“

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