Tichys Einblick
Nurhan Soykan

Warum holt Heiko Maas Graue Wölfe in das Auswärtigen Amt?

Kürzlich ordnete der Bundesverfassungsschutz den islamischen Verein ATIB, der Mitglied beim Zentralrat der Muslime ist, den türkisch-rechtsextremen Grauen Wölfen zu. Trotzdem stellt das Auswärtige Amt die Generalsekretärin des Zentralrats als Religionsvertreterin ein.

imago Images/Steinach

Nicht durch eine Pressemitteilung, sondern via Twitter teilte der Leiter der Kultur- und Kommunikationsabteilung im Auswärtigen Amt, Andreas Görgen, mit, dass nun drei Religionsvertreter im Auswärtigen Amt arbeiten. Es handelt sich dabei um den evangelischen Pastor Peter Jorgensen, den Fast-Rabbiner Max Feldhake und die Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime Nurhan Soykan. „Herzlich willkommen, Nurhan Soykan! Die gesellschaftliche Verantwortung von Religionsgemeinschaften ist das Thema unseres Teams „Religion und Außenpolitik“, schreibt Görgen.

Eine Graue Wölfin im Auswärtigen Amt?

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Türkische Rechtsextremisten im Zentralrat der Muslime
Erst vor drei Wochen stellten Bundesinnenminister Horst Seehofer und Bundesverfassungsschutzpräsident Thomas Haldenweg den Verfassungsschutzbericht 2019 vor. Der Bund ordnete erstmals die „ATIB – Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa“ der türkisch-rechtsextremistischen „Ülkücü“-Bewegung, auch bekannt als „Graue Wölfe“, zu. Die Tatsache war dem Verfassungsschutz, Wissenschaftlern und Journalisten längst bekannt, und die Zuordnung wurde im Jahr 2019 vom Verwaltungsgericht München als rechtmäßig erklärt. Der türkisch-rechtsextremistische Verein ATIB ist ein Gründungsmitglied und eine stete Mitgliedsorganisation beim Zentralrat der Muslime (ZMD), in dessen Vorstand Mehmet Alparslan Celebi als Stellvertretender Vorsitzender sitzt. Nicht nur, dass Celebi seit vielen Jahren nicht nur aktives ATIB-Mitglied ist, sondern auch in dessen Vorstand vertreten ist: Er ist der Sohn des ATIB-Gründers Musa Serdar Celebi, der bereits in der Türkei ein Grauer Wolf war und an der Seite des Gründers der Grauen Wölfe Alparslan Türkes, nach dem Sohn Celebi benannt ist, stand. Immer wieder fällt der Stellvertretende ZMD-Vorsitzende Mehmet Alparslan Celebi durch ultranationalistische Äußerungen auf, die in die ideologische Linie der Grauen Wölfe passen.

Trotz dieser Zuordnung vom Bundesverfassungsschutz sucht sich das Auswärtige Amt als Religionsvertreter den Zentralrat der Muslime aus, einen Verband, der türkische Rechtsextremisten beherbergt und einen Grauen Wolf im Vorstand hat.

Geht es nach dem Auswärtigen Amt, so soll nun der Islam als Religion durch ein Mitglied des ZMDs vertreten werden. Doch der ZMD vertritt über seine Mitgliedsorganisationen weniger als 1% der in Deutschland lebenden Muslime. Außerdem steht der ZMD in einer Nähe zur islamistischen, antisemitischen Muslimbruderschaft, da er 1994 mit Beteiligung der Muslimbruderschafts-nahen Organisationen „Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD)“, „Islamisches Zentrum München“ und „Islamisches Zentrum Aachen“ gegründet wurde. Die IGD, die sich in „Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG)“ umbenannte, ist laut Verfassungsschutz die „wichtigste und zentrale Organisation von Anhängern der Muslimbruderschaft (MB) in Deutschland. Ziel der DMG ist es unter anderem, sich in Deutschland als anerkannter Ansprechpartner zum Thema Islam zu etablieren. Sie verfolgt daher eine […] Strategie der Einflussnahme im politischen und gesellschaftlichen Bereich.“ Ende 2019 ließ die DMG aufgrund der MB-Vorwürfe die Mitgliedschaft im ZMD ruhen. Eine ruhende Mitgliedschaft bedeutet jedoch keine ideologische und keine faktische organisatorische Trennung. Jene „ruht“ auch offiziell nur so lange, bis der Vorwurf der MB-Nähe gerichtlich entschieden ist, da der DMG gerichtliche Schritte eingeleitet hat. Nach der Islam-Forscherin Valentina Colombo steht der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek selbst in ideologischer Nähe zur Muslimbruderschaft.

Abteilung „Religion und Außenpolitik“

Die Abteilung „Religion und Außenpolitik“ wurde vor zwei Jahren im Auswärtigen Amt eingerichtet. Vorläufer war ein Arbeitsstab namens „Friedensverantwortung der Religionen“, der mit einer Konferenz im Mai 2017 in die Öffentlichkeit trat. Laut der Website des Auswärtigen Amtes hat die Abteilung das Ziel, „Religionsgemeinschaften und ihren möglichen Einfluss auf Gesellschaft und Politik besser zu verstehen“. Der Zentralrat der Muslime ist nicht als eine Religionsgemeinschaft anerkannt, dies entschied 2017 das Oberverwaltungsgericht Münster nach 20 Jahren Rechtsstreit.

Das Auswärtige Amt versucht also durch eine Vertreterin aus einem umstrittenen islamischen Verband, der rechtlich keine Religionsgemeinschaft in Deutschland und den Grauen Wölfen sowie der Muslimbruderschaft nah ist, andere „Religionsgemeinschaften“ zu verstehen. Auf der Website des Auswärtigen Amts heißt es: Das Auswärtige Amt möchte das konstruktive Potenzial von Religionsgemeinschaften stärken. Zu diesem Zweck wird ein internationales und interreligiöses Netzwerk von Religionsvertreterinnen und -vertretern gepflegt. Als der ZMD via Twitter seiner Generalsekretärin gratulierte, sprach er von „zur Stelle einer Beraterin“ im Auswärtigen Amte. Wenn Soykan das Auswärtige Amt in dem Sachverhalt eines Netzwerkaufbaus von Religionsvertretern beraten soll, ist dies angesichts der genannten Kritikpunkte gegenüber ZMD mehr als problematisch. Eine vom politischen Islam unabhängige Beratung sieht anders aus.

Die neue Religionsvertreterin: Verfechterin des Kopftuches

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Über Nurhan Soykans Person ist nicht all zu viel bekannt. Auffällig bisher ist, dass sie zum Thema Kopftuchverbot eine klare Linie hat. Als etwa das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 entschied, dass die Bundesländer berechtigt sind, Referendarinnen bei Gericht das Kopftuch zu verbieten: Soykan stellte das Recht der Länder auf ein Kopftuchverbot vor Gericht so dar, als würde man „Rechtsreferendarinnen letztlich als Referendarinnen zweiter Klasse behandeln“ und kehrte den Spieß um, indem der Justizdienst bestimmten Bevölkerungsgruppen verschlossen bleiben solle, so die Lahrer Zeitung. Bereits 2018 äußerte sich Soykan zu einem Fall in Augsburg, wo einer Muslimin das Kopftuch im Gerichtssaal verwehrt wurde; sie setzte das Kopftuch eins mit der Religionsfreiheit, die dadurch „eingeschränkt“ werde. Im Mai 2019 schrieb Soykan sogar einen Artikel für die Zeit zu der Debatte des Kopftuchverbotes für minderjährige Mädchen. In dem Artikel verharmlost sie die Rolle des Kopftuchs als Symbol des politischen Islam, indem sie versucht zu argumentieren, dass die Kinder selbst diese Entscheidung fällen würden, fern von dem Einfluss der Eltern. Das Kopftuch sei mit deutschen Werten und dem Grundgesetz vereinbar. Sie nennt gar die Kopftuchdebatte eine „Scheindebatte“, die nur zur „Polarisierung“ führe, und schwingt mit der Rechtspopulistenkeule. All dies sind derweil typische, zu beobachtende Strategie um Islamkritik abzuschmettern.
Verbindungen ATIB, ZMD und AKP

Auch bei einem anderen Anlass fiel Soykan auf: Auf der Gründungsversammlung der „Muslime in der Union“ wurde der ZMD, die DITIB und die ATIB eingeladen. „Muslime in der Union“ ist ein 2017 entstandenes Bündnis, das hauptsächlich von türkischstämmigen Muslimen gegründet wurde. Initiatoren waren Cihan Sügür, der beim DITIB-Verband Dortmund arbeitete, und Mehmet Alparslan Celebi, die beide befreundet sind. Sügür und Celebi sind wiederum beide durch den Egibil-Vorstand (Verein Bundesvereinigung Interkulturelle Jugendbildung) mit Muhsin Senol verbunden, der besonders mit Celebi befreundet ist. Senol saß im Vorstand von ATIB und war Vorsitzender der „Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD)“, was als Erdogans Interessenvertretung und Lobbyorganisation der türkischen Regierungspartei AKP gilt. Laut FAZ versammelten sich auf der Auftaktveranstaltung der CDU-Initiative Erdogan-Anhänger – liberale Erdogan-Kritiker und muslimische Bundestagsabgeordnete, die für die Armenien-Resolution gestimmt hätten, seien nicht eingeladen worden.

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Nurhan Soykan hielt als Generalsekretärin des ZMD dort eine Rede, in der sie der Taz zufolge über die Armenien-Resolution des Bundestags sprach. Der Bundestag hätte das Vertrauen vieler türkischstämmiger Menschen in die deutsche Politik und gerade in die türkischstämmigen Abgeordneten geschwächt. Damit folgt Soykan einer türkisch-nationalistischen, Erdogan-nahen Linie. Der Bundestag hatte am 2. Juni 2016 die ab 1915 im damaligen Osmanischen Reich an den Armeniern begangenen Massaker als Völkermord anerkannt. Die türkische Geschichtsschreibung und Regierung dementieren den Völkermord, in dem mehr als 1,5 Millionen Menschen getötet wurden. 2011 wurde verfügte Recep Tayyip Erdogan sogar den Abriss der 2006 von Mehmet Aksoy geschaffenen Skulptur „Denkmal der Menschlichkeit“, die an den Völkermord erinnerte. Das Bündnis „Muslime in der Union“ legte durch ihre Initiative 2017 die offensichtlichen Verbindungen zwischen ZMD, ATIB, DITIB und AKP zu Tage. Doch für das Auswärtige Amt scheinen dies alles keine entscheidendes Kriterien zu sein. Sie haben sich für eine Religionsvertreterin entschieden, die ihrem Handeln nach zubeurteilen einen türkischen Nationalismus in Kombination mit einem politischen Islam zu vertreten scheint.

Eine Anfrage an das Auswärtige Amt blieb bisher unbeantwortet.* Sofern diese noch erfolgen sollte, wird sie dem Beitrag angefügt.


* Das AA hat in der Zwischenzeit geantwortet, aber ist nicht konkret auf Fragen eingegangen, sondern hat eine Art Statement abgegeben. Auf welcher Grundlage die drei Religionsvertreter ausgesucht wurden, wurde genauso wenig beantwortet, wie die Frage, weshalb eine Person als Religionsvertreterin für den Islam ausgewählt wird, die einem Dachverband angehört, der nur unter 1% der in Deutschland lebenden Muslime vertritt. Ob der kürzlich veröffentlichte Verfassungsschutzbericht 2019, in dem ATIB den Grauen Wölfen zugeordnet wurde, für die Auswahl nicht von Belang war, wurde ebenfalls vom Auswärtigen Amt ignoriert.

Sehr geehrte Frau Riffler,

vielen Dank für Ihre Anfrage:

Unter 2/ „aus dem Auswärtigen Amt“

Das Auswärtige Amt ergänzt seine klassische Außenpolitik zwischen Staaten seit vielen Jahren um eine Außenpolitik der Gesellschaften, seit 2016 konkret auch durch das Arbeitsfeld Religion und Außenpolitik.

Über 80 Prozent der Weltbevölkerung bekennen sich zu einer Religion. Die Verantwortung der Religionen für Frieden will das Auswärtige Amt mit religiösen Gemeinschaften weltweit ansprechen, ihren möglichen Einfluss auf Gesellschaft und Politik besser verstehen und das konstruktive Potential stärken. Frau Soykan wird, ähnlich wie ihr christlicher und ihr jüdischer Kollege, das Auswärtige Amt zu Fragen der Verantwortung religiöser Gemeinschaften für Frieden beraten.

Frau Soykan vertritt seit vielen Jahren Verbände und Gremien, die sich den Themen Religion, Verständigung und Integration widmen.

Mit freundlichen Grüßen

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