Das Auswärtige Amt stellte als Religionsvertreterin für den Islam Nurhan Soykan, die Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime ein. Und das, obwohl der Zentralrat der Muslime (ZMD) seit Jahren in der Kritik steht, besonders wegen vorgeworfener Nähe zur islamistischen und antisemitischen Muslimbruderschaft. Vor kurzem ordnete der Bundesverfassungsschutz offiziell das ZMD-Gründungsmitglied und den ZMD-Mitgliedsverband „ATIB – Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa“ der türkisch-rechtsextremistischen „Ülkücü“-Bewegung, auch bekannt als „Graue Wölfe“, zu. Der stellvertretende Vorsitzende des ZMDs, Mehmet Alparslan Celebi, ist aktives Mitglied bei ATIB und in deren Vorstand. Celebis Vater ist nicht nur Gründer von ATIB, sondern benannte seinen Sohn M. Alparslan nach dem Gründer der Grauen Wölfe, mit dem er jene zusammen in der Türkei und Deutschland aufbaute. Es gibt ergo direkte Verbindungen.
Fragwürdige Personalie
Dadurch, dass Nurhan Soykan sich als eine strikte Anhängerin des Kopftuches offenbart, Kopftuchdebatten als „Scheindebatten“ sowie „Popularisierung“ relativiert und sich negativ gegenüber der vom Bundestag verabschiedeten Armenien-Resolution äußerte, wird der Eindruck vermittelt, sie vertrete einen türkischen Nationalismus in Kombination mit einem Politischen Islam. Diese Charakteristika könnten indirekt durch ihre offensichtliche Abneigung gegen Israel bestätigt werden.
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk, zu dem sogenannten „Al-Quards“-Marsch 2014 legte Soykan ihre Positionen zum Nahen Osten und Israel offen. Im Interview distanzierte sich Soykan nicht grundsätzlich den den al-Quds-Aktivisten, sondern bedauerte nur „niveaulose Parolen“ wie „Zionisten ins Gas“. Der Al-Quds-Tag, der von dem damaligen iranischen Religionsführer Ruhollah Chomeini als Kampftag der „internationalen muslimischen Solidarität“ eingeführt wurde, und die Märsche verfolgen das Ziel der Eroberung Jerusalems und der Vernichtung des Staates Israel. Als der Redakteur von Deutschlandfunk fragte „warum kommt Israel-Kritik im Gewand des alten Antisemitismus daher“, antworte Soykan im Interview: „Wir haben uns auch immer davon distanziert, Juden allgemein anzugreifen und zu beleidigen. Aber es muss auch möglich sein, die israelische Politik genauso wie die Politik anderer Länder kritisieren zu dürfen.“ Dies lässt die Vermutung aufkommen, als versuche Soykan im Interview die anti-israelischen, antisemitischen Al-Quds-Märsche zu verteidigen. Denn des Weiteren antwortete sie, dass man vor allem den jungen Leuten in Deutschland, „die sich auf diesem Weg der Demonstration Luft machen wollen und ihren Ärger auch mal zeigen wollen“ eine Möglichkeit zum äußern geben müsse. Antisemitische Demonstrationen werden eindeutig mit „Luft machen“ relativiert.
Verweigerung der Presseauskunft?
Durch diesen Hintergrund entwickeln sich immer mehr legitime Fragen bezüglich der Personalentscheidung, die das Auswärtige Amt sich gefallen lassen muss. Doch das Auswärtige Amt beantwortete nicht die Presseanfrage von TE, indem es auf keine Frage im Einzelnen einging, sondern eine Art Statement abgab:
Das Auswärtige Amt ergänzt seine klassische Außenpolitik zwischen Staaten seit vielen Jahren um eine Außenpolitik der Gesellschaften, seit 2016 konkret auch durch das Arbeitsfeld Religion und Außenpolitik.
Über 80 Prozent der Weltbevölkerung bekennen sich zu einer Religion. Die Verantwortung der Religionen für Frieden will das Auswärtige Amt mit religiösen Gemeinschaften weltweit ansprechen, ihren möglichen Einfluss auf Gesellschaft und Politik besser verstehen und das konstruktive Potential stärken. Frau Soykan wird, ähnlich wie ihr christlicher und ihr jüdischer Kollege, das Auswärtige Amt zu Fragen der Verantwortung religiöser Gemeinschaften für Frieden beraten. Frau Soykan vertritt seit vielen Jahren Verbände und Gremien, die sich den Themen Religion, Verständigung und Integration widmen.
Der Tagesspiegel veröffentliche in einem Artikel über den Fall Soykan eine Äußerung des Auswärtigen Amts. Wie TE bestätigt wurde, handelt es sich dabei ebenfalls um eine Antwort des AA zur Presseanfrage des Tagesspiegel-Journalisten Hans Monath:
Aus dem Ministerium heißt es, man wolle die Verantwortung der Religionen für Frieden mit religiösen Gemeinschaften weltweit ansprechen, ihren möglichen Einfluss auf Gesellschaft und Politik besser verstehen und das konstruktive Potential stärken. Soykan werde, wie ihr christlicher und jüdischer Kollege, das AA „zu diesen Fragen beraten“.
Dies ist eindeutig dieselbe gegebene Antwort. TE wurde bestätigt, dass auf die Fragen der Presseanfrage des Tagesspiegels ebenfalls nicht eingegangen wurde. Das Auswärtige Amt antwortet also nicht individuell auf Presseanfragen, sondern schickt einheitliche, nichtssagende Statements an die Presse heraus. Die Mehrheit dieser Informationen sind sogar dieselben wie auf der Website des AA. Journalisten werden damit keine Auskünfte erteilt, die für die Öffentlichkeit von großem Belang sind, um über die tatsächlichen Vorgänge oder Verhältnisse unterrichten zu können. Doch noch einmal: das Auswärtige Amt muss sich Fragen gefallen lassen.
Auswärtiges Amt muss sich Fragen gefallen lassen
Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, über den tatsächlichen Vorgang der Personalentscheidung unterrichtet zu werden. Deshalb beginnt es bereits mit der Frage, auf welchen Grundlagen und mit welchen Kriterien die Religionsvertreter, besonders Nurhan Soykan, denn ausgesucht wurden. Gab es überhaupt andere Kandidaten, die für diesen Posten infrage kamen, oder wurde hier eine Entscheidung aufgrund einer vorgeschlagenen Person getroffen?
Die Entscheidung, Nurhan Soykan als Beraterin einzustellen, wirft ernsthaft die zentrale Frage auf, welche Rolle bei der Personalentscheidung der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) gespielt hat? Ist es möglich, dass bereits ein gewisser Automatismus bei den Ministerien und der Bundesregierung entstanden ist, Vertreter des ZMDs automatisch als vertrauenswürdige Partner zu wählen? Ist Nurhan Soykan eine Personalentscheidung, die auf der Grundlage eines Automatismus beruht, den ZMD seit vielen Jahren als einen Partner der Bundesregierung und Ministerien blind zu beanspruchen?
Personalentscheidung: Ein Automatismus?
Dass Nurhan Soykan womöglich über eine antiisraelische und antisemitische Haltung verfügt, scheint beim Auswärtigen Amt, eine der obersten Bundesbehörden, die zuständig ist für die deutsche Außen- und Europapolitik, anscheinend nicht von Belang gewesen zu sein. Wenn das Auswärtige Amt schreibt, dass Frau Soykan „seit vielen Jahren Verbände und Gremien, die sich den Themen Religion, Verständigung und Integration widmen“ vertritt, wird man skeptisch: Was für Gremien vertritt Frau Soykan genau seit vielen Jahren? Und inwiefern arbeitet die umstrittene ZMD-Generalsekretärin bei dem brisanten Thema Integration mit Ministerien oder Städten zusammen? Was die konkreten Aufgaben von Soykan als „Religionsvertreterin“ sind, lässt das AA ebenso nicht durchscheinen. In welchen Themen und Schwerpunkten die vielflach in Kritik stehende Religionsvertreterin das AA berät, ist für die Öffentlichkeit auch nicht klar erkennbar.
Der Fall Soykan lässt die legitime Frage aufkommen, wie sehr in Ministerien und seitens der Bundesregierung Automatismen vorhanden sind, mit Akteuren eines Legalistischen Islamismus und Politischen Islams ohne Prüfung blind zu kooperieren. Das Auswärtige Amt schuldet der Öffentlichkeit Antworten.
TE hat nochmals eine Anfrage an das Auswärtige Amt geschickt (Stand 27.07.2020).