Als der Romancier Charles Edmund DuMaresq de Clavelle alias James Clavell in Anlehnung an die Geschichte des global agierenden Konzerns Jardine Matheson Holdings sein zweibändiges Epos über die Geschichte Hongkongs schrieb, ließ er einen seiner Protagonisten die Feststellung treffen, die chinesische Rückeroberung der britischen Kolonie habe in dem Moment begonnen, als er erste Festlandschinese seinen Wohnsitz in der Gründung seiner Romanfigur, des Schotten Dirk Struan, nahm.
Hongkong mit Krieg erobert
Historisch ist diese Darstellung insofern nicht korrekt, als auf der Hongkong-Insel des „Duftenden Hafens“ an der Mündung des Perlflusses zum Zeitpunkt der britischen Landnahme bereits vermutlich seit dem dritten Jahrhundert Han-Chinesen lebten. Doch Clavell wollte damit zum Ausdruck bringen, dass die Kronkolonie eines Tages unweigerlich an China zurückfallen werde. Und tatsächlich war das britische Engagement letztlich wenn nicht auf Sand, so doch auf 80,4 Quadratkilometern Fels gebaut, den das im 20. Jahrhundert schwächelnde Königreich nicht würde halten und schon gar nicht geografisch würde verschieben können.
Deng warf den richtigen Köder aus
Doch die Sache hatte einen Haken. Gingen die Insel und die Halbinsel in das Eigentum des Königreichs über, so galt für die New Territories ein auf 99 Jahre festgeschriebener Pachtvertrag. Lebten die Engländer um 1900 noch in der Hybris, ihr Weltmachtmonopol in alle Ewigkeit halten zu können, so sollte die Dauerfehde der europäischen Mächte letztlich dafür sorgen, dass das zum Ende des 20. Jahrhunderts erstarkende China den vertraglichen Rückgabeanspruch würde durchsetzen wollen und können. Hongkong, das wussten die Politiker in der Downing Street spätestens seit den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, wäre ohne die Pachtgebiete nicht zu halten. Und so begannen 1982 unter Maggie Thatcher die Verhandlungen über die Zukunft der Kronkolonie.
Für die Briten aber war dieses chinesische Modell der Weg, unter Gesichtswahrung aus ihrem Dilemma zu kommen. 1985 wurde bei den Vereinten Nationen eine gemeinsame, völkerrechtsverbindliche Erklärung hinterlegt, in der das Vereinigte Königreich die Rückgabe aller Territorien am Perlfluss zum 1. Juli 1997 zusagte. Im Gegenzug verpflichtete sich die Kommunistische Partei Chinas, das kapitalistische Wirtschaftssystem bis zum Juli 2047 unangetastet zu lassen. Um den Hongkong-Chinesen, die ihren letzten großen Zuwachs im Zuge der kommunistischen Machtübernahme durch republikanische Flüchtlinge verzeichnet hatten, zu beruhigen, erklärte sich Peking darüber hinaus bereit, der Sonderverwaltungszone Hongkong für diesen Zeitraum die innere Autonomie zu garantieren. Am 1. Juli 1997 zogen die Briten nach 156 Jahren Präsenz in einem feierlichen Akt ab – die Volksrepublik China gewann die zu diesem Zeitpunkt noch eingeschränkte Souveränität über die frühere Kronkolonie zurück.
Peking und Hongkong trennten Welten
Die Hongkong-Chinesen befanden sich nun in einer überaus misslichen Situation. Auch wenn sie unter den Briten zu keinem Zeitpunkt demokratische Rechte hatten, waren vor allem die jüngeren Hongkonger von der freiheitlichen Demokratie überzeugt. Doch auch die Älteren trennten von ihren neuen Herren Welten. Denn während in Festland-China mit der sogenannten Kulturrevolution alle Traditionen und das chinesische Kulturverständnis zerstört worden waren, entwickelten die Hongkonger ebenso wie die Chinesen auf Taiwan auf der Grundlage ihrer Traditionen ein europäisches Zivilisationsverständnis. Dieses auf individueller Freiheit und politischem Streit aufbauende Verständnis einer modernen Gesellschaft steht in unmittelbarem Widerspruch zum kollektivistischen Einparteienmodell der Nachfolger Maos.
Für letztere stand von vornherein fest, das freiheitliche Experiment nur so lange zu dulden, wie daraus keine Gefahr für die eigene Vormachtstellung drohte. Um es nicht so weit kommen zu lassen, wurde von Anbeginn an massiver Einfluss auf die Besetzung der Verwaltung der früheren Kronkolonie genommen – und durch die Ansiedlung regimetreuer Chinesen in Hongkong die Machtstrukturen in der Bevölkerung verändert.
Peking startet die absolute Übernahme
Neben diesen eher subversiven Eingriffen trat Peking unter Xi Jinping in den letzten Jahren zunehmend die unverhohlene Offensive an. Die Ursachen dafür liegen auch in der innenpolitischen Situation – beziehungsweise das, was Peking dafür hält.
• Jede Art der Demokratisierung des Reichs der Mitte wäre ein vernichtender Angriff auf die alleinregierende KPCh und die Privilegien der gegenwärtigen Eliten. Deswegen gibt es in Rotchina keine Meinungsfreiheit, wurden dem Internet enge Fesseln angelegt und ein System der sozialen Wohlgefallenspunkte eingeführt. Das Gewährenlassen von Freiheiten in Hongkong könnte vor allem bei Chinas Jugend Fragen aufkommen lassen, auf die die KPCh keine befriedigenden Antworten hat. Deshalb wird jeder Protest in Hongkong als krimineller Anschlag auf den Staat hingestellt.
• Auch wenn dieses aktuell keine reale Gefahr darstellt, so fürchtet die KPCh demokratisch-freiheitliche Bestrebungen unter der eigenen Bevölkerung. Da einst bei der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens jener Mann, der zu Zugeständnissen bereit war, von der Partei verbannt und die Proteste selbst mit unzähligen Toten niedergewalzt wurden, will sich Xi nicht die Blöße geben, den Hongkonger Protesten auch nur im Ansatz entgegen zu kommen. Als neuer starker Mann fürchtet er nichts mehr als den Gesichtsverlust und damit seinen Machtverlust im ewigen Intrigenspiel der KP-Spitze.
• Die Chinesen Taiwans sehen die expansionistische Politik des Festlands mit zunehmender Sorge. Die Idee, das Hongkonger Modell als Blaupause für einen engeren Anschluss der Republik China an die Volksrepublik zu nehmen, ist von den Inselchinesen angesichts der Entwicklung mittlerweile verworfen worden. Daraus resultiert Pekings Angst, seinen Anspruch auf die Insel gänzlich zu verlieren – was wiederum in dem Riesenreich bestehende Separationsbestregungen beispielsweise im besetzten Tibet und in der offiziell autonomen Uigurenprovinz Xinjiang beflügeln könnte.
Für die Pekinger Führung entwickelte sich die Zusage Dengs so immer mehr zu einer Last. Wollte der Alte noch die Übernahme der verlorenen Söhne mit Zuckerbrot organisieren, so greift Xi zur Peitsche.
Peking setzt den Vertrag außer Kraft
Briten und Chinesen hatten seinerzeit vereinbart, in Hongkong spätestens 2017 die ersten freien Wahlen zuzulassen. Peking jedoch war klar, dass in wirklich freien Wahlen seine Kandidaten chancenlos wären. So führte 2014 der Versuch, diese Wahlen durch ein von Peking kontrolliertes Kandidaten-Vorauswahlmodell zu unterlaufen, zu den sogenannten Regenschirmprotesten. Die KPCh musste erkennen, dass ihr Weg der subversiven Unterminierung der Rechte Hongkongs zu scheitern drohte.
Das Schicksal eines Anwalts und ein Sicherheitsgesetz
Dadurch verschärfte sich das ohnehin angespannte Verhältnis des Vereinigten Königreichs zu China. Bereits zuvor hatte die Britische Regierung wiederholt die Verurteilung eines chinesischen Anwalts angeprangert. Yu Wensheng hatte im Januar 2018 ein Schreiben veröffentlicht, in dem er Reformen für die VR China eingefordert hatte. Daraufhin ein Jahr ohne Anklage und Betreuung in Haft, verurteilte ihn ein Geheimgericht zu vier Jahren Haft – für die Briten ein eklatanter Bruch jeglicher Rechtsstaatlichkeit und ein Verstoß gegen die Menschenrechte. Als die Britische Botschaft in ihren Posts in sozialen Netzwerken Chinas dieses Vorgehen kritisierte, revanchierte sich Peking mit der Löschung der entsprechenden Beiträge. Das wiederum leitete die diplomatische Eiszeit ein, in der sich London und Peking derzeit befinden.
Als nun das sogenannte Sicherheitsgesetz auf den Weg gebracht wurde, eskalierte der Krieg der Worte. Den Briten wie auch den Chinesen ist bewusst, dass eine militärische Aktion seitens des UK nicht infrage kommt. Auch wenn der offensichtliche Vertragsbruch durch die VRC, die Autonomiezusage von 1985 faktisch außer Kraft zu setzen, die völkerrechtlich relevante Frage zulässt, ob nicht London nun das Recht hätte, den Status quo ante wieder herzustellen – also die frühere Kronkolonie erneut zu besetzen, um so die den dortigen Bewohnern gegebenen Garantien zu gewährleisten. Doch dazu fehlt den Briten jegliche Möglichkeit. Stattdessen erlebt die Welt nun einen Krieg der Worte.
Grundlegende Zweifel an Pekings Vertragstreue
Außenminister Dominic Raab und die Britische Botschaft fordern nun fast täglich die Einhaltung der Vereinbarung von 1985 ein. China reagierte mit dem üblichen Standardvorwurf, es handele sich bei den britischen Protesten um eine „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“, was jedoch nur dann zuträfe, wenn die VRC den vereinbarten Vertragszustand gewährleistet. Das aber tut sie nicht, womit das Sicherheitsgesetz eben keine „innere Angelegenheit“ Chinas ist.
Sich in der Argumentation selbst ein Bein stellend, unternimmt Peking ersatzweise den Versuch, die Völkerrechtsverbindlichkeit der 1985-Vereinbarung grundsätzlich infrage zu stellen. Für die KPCh ist das Abkommen heute nur noch ein „historisches Dokument“, welches keine Relevanz mehr habe. Deshalb wird darauf beharrt, mit Hongkong nach eigenem Gutdünken verfahren zu können.
Mit einer solchen Argumentation allerdings könnte sich China selbst ins Knie schießen. Denn die notwendige Konsequenz müsste sein, dass nunmehr alle Vertragspartner der roten Mandarine sich die Frage stellen, was ihre Abkommen mit der Volksrepublik tatsächlich wert sind, wenn diese nach Belieben zu rechtsunwirksamen, historischen Dokumenten erklärt werden. China verfährt hier aus einer Position der Macht heraus – überzogen machiavellistisch nach dem Motto: Gültigkeit hat nur, was mir dient. Unter diesem Gesichtspunkt sollten nicht nur die Europäer ihre Kooperation mit dem Reich der Mitte überdenken – vor allem jene Staaten wie Pakistan, die den Chinesen im Zuge des Projekts der „Neuen Seidenstraße“ bereits die Einrichtung chinesisch verwalteter Sonderzonen gestattet haben, müssen sich die Frage stellen, ob hier nicht ein neuer Kolonialherr an die Stelle der Schutzverträge des 19. Jahrhundert nun angebliche Wirtschaftsverträge mit entsprechender Landnahme gesetzt hat. Und auch Russland müsste seine Annäherung an die VRC grundlegend überdenken. Dieses nicht nur, weil über entsprechende Agrarnutzungsverträge ebenfalls längst chinesische Enklaven auf russischem Territorium eingerichtet wurden, sondern weil der Einfluss der Chinesen im Osten des Putin-Reichs immer deutlicher wird.
Auch Russland muss seine „Freundschaft“ überdenken
In Chabarowsk, unmittelbar an der Grenze zu China am Amur gelegen, kommt es seit geraumer Zeit zu Massenprotesten gegen die Moskauer Zentralregierung. Unmittelbarer Anlass ist die Inhaftierung des Gouverneurs Sergej Furgal, der am 9. Juli von Agenten des Inlandsgeheimdiensts FSB nach Moskau verbracht wurde. Der Vorwurf: Furgal habe als Unternehmer vor 15 Jahren die Ermordung mehrerer Konkurrenten organisiert. Wenn dem so ist – was Furgal zurückweist – so lässt zumindest die Tatsache, dass dieser Vorwurf erst auf den Tisch kam, nachdem der Parteigänger des nationalrussischen Politclowns Wladimir Schirinowski 2018 gegen den Willen Moskaus in sein Amt gewählt wurde, den Verdacht zu, dass hier kräftig konstruiert wurde.
Scheinbar ein innenpolitisches Problem, das seine Ursachen in der seit Zarenzeiten üblichen Vernachlässigung der sibirischen Kolonialeroberungen hat, gehen Geheimdienstkreise gleichwohl davon aus, dass Peking zumindest durch die Hintertür die Proteste befeuern lässt. Für China ist das an Russland im Jahr 1858 zwangsweise abgetretenen Amur-Gebiet bis heute widerrechtlich besetztes, chinesisches Territorium. Welche langfristige Strategie die KPCh hinsichtlich der russischen Eroberungen des 19. Jahrhunderts verfolgt, wie das stille Einsickern von Chinesen und sino-russische Ehen den chinesischen Anspruch auf die mandschurische Amurregion befördern, hatte ich bereits in „Russland – Entwicklungsland mit Weltmachanspruch“ (ISBN 978-3-943726-76-3) beschrieben.
Das Tischtuch zwischen London und Peking ist zerschnitten
Während jedoch zwischen Moskau und Peking offiziell immer noch der Schulterschluss geübt wird, ist das Tischtuch zwischen Peking und London derzeit zerschnitten. Für beide Seiten ist der Konflikt um Hongkong zu einem Kampf um die Gesichtswahrung geworden.
Boris Johnson, der den Krieg der Worte gegenwärtig von seinem Außenminister Dominic Raab und der britischen Botschaft in Peking über Twitter führen lässt, steht ebenso vor einem beträchtlichen Gesichtsverlust. Die Rückeroberung der Kronkolonie ist keine Option. Um aber das Gesicht zu wahren, verfiel London auf einen anderen Weg, der zumindest die britische Verantwortung für die von Rotchina bedrohten Hongkong-Chinesen dokumentiert – und der gleichzeitig einen Doppeleffekt haben könnte, der China deutlich schadet und dem Vereinigten Königreich deutlich nützt.
Unter dem Anspruch, weltweit Verfechter der Menschenrechte zu sein und seine ewig-währende Verantwortung für die Hongkonger zu garantieren, hat London angekündigt, die Regelungen der BN(O) – British Nationals (Overseas) – zu ändern.
Die Sonderheiten des britischen Staatsbürgerrechts
Um zu verstehen, was es mit den BN(O) auf sich hat, ist der Blick auf das britische Staatsbürgerrecht unverzichtbar. Dieses unterscheidet sich deutlich beispielsweise vom deutschen, indem es faktisch ein Mehr-Klassen-Bürgerrecht schafft. BN(O) sind danach Bewohner von Hongkong, die sich vor 1997 – also vor der Übergabe an China – dort als solche registrieren ließen.
Nehmen wir das deutsche China-Engagement als Beispiel: Hätte Deutschland nicht 1918 seinen Anspruch auf Tsingtao (Qingdao) und das Schutzgebiet Kiautschou aufgeben müssen, hätten alle Tsingtaoer den Anspruch, sich einen deutschen Pass mit Sonderstatus ausstellen zu lassen. Dieser hätte ihnen das unveräußerliche Recht gegeben, als Deutsche in Tsingtao zu leben und bei einem Auslandsaufenthalt außerhalb Deutschlands oder Tsingtaos die Hilfe der deutschen Konsulate in Anspruch zu nehmen. Aber – und hier wird es spannend – die Tsingtaoer Deutschen hätten kein Recht, dauerhaft in Deutschland zu leben, sondern müssten einen Aufenthalt im Mutterland nach einem befristeten Zeitraum beenden. Während ihres Aufenthalts hätten sie jedoch dieselben Rechte wie deutsche Vollbürger. Damit wäre beispielsweise ein Studium im Mutterland ohne die sonst üblichen Schwierigkeiten bei Einreise und längerfristigem Aufenthalt von Nicht-Staatsbürgern möglich geworden.
Hongkonger sollten den Schutz des Empire genießen
Ursprünglich wollten die Briten mit dieser Staatsbürgerschaft Zweiter Klasse sicherstellen, Hongkong-Chinesen nicht ohne diplomatischen Schutz der Willkür fremder Staaten auszuliefern. Auch ging London davon aus, diesen BN(O) nach Übergabe an China weiterhin entsprechenden Schutz zukommen lassen zu können. Einer der Hintergründe war es, dass nach dem Massaker auf dem Tiananmen allein zwischen 1987 und 1996 knapp eine halbe Million Menschen Hongkong verließen aus Furcht, die Rotchinesen würden mit ihnen ähnlich verfahren wie mit den Demokraten in Peking. London wollte den Brain-drain aus Hongkong unterbinden, indem es den dortigen Chinesen ein Gefühl der Sicherheit vermittelte. Auch träumten die Briten zu diesem Zeitpunkt noch davon, über die Demokratisierung Chinas via Hongkong zumindest den wirtschaftlichen Einfluss auf die ehemalige Kronkolonie aufrecht erhalten zu können.
Über einen gültigen Pass verfügen aktuell rund 350.000 Hongkong-Chinesen, die damit nach internationalem Recht Hongkong jederzeit verlassen können und nach britischem Recht auf der großen Insel Zuflucht finden. Tatsächlich aber wird davon ausgegangen, dass zusätzlich bis zu zweieinhalb Millionen Hongkong-Chinesen ihren BN(O)-Status reaktivieren können. Sollte das geschehen und sollten diese Menschen Hongkong verlassen können, wäre dieses eine der größten Massenauswanderungen der Geschichte.
Die ungeklärte Zukunft der Kinder der Revolution
Völlig ungeklärt ist dabei der Status jener Kinder dieser BN(O), die nach dem 30.Juni 1997 das Licht der Welt erblickt haben. Denn mit diesem Geburtsdatum endete der Anspruch auf Registrierung, und das britische Staatsbürgerrecht geht davon aus, dass britischer Staatsbürger nur sein kann, wer im Inland – also auf den britischen Inseln, Gibraltar und den Falklands – geboren ist und mindestens einen Elternteil hat, der selbst Brite ist. Damit ist die Generation jener Protestler, die derzeit die Mandarine in Peking bis aufs Blut reizen, aus dem Geschäft und müsste, so ihnen eine Flucht gelingt, Asylstatus beantragen. Welche Konsequenzen das für Familien haben muss, bei denen die Eltern und vielleicht auch die älteren Geschwister problemlos ins Mutterland dürfen, die jüngeren Kinder und Geschwister aber bestenfalls als geduldete Ausländer ein Aufenthaltsrecht bekommen, ist gänzlich ungeklärt.
Immerhin erkannt aber hat London, dass die bisher für BN(O) geltenden Aufenthaltsregeln angesichts der Situation keinerlei Sinn mehr machen. Am 1 Juli 2020 kündigte die Britische Regierung offiziell an, dass zu diesem 23. Jahrestag der Übergabe Hongkongs an China neue BN(O)-Regeln in Kraft treten. Dazu gehören „angesichts des chinesischen Vertragsbruchs eine bislang nicht dagewesene Verlängerung der Visa-Rechte für Hongkonger und neue Einwanderungsregeln, die den BN(O) einen längeren Aufenthalt in UK ermöglichen und die dauerhafte Einbürgerung als britischer Staatsbürger ohne eingeschränkte Rechte erleichtern“.
Die Aufforderung zum Exodus
Wenn man so will, dann ist diese Erklärung des britischen Premiers die unmissverständliche Aufforderung an Hongkongs Chinesen, ihrer Heimat schnellstmöglich den Rücken zu kehren und nach Großbritannien umzusiedeln.
Dumm ist diese Aufforderung angesichts der letztlich unmöglichen Verhinderung des Vertragsbruchs durch China nicht. Zum einen lenkt sie den ohnehin zu erwartenden Exodus nicht Richtung USA – bislang beliebtester Zielort – sondern Richtung Königreich. Der Brain-Drain, der den Briten ebenso wenig schaden kann wie das Kapital, welches zumindest wohlhabende Chinesen mitbringen, kann mit der neuen Regelung ungehindert in das Inselreich fließen. Die ohnehin britisierten und kultivierten Hongkong-Chinesen würden zudem ein Bollwerk bilden können gegen jene ungeliebten Einwanderer aus dem islamisch-pakistanischen Raum, die im Königreich ebenso wenig erfolgreich zu integrieren sind wie in anderen Ländern Europas. Wo im Ernstfall die Chinesen stünden, bedarf keiner Diskussion.
Es werden keine 2,9 Millionen Menschen kommen
Werden nun also demnächst 2,9 Millionen Chinesen in hochseeuntüchtigen Schlauchbooten und Dschunken auf dem Südchinesischen Meer dümpeln und auf die deutschen NGO hoffen, die ihre Aktivitäten im Eiltempo vom Mittelmeer-Migrantenshuttle als Retter nach Fernost verlegen?
Auch wenn ein theoretischer Anspruch bestünde, ist nicht davon auszugehen, dass alle 2,9 Millionen den Weg nach England antreten. Dem Angebot folgen werden jene, die es sich leisten können und denen die Umsiedlung ein ernsthaftes Anliegen ist. Tagelöhner und mit ihnen die breite Masse der potentiell Einwanderungsberechtigten werden den Weg kaum antreten. Stattdessen aber werden sich für die Nachgeborenen Mittel und Wege finden lassen, wenn ihnen als Demokratie-Aktivisten die Verfolgung durch Rotchina droht.
Johnson will die Sahne abschöpfen
Johnsons Angebot läuft insofern darauf hinaus, die Sahne vom Hongkonger Kuchen abzuschöpfen: Mit künftigen Bürgern, die dem Premier dankbar sind, sich britischen Werten verpflichtet fühlen und aufgrund ihrer kulturellen Tradition schnell in der Lage sein werden, Spitzenpositionen im Königreich zu übernehmen.
Damit wiederum könnte der künftige Weg Hongkongs vorgezeichnet sein. Ohne seine westlich geprägten Eliten wird die Sonderverwaltungszone ihre bislang dominierende Bedeutung verlieren. Der mittlerweile zweihundertjährige Konkurrenzstreit zwischen Shanghai und Hongkong wäre zugunsten der nördlichen Handelsmetropole entschieden.
Johnson schmiedet eine Anti-China-Allianz
Sollte es dazu kommen, hätte Xi seinem China ein wichtiges Bein abgesägt. Daran hindern, seinen allchinesischen Kurs unbeirrt fortzusetzen, kann und wird ihn diese Perspektive nicht. Und so steht zu erwarten, dass auch der von Johnson angestrebte Schulterschluss mit westlichen Verbündeten, um die Expansion Chinas nebst Wirtschaftsspionage zumindest einzudämmen, unbeirrt fortgesetzt wird. Die Kanadier hat er bereits in seinem Boot. Die USA werden einsteigen. Australien und Neuseeland könnten als treue Verbündete demnächst folgen. Entsprechende Gespräche werden auch mit Nachbarn der Chinesen geführt. So könnte Vietnam als aufstrebende Nation in Fernost wichtiger Partner einer Anti-China-Allianz werden.
Es entsteht unter Londons Führung ein neues Bündnis, welches zwar nicht auf Krieg gegen China setzt, aber mit Handelsrestriktionen und Sanktionen dem unbeirrbaren Vormarsch der Kommfuzionisten etwas entgegensetzen will.
Berlin bleibt außen vor
In Berlin allerdings können sich Raab und Johnson eine entsprechende Anfrage sparen. Zwar hat Außenminister Maas den Vertragsbruch Chinas offiziell ein wenig verurteilt – aber damit die Chinesen in Peking sicher sein konnten, dass das nur unbedeutendes Herumgerede war, wurde schnell auf der offiziellen Website des Auswärtigen Amtes die Flagge des chinesischen Inselstaates Taiwan entfernt. Damit folgte die Kotau-Republik Deutschland einem langjährigen Wunsch der roten Partner, denen die ehemalige Zuflucht der bürgerlichen Regierung des Chiang Kai-shek als derzeit letzte noch wiedereinzugliedernde Rebellenprovinz gilt. Weshalb der Geschäftsträger der freien Republik Taiwan mittlerweile auch Hongkong verlassen hat. Schließlich ist er kein BN(O) und seine taiwanesische Staatsbürgerschaft wird von Rotchina nicht anerkannt. Im Ernstfall wäre er also einer der ersten, der als Separatist unter das neue „Sicherheitsgesetz“ gefallen wäre, mit dem die Volksrepublik China ihre Übernahme der ehemaligen Kronkolonie abzuschließen gedenkt.