Der Kirchenbrand in Nantes hat ein Thema wieder auf die öffentliche Agenda gesetzt, das seit einiger Zeit die Gemüter in Frankreich bewegt. Brände, Schmierereien und andere Delikte an Kirchenbauten häufen sich in den letzten Jahren. Viele haben das Gefühl, dass das christliche Erbe des Landes ausverkauft wird. »Das ist also der Beweis, dass es auch gut ein Jahr nach Notre-Dame noch keine Brandmelder in den Kathedralen gibt«, mokiert sich ein Twitter-Nutzer. Direkt darunter steht eine Liste von 28 Kirchenbränden nur in den Jahren 2018 und 2019.
Kirchenbrände und andere antichristliche Taten
Vor gut einem Jahr brannten zwei Pariser Kirchen, nun die Kathedrale von Nantes. Ein Blick in die jüngere Geschichte zeigt, dass christliche Gebäude und Friedhöfe in Frankreich einer Vielzahl von Gefahren ausgesetzt sind. Dabei bleiben Ursachen wie Urheber häufig unklar. Ein paar Anhaltspunkte gibt es dennoch.
Von einigen Medien werden derlei Zahlen und Listen als aufgebauscht abgetan. Die Absicht zu relativieren spricht dabei deutlich aus so manchem Artikel, wenn etwa der Parisien bemerkt, dass nicht jeder Kirchenbrand auch ein »ausdrücklich antichristlicher Akt« sei. Tatsächlich sind Einschränkungen geboten. Doch zugleich bemerkt man den kalmierenden Ton, wenn Maxime Cumunel, immerhin Generalsekretär des Vereins zum Schutz des religiösen Erbes in Frankreich (des Observatoire du Patrimoine Religieux), anmerkt, dass es leider Gottes auch in Kirchen »häufig zu Unfällen kommt, die mit natürlichen Ursachen oder Bauarbeiten zusammenhängen«. Natürlich gebe es »auch kriminelle Taten, aber man muss deren Ursachen genauer fassen«. So könnten »Leute darunter sein, die mit dem Feuer spielen«, oder »Personen mit Beeinträchtigungen«. Den Anteil der »antichristlichen Taten« schließlich mag er »nicht auf einer so geringen Datengrundlage quantifizieren«. Das ist offenbar ein ausweichender Kommentar.
In kurzer Zeit brannten zwei große Pariser Kirchen
Daneben bleibt die genaue Ursache in vielen Fällen schlicht im Dunkeln. Man darf sich also selbst seinen Reim auf so manches Geschehnis machen. So weiß man auch ein gutes Jahr danach nichts Genaues über die Entstehung zweier Brände, die in kurzer Zeit die beiden Hauptkirchen von Paris heimsuchten. International kaum beachtet wurde dabei der Brand an der Kirche Saint-Sulpice im Quartier de l’Odéon, die inzwischen die Funktion einer Kathedrale für Paris übernommen hat. Kurz vor dem Brand von Notre-Dame war Saint-Sulpice im März 2019 zum Opfer eines Brandanschlags geworden. Jemand hatte ein Kleiderbündel an der Eingangstür der Kirche entzündet, was zu einem lodernden Feuer führte. Die Pariser Polizei stellte fest, dass es einen »menschlichen« Urheber gab, und die Tat sicher eine »mutwillige« gewesen sei. Kleiderbündel entzünden sich nun einmal nicht von alleine. Die Bilder schon dieses Brandes sind beschämend.
Im Fall von Notre-Dame wiederum weiß man noch immer nicht genau, wie die 1182 geweihte Kathedrale im April 2019 in Brand geriet. Laut der offiziellen Untersuchung kommen zwei Varianten zum Geschehen in Frage: Zum einen die nachlässig weggeschnippte Zigarette eines Handwerkers oder aber ein Kurzschluss in der Elektrik der Kathedrale. Allerdings sucht man bis heute vergeblich nach dem »winzigen Draht«, der diesen Großbrand ausgelöst haben soll. Folglich kann noch immer auch Brandstiftung als Ursache nicht vollkommen ausgeschlossen werden.
»Nun ist es eben passiert«, war schon bald die allgemeine Einstellung, während sich der neue Sonnenkönig in Phantasien eines avantgardistischen Wiederaufbaus erging. Inzwischen ist klar: Die Dachkonstruktion von Notre-Dame soll erneut aus Holz nachgebaut werden. Man ist zuletzt doch wieder auf die historische Rekonstruktion eingeschwenkt, die technischen Details scheinen faszinierend zu sein. Sogar der im 19. Jahrhundert nach älteren Plänen ergänzte Dachreiter aus Holz und Blei soll neuerrichtet werden, und bekanntlich soll all das in Rekordzeit abgeschlossen werden.
Großer und schwerer Verlust in Nantes
Die Restaurierung der Kathedrale Saint-Pierre-et-Saint-Paul in Nantes wird laut Experten mindestens drei Jahre in Anspruch nehmen. Die große und alte Orgel wurde zur Gänze zerstört, ebenso viele der bunten Kirchenfenster. In diesem Fall gibt der Ausbruch des Feuers an drei Stellen einen deutlichen Hinweis auf Brandstiftung. Ein Untersuchungsverfahren wurde eingeleitet. Ein Immigrant aus Ruanda, der für die Schließung der Kathedrale zuständig war, wurde allerdings nach kurzer Zeit wieder aus der Haft entlassen. Man habe nur einige Fragen zu seinem Tagesablauf klären wollen. Sein Anwalt erklärte, dass der Mann nichts mit dem Brand zu tun habe.
Nach dem Brand von 1972 war die stark beschädigte hölzerne Dachkonstruktion durch Beton ersetzt worden. Zum Glück, meinen einige, denn der Beton habe eine Ausbreitung des Brandes verhindert. Doch die Pariser Entscheidung für einen hölzernen Dachstuhl zeigt auch, wie wichtig die Symbolik des Materials ist.
Aber Notre-Dame, Saint-Sulpice und die Kathedrale von Nantes sind tatsächlich nur die Spitzen eines Eisbergs. Leider sind Brände in und an Kirchen – ob durch Absicht oder Nachlässigkeit – in Frankreich keine Seltenheit mehr. Daneben häufen sich weitere Delikte im Umfeld christlicher Einrichtungen und Grabstätten, die kein gutes Licht auf den Stand des Christentums im Lande werfen. Mutwille kann in den meisten Fällen nicht verneint werden. Der Eindruck eines Crescendos lässt sich kaum vermeiden, wenn man sich einen Überblick verschafft, wie ihn beispielsweise das Portal »L’Observatoire de la Christianophobie« bietet. Was folgt, ist nur eine kleine Auswahl der dort dokumentierten Vorfälle.
Einen Rotstift für ein »Allah ou akbar«
Einen Einblick in die Motive der Täter bieten dabei vor allem die hinterlassenen Graffiti-Sprüche und Symbole. So wurde im Juni 2016 an der Tür einer Kirche in Toulouse ein Feuer gelegt. Daneben fand sich ein Spruch, der immer wieder an französischen Kirchenmauern auftritt und hier – vielleicht in Eile – unvollendet blieb: »Die einzige Kirche, die … [erleuchtet, ist eine brennende Kirche].« Ist das ein Erbe der französischen Revolution und ihres Antiklerikalismus oder des später eingeführten Laizismus? Nein, es ist ein Zitat des spanischen Anarchisten Buenaventura Durruti.
Am 5. August 2018 warteten im Pariser Nobelvorort Neuilly-sur-Seine zwei Personen auf den Bus. Um sich zu erfrischen, wollten sie kurz in die Kirche Saint-Pierre gehen. Dabei fiel ihnen der Brandgeruch auf. In der Nähe des Eingangs fanden sie ein brennendes Gebetsbuch und einige ebenfalls in Brand gesetzte Prospekte, die sie sogleich mit Wasser löschten. Weiterer Schaden entstand nicht.
Ein genauerer Blick auf den Mai und Juni 2020 zeigt das ganze Panoptikum der Motive und schlechten Gründe. Die verneinende Gewalt gegen Sachen richtete sich dabei auch mehrmals gegen Grabstätten. Zwischen Ende Mai und Anfang Juni diesen Jahres zerbrachen Unbekannte mehrere Kruzifixe auf Gräbern im normannischen Département Eure. Am 13. Juni fand man Schmierereien auf einem Friedhof im okzitanischen Gruissan. Auf den Gräbern hatte jemand mit schwarzem Filzstift Ausdrücke wie »Tod den Franzosen« und »Tod den Juden« oder auch »verkauft« hinterlassen.
»Hängt die Pfaffen, hängt auch die Bullen«
Außerdem gab es im Juni diesen Jahres eine Reihe von ACAB-Graffiti (kurz für »All cops are bastards«) an französischen Kirchen, die sich offenbar der frisch aufflackernden internationalen Anti-Polizei-Bewegung verdanken. Daneben fanden sich auf französischen Kirchen zu verschiedenen Zeiten satanistische Graffiti (Pentagramm und »666«), obszöne Graffiti, antiklerikale Graffiti, antikoloniale Graffiti und alle möglichen Kombinationen, etwa auch die Parole: »Hängt die Pfaffen, hängt auch die Bullen.«
Durchaus hilfreich ist die Erinnerung daran, dass im Grunde jede Beschmierung eines Gebäudes den mangelnden Respekt vor dem Eigentümer beziehungsweise der dahinter stehenden Institution ausdrückt. Das vergisst man auch hierzulande manchmal zu leicht, da das Besprühen öffentlicher und privater Mauern von manchem schon als Teil des nationalen Kulturerbes angesehen wird.
Frankreich zählt mehr als 1.000 antichristliche Straftaten im Jahr
Was gab es noch neben Bränden, Friedhofsschändungen und Graffiti-Schmierereien? Zum Beispiel Angriffe auf christliche Statuen, wenn zum Beispiel erst Ende Juni eine Marienstatue im südfranzösischen Sumène zerschlagen wurde. In der Charente im Südwesten des Landes wurde zusätzlich noch ein Bildnis der Nationalheiligen Jeanne d’Arc attackiert. Am 20. Juli schließlich enthauptete ein Unbekannter eine Marienstatue in Montaud bei Montpellier. Der Bürgermeister zitierte Gustave Flaubert mit dem Satz: »Die Erde hat ihre Grenzen, doch die menschliche Dummheit ist unendlich.«
Schließlich gibt es auch Taten, die zwischen Einbruch, Sachbeschädigung und Blasphemie schwanken: Ende Mai dieses Jahres wurde in einem Dorf in der Champagne der Spendenengel zertrümmert vor der Kirche aufgefunden. In Tarn-et-Garonne wurde gar das Tabernakel einer Kirche aufgebrochen und die Hostien im Raum verstreut. Dass sich die Mehrzahl dieser Vergehen eindeutig gegen die Kirche und die Christen in Frankreich wenden, scheint überdeutlich. Insgesamt kam das französische Innenministerium in den letzten Jahren auf jeweils mehr als 1.000 antichristliche Straftaten pro Jahr. Dem stehen, beispielsweise im Jahr 2018, 541 antisemitische Taten, aber nur 100 antimuslimische gegenüber.
Die Konzentration auf die Monate Mai und Juni diesen Jahres deutet das Ausmaß des Problems an. Wie die Spuren von Graffiti an vielen Kirchen zeigen, hat das Phänomen Christianophobie viele Ursprünge und Gesichter. Was die Brände angeht, ist richtig, dass es ebenso technische Defekte und Brände aus Unachtsamkeit gibt. Im Grunde ist aber jeder Kirchenbrand einer aus Unachtsamkeit. Denn eigentlich sollten Gebäude wie die Kathedralen Frankreichs – ebenso wie Kirchen in aller Welt – einen besonderen Schutz und allgemeinen Respekt erfahren, die allzu große Nachlässigkeit im Umgang mit ihnen verhindert.
Man muss übrigens nicht so weit in die Ferne schweifen, um Angriffe auf Kirchen zu finden. Am 29. August 2018 bewarfen einige Jugendliche unter »Allahu akbar«-Rufen die Kreuzberger evangelische Simeon-Kirche mit Steinen. Ein Fenster ging zu Bruch. Bezeichnenderweise befand sich hinter der eingeworfenen Fensterscheibe außerdem die sogenannte »Flüchtlingskirche«, laut Eigenaussage ein »Ort des Ankommens« für Migranten. Frei nach Ludwig Eckardt und Johann Gottlieb Fichte könnte man sagen: Das »Nicht-Ich« wirft hier schon wieder die Fenster ein.
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