Jahrzehntelang hatte ich als typisches Kind einer Demokratie über Probleme der Meinungsfreiheit gar nicht groß nachgedacht, sondern sie den gegenwärtigen Diktaturen in der Welt bzw. längst vergangenen vordemokratischen Regimes (mit ihren Tabus – Einfügung d. Red.) zugeordnet. Die Diskussion über politische Korrektheit hatte mich nie so richtig interessiert. Mit Erheiterung nahm ich die sprachlichen Auswüchse der Frauenbewegung zur Kenntnis und fragte mich, wie lange der »Allmächtige Gott« in der deutschen Sprache noch sein männliches Geschlecht behaupten konnte. Belustigt registrierte ich das Verschwinden von »Negerkuss« und »Mohrenkopf« aus dem Sprachschatz des Konditors und zitierte aus Schillers Fiesco: »Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehen.« Ich registrierte die verdruckste Dummheit solch sprachlicher Purgierungsversuche, erwehrte mich des Zeitgeistes mit Spott und meinte im Übrigen, dass er mich nicht beträfe. Das war wohl ein Irrtum.
Als ich Deutschland schafft sich ab vorbereitete, Aufsätze und Bücher las, die amtliche deutsche Statistik auswertete oder die UNO-Datenbank für Bevölkerungsprognosen befragte, kam mir in meiner stillen Stube nicht entfernt die Idee, dass ich unmoralische, gar verbotene Fragen aufwerfen könne. Noch Monate nach Erscheinen meines Buches meinte ich, es ginge darum, inhaltliche Fragen zu erläutern, die vielleicht in meinem Buch nicht ausreichend klar dargestellt seien. Darum ging es meinen Kritikern aber gar nicht. Es war die Art meines Blicks auf die Probleme, die bei vielen Hass auslöste. Und dieser Hass wurde offenbar noch dadurch bestärkt, dass meine Analysen im Empirischen wurzelten und die darauf aufbauenden Gedankenketten den herkömmlichen Regeln der Logik folgten. (…)
Der Lieblingsphilosoph der Deutschen, Richard David Precht, empörte sich am 26. September 2010 im Spiegel:
»Wieso kann ein hölzerner Finanzfachmann mit seinen Vorurteilen, seinen turmhoch gestapelten Statistiken und seinen biologischen Nachschlagewerken eine solche Aufregung verursachen? Weil er ein Tabu gebrochen hat? Weil er der schweigenden Mehrheit eine näselnde Stimme gibt? Weil den Massenmedien langweilig war? Oder doch: Weil er ins Schwarze traf, als er ins Braune redete?«5
In der taz sprach Hartmut El Kurdi von »Deutschlands beliebteste[m] Quartalsirren Thilo Sarrazin« und seiner »rassistische[n] Zahlenmystik«.6 Hans-Ulrich Jörges vom Stern schäumte noch drei Monate nach Erscheinen des Buches: »Thilo Sarrazin … hat Widerwärtiges freigesetzt« und beklagte »eine Welle der unverhohlenen, schamlosen Stigmatisierung und Ausgrenzung muslimischer Migranten«.7 Dazu passt die Rezension des Buches im Stern: »Es ist lächerlich, wie ein vorgeblicher Mann des Wortes, denn als solcher versteht sich Sarrazin ja,… einen Verlag findet, der solchen Unfug drucken mag.«8
In einer Rezension des Düsseldorfer Philosophieprofessors Gerhard Schurz hieß es dagegen, Sarrazins Buch sei
»ein seriöses Werk. Auf wissenschaftlichem Anspruchsniveau sind zwar gelegentliche vorschnelle Schlussfolgerungen oder unzureichende Absicherungen zu kritisieren, doch kenne ich kaum einen populären Autor, der Breitenwirkung und wissenschaftliche Standards so gut vereint. Sarrazin hat es verdient, ernsthaft diskutiert zu werden.«
Es gehe Sarrazin »um die Verteidigung der Errungenschaften der Aufklärung«, und statt ihn »aus ihrer Partei auszuschließen, sollten sich die SPD-Politiker klarmachen, dass er jene Werte verteidigt, aus denen ihr ureigenes politisches Erbe einst hervorging«.9 Deutschlands bedeutendster Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler sagte, Sarrazins Problemdiagnose treffe »ins Schwarze« und sei »das Reformplädoyer eines geradezu leidenschaftlichen Sozialdemokraten«.10 Der Bonner Soziologe und Psychologe Erich Weede schrieb in einer Rezension:
»Sarrazins Zielsetzung der Erhaltung und Verbesserung des Humankapitalbestandes in Deutschland hat nichts mit ›Rassismus‹, ›Biologismus‹ oder auch nur einer Erbtheorie der Intelligenz zu tun. Selbst seine Befürchtung der absehbaren Verschlechterung der Humankapitalausstattung in Deutschland kommt weitgehend ohne erbtheoretische Annahmen aus.… Massive Zuwanderung vor allem aus dem islamischen Kulturkreis könnte auch mit der politischen Stabilität Deutschlands langfristig unvereinbar sein.«11
Gemäßigter war die grundsätzliche Kritik von Gustav Seibt. Er sprach von einem »neuen Konservativismus«, der in der Bündelung von »Demografiedebatten, Migrantendebatten und Sozialstaatsdebatten« zum Ausdruck komme. Er schlug die Verbindung zur »liberalen Migrantenfurcht«. Deren Gesicht sei »weiblich und feministisch« und trage »Namen wie Alice Schwarzer und Necla Kelek«. Aber auch »bekennende Juden« tauchten gelegentlich auf, »die vor einer dritten totalitären Welle nach Kommunismus und Faschismus warnen«, während der Neuköllner Bürgermeister Buschkowsky »durch betont berlinernden Klartext den redlichen kleinen Mann« einbinde. In der Summe bekomme so, das ist der Kern von Seibts Kritik, »die immerwährende Furcht vor Fremden, die im Streit um Asylanten und Neonazis der Neunzigerjahre noch durch Lichterketten und Aufrufe zum Anstand eingedämmt werden konnte, einen aufgeklärten, zivilisierten Anstrich«. Seibt warnte demgegenüber: »Mit Furcht vor dem Neuen wurde noch nie etwas erreicht.«12 Er benutzte damit ein Argument, das auch die Kernkraftbefürworter der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gern für sich in Anspruch nahmen.
Matthias Dusini wunderte sich, »dass gesellschaftliche Tabus neuerdings nicht von zornigen Künstlern, sondern von biederen Bankern und Botschaftern gebrochen werden«, während der etablierte Kunstbetrieb sich an der Aufrichtung von Tabus beteilige.13
Thea Dorn zitierte Martin Luther: Dessen Satz »Die Armut in der Stadt ist groß, aber die Faulheit viel größer« würde in heutigen Debatten »menschenverachtend« genannt werden. Heute gelte: »Verharmlosungen sind geschützt, Polemik gilt als Volksverhetzung. … Ein humanistisch gebildeter Berserker wie Franz Josef Strauß würde es heute allenfalls zum Bezirksbürgermeister von München-Maxvorstadt bringen.«14
Heribert Seifert meinte, Thilo Sarrazin habe mit seinem Buch »eine jener deutschen Debatten angestoßen, in denen der Zuschauer nur mit Mühe unterscheiden kann, ob es um die Klärung strittiger Sachen geht oder um die Kontrolle der öffentlichen Meinung«. Hier verletze »ein Mitglied der deutschen Funktionselite den Sprachcode, den die politische Klasse ebenso wie die medialen Meinungsführer für die öffentliche Erörterung der Einwanderung und ihrer Folgen für alternativlos erklärt haben«. Sarrazin »öffne dem Unmut über solche vormundschaftliche Hege und Pflege der öffentlichen Debatte ein Ventil«. Dadurch werde aber »durchaus nicht primär tobsüchtiges Ressentiment freigesetzt«, vielmehr treffe man bei »den Tausenden von Leserbriefen und Leserkommentaren auf engagierte Diskussionsbeiträge oft sehr sachkundiger Bürger«.15
Damit brachte er die Paradoxie eines Teils der Debatte wunderbar auf den Punkt. Und nun die Liste der Tabus, die offenbar berührt wurden, obwohl es sie doch angeblich gar nicht gibt:
Differenzierung nach Gruppen
In meinem Buch hatte ich in wechselnden Zusammenhängen gruppenbezogene Unterschiede bei der Bildungsleistung, dem wirtschaftlichen Erfolg und dem Grad der Integration angesprochen. Dabei hatte ich, soweit dies statistisch möglich war, nach der ethnischen Herkunft wie nach der religiösen Prägung differenziert. Wo es um das überdurchschnittliche Abschneiden von Gruppen ging – etwa Juden, Chinesen, Vietnamesen, Inder –, wurde dies in der Rezeption kaum, bzw. – im jüdischen Falle – gar nicht erwähnt. Wo es um das unterdurchschnittliche Abschneiden von Gruppen ging, war dagegen emotionale Empörung – nicht über die Tatsachen, sondern über deren Beschreibung – die vorherrschende Reaktion. Natürlich versuchte man auch gleich, die Antisemitismus-Karte zu ziehen. Harry Nutt zitierte Heinrich von Treitschkes »fatalen Aufsatz« aus dem Jahr 1879, Unsere Aussichten, in dem sich dieser kritisch zur Integration der jüdischen Einwanderer aus Osteuropa geäußert hatte. Dieser Aufsatz »lese sich wie eine Blaupause für aktuelle populistische Pamphlete«.17 Nutt verschwieg nur die Pointe: Die Problematik der jüdischen Einwanderer bestand Ende des 19. Jahrhunderts darin, dass sie so besonders erfolgreich waren. Sie gründeten Banken, füllten die Gymnasien und stürmten akademische Positionen. Es war also das exakte Gegenteil der in meinem Buch angesprochenen Probleme.
Religion und Integration
Im Falle der muslimischen Migranten überlagern sich die gruppenbezogenen Unterschiede mit der religiösen Orientierung. In meinem Buch hatte ich dazu die statistischen Fakten beschrieben. Mit kausalen Erklärungen war ich vorsichtig, und immer wieder hatte ich klargemacht, dass eine statistische Beschreibung von Häufigkeitsverteilungen in Gruppen keine Aussage für den Einzelfall zulässt. Damit tat sich die Rezeption in Politik und Medien äußerst schwer. Die bloße Erwähnung statistischer Fakten zu Sprachkenntnissen, Bildungsbeteiligung oder Kriminalität wurde als diskriminierende Zuschreibung zum Einzelfall angesehen, die Diskussion auf der Faktenebene gleichzeitig aber weitgehend verweigert. Wo man ihr nicht entgehen konnte, schlug sie schnell um in persönliche Diffamierungen, die bis zum Rassismusvorwurf gingen.
In den Medien aber dominierte das Jammern jener, die sich als Opfer meiner Analysen darstellten: Hilal Sezgin (Mutter deutsche Professorin, Vater türkischer Professor) klagte in der Zeit unter der Überschrift »Deutschland schafft mich ab«, »Einmal Muslim, immer Fremder« und hielt jedwede Diskussion und Analyse über gruppenbezogene Unterschiede prinzipiell für illegitim: »Wirklich angemessen wäre nur eine Karte im Maßstab 1:1.«19 Damit fordert Hilal Sezgin, auf vergleichende Untersuchungen sozialer Gruppen grundsätzlich zu verzichten. Es scheint ihr gleichgültig, dass diese Haltung, zu Ende gedacht, auf die Abschaffung einer empirischen Soziologie hinausläuft.
Necla Kelek bemerkte dazu trocken: »Da macht sich jemand zum Opfer, der zu den Gewinnern zählt.« Sie kritisierte weiter:
»Islamverbände und Türkenlobby sonnen sich in Sachen Sarrazin in der Opferrolle und überbieten sich in wortradikalen Ausführungen. … Sie halten Assimilation der Türken und Muslime in die deutsche Gesellschaft für ein Verbrechen, unter anderem, weil dies ihr Geschäft mit der Integration verderben könnte.«20
Chaim Noll schrieb zu diesem Teil der Debatte fast schon verzweifelt:
»Was hilft Meinungsfreiheit, wenn sie ganze Bereiche des Denkens meidet? Wenn der Islam zu Deutschland gehören soll, wie der Bundespräsident behauptet, muss auch Islam-Kritik zu Deutschland gehören, denn in westlichen Staaten gilt es als Menschenrecht, jedes uns berührende Phänomen kritisch zu reflektieren.… Islam-Kritik ist notwendig zum Erhalt der geistigen Freiheit in Europa.«21
Genetische Fragen
In meinem Buch hatte ich an verschiedenen Stellen den Stand der Forschung zur Erblichkeit von Unterschieden in der menschlichen Intelligenz sachgerecht zitiert und diese Ergebnisse bei meinen Analysen verwendet. Das löste allergrößte Abscheu aus und wurde prominent als Begründung für das Verfahren zum Ausschluss aus der SPD herangezogen. Frank-Walter Steinmeier sprach von »geradezu abenteuerlichen Interpretationen angeblicher Wissensstände in der Humangenetik«.22 Dieter E. Zimmer schrieb dazu im Rückblick verwundert:
»Dies also schien die Meinung der SPD-Spitze zu sein: Weder Intelligenz noch irgendeine andere Charaktereigenschaft sind genetisch vorgezeichnet. Biologie spielt im Leben des Menschen keine Rolle. Wer anderes glaubt, verstößt gegen die elementaren Wertvorstellungen der Sozialdemokratie, ist ein Biologist, ein Rassist, fast ein Nazi und eigentlich ein Fall für den Verfassungsschutz.«23
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hatte aus dieser peinlichen Kritik auch drei Jahre später nichts gelernt und zog noch im Juli 2013 öffentlich erneut eine Parallele zwischen Auschwitz und meinen Aussagen zur Erblichkeit von Intelligenz. Er tat diese Äußerung in derselben Veranstaltung, in der er sich eine Tagesschau-Sprecherin mit Kopftuch wünschte.24
Einige journalistische Stimmen offenbarten ein merkwürdiges Verständnis von Forschung, indem sie mir einige der Wissenschaftler, die ich zitiert hatte, etwa Gunnar Heinsohn, Richard Lynn, Volkmar Weiss oder Herrnstein und Murray, gewissermaßen moralisch zur Last legten.25 Dass es in der empirischen Wissenschaft nur zwei Kriterien gibt, nämlich Wahrheit und Erkenntnisfortschritt, scheint für viele Medienvertreter nicht einleuchtend. Sie bevorzugen stattdessen Moral und Opportunität.
Eine missverständliche Interview-Bemerkung von mir zur genetischen Verwandtschaft der Juden rief einen besonderen Sturm hervor. Allerdings hatte es schon Elemente von Komik, mir das Wort vom gemeinsamen Gen, das alle Juden teilen, als »antisemitisch« auszulegen. Denn in meinem Buch schilderte ich ja gerade die überdurchschnittlichen intellektuellen Leistungen von Juden in Europa. Das gefiel dem Vizepräsidenten des Jüdischen Weltkongresses Maram Stern allerdings auch nicht, er kritisierte:
»Wenn auch positiv, wir Juden werden wieder herausgehoben aus der Allgemeinheit, in eine Sonderstellung versetzt und damit letztlich doch wieder stigmatisiert. Es muss sich in allen Köpfen die Einsicht durchsetzen, dass wir Juden einfach Menschen sind, wie andere auch.«26
Der damalige israelische Botschafter in Deutschland, Yoram BenZeev, bemerkte zu diesem Teil der Debatte:
»Darüber wurde in Israel kaum berichtet. Was mich betrifft: Ich bin kein Biologe, aber ich erinnere mich gut an die Rede des israelischen Schriftstellers Amos Oz, der … davon sprach, dass die deutsche Kultur jüdische Gene besitzt und das Judentum deutsche Gene hat. Damals bekam er Applaus.«27
Auch weil die jüdischen Stimmen zu dem Buch in der Summe erstaunlich neutral waren, scheiterten alle Versuche, meine kritischen Äußerungen zum Islam und zur muslimischen Einwanderung in eine antisemitische Ecke zu rücken.28
Bedeutung gruppenbezogener unterschiedlicher Geburtenraten
Ausgehend von einer teilweisen Erblichkeit von Intelligenz hatte ich die Frage aufgeworfen, welche Folgen es für eine Gesellschaft langfristig hat, wenn die Kinderzahl gebildeter Schichten dauerhaft unterdurchschnittlich ist. Schon die Frage wurde weitgehend als unzulässig und unmoralisch verworfen und brachte den Vorwurf von Sozialdarwinismus und Eugenik mit sich. Frank Schirrmacher kritisierte die »Etablierung eines völlig neuen Kulturbegriffs. Es geht um die Verbindung von Erbbiologie und Kultur und damit um ein Wort, das Sarrazin (Darwin zitierend) so unerschrocken benutzt wie einst Gottfried Benn ›Zuchtwahl‹ und ›Auslese‹«.29
»Zwar feiert man den Siegeszug der Biologie in Technik und Wissenschaft, will ihn aber im allgemeinen öffentlichen Bewusstsein nicht gelten lassen. Das konnte man einst bei der Sloterdijk-Debatte zum Thema der biologischen Optimierung des Menschen (›Menschenpark‹) beobachten und jüngst wieder bei der Sarrazin-Debatte. Mit eugenischen Überlegungen, Behauptungen über Erblichkeit der Intelligenz und unterschiedliche Begabungsverteilungen in den Volksgruppen zieht man immer noch die stärksten Bannsprüche auf sich.«
Safranski verwies auf die Philosophie Schopenhauers: »Sein Menschenbild war nicht, wie man es damals [ich füge hinzu: und heute wieder] bevorzugte, vom Geist her entworfen, sondern vom Leib und den Trieben, der Biologie. Mit Schopenhauer vollzieht sich, provozierend für die damalige Zeit, eine biologische Wende in der Philosophie.«30
Frank Schirrmacher und Arthur Schopenhauer als philosophische Antipoden? Das ist fürwahr eine interessante Perspektive.
Die Paradoxie des Tabus führt oft zu rührender Widersprüchlichkeit. In ein- und demselben Interview sagte die Soziologin und WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger zunächst: »Ich halte nichts von dieser Geburtenpolitik, diesem Drohbild, dass die Deutschen aussterben.« Gleichwohl scheint sie auch zu erkennen, dass nicht genügend Intelligenz in Deutschland nachwächst, sonst würde sie nicht wenige Sätze später fordern: »Ansonsten brauchen wir, was den Fachkräftemangel angeht, ein klares Bekenntnis zu einer Zuwanderungspolitik, ohne die kommen wir überhaupt nicht mehr aus.« 31 Aber natürlich sollen jene kinderlosen oder kinderarmen qualifizierten Frauen, für die man nach ihrer Meinung keine Geburtenpolitik braucht, am Arbeitsmarkt eben jene Lücken füllen, die durch den Mangel an nachwachsender Intelligenz überhaupt erst entstanden sind.
Leider tabuisiert diese Art der Diskussion auch die Frage, welche Fehlsteuerungen unseres Sozialstaats zur Schichtabhängigkeit der Geburtenverteilung führen. Clemens Wergin spricht hier von einer »sinnentleerten Verschleierungsdiktion«.32 Generell stellt sich die Frage: Was hindert intelligente, gebildete Menschen daran, Tatsachen und kausale Zusammenhänge zur Kenntnis zu nehmen und geistig adäquat zu verarbeiten, die sich bei logisch einwandfreiem Vorgehen zwingend aufdrängen? Ist es die Furcht, sich mit einer strittigen Sichtweise zu exponieren? Ist es der Wunsch, eigene Illusionen zu schützen? Ist es die Angst, den logischen Konsequenzen ins Auge zu sehen?
FUSSNOTEN – [Die Ziffern sind identisch mit der Zählweise im Buch - Anm. d. Red.] 5 Richard David Precht: Soziale Kriege. Vom Unbehagen der bürgerlichen Mittelschicht, Der Spiegel 39/2010, S. 176 6 Hartmut El Kurdi: Die Rückkehr des Rechenritters Sarrazin, taz vom 24. August 2010 7 Hans-Ulrich Jörges: Wer den Schuss nicht hört, Stern 47/2010, S. 48 8 Stern 37/2010, S. 141 9 Gerhard Schurz: Sarrazin verteidigt jene Werte, aus denen die SPD hervorging, Focus 1/2011, S. 56ff. 10 Jürgen Kaube: Pflichtlektüre für die SPD. Deutschlands bedeutendster Sozialhistoriker verteidigt Thilo Sarrazin, FAZ vom 8. Oktober 2010, S. 31 11 Erich Weede: Demographie, Intelligenz oder Humankapital und Zuwanderung. Schafft Deutschland sich ab? Hat Thilo Sarrazin recht?, in Jürgen Bellers (Hrsg.): Zur Sache Sarrazin, Berlin 2010, S. 65, 71 12 Gustav Seibt: Dem Bewahren, Schönen, Guten, SZ-Magazin vom 27. November 2010, S. 48ff. 13 Matthias Dusini: Neo-Avantgardisten der Höflichkeit?, Der Standard vom 25. November 2010, S. 33 14 Thea Dorn: Tribunal der Gutmeinenden, Die Zeit vom 30. September 2010, S. 5 15 Heribert Seifert: Lärmige Inszenierungen. Thilo Sarrazin und der widersprüchliche Kampf um Kommunikationskontrolle, Neue Zürcher Zeitung vom 7. September 2010 16 Henryk M. Broder: Für den tierischen Ernst, Die Weltwoche 1/2011, S. 15 17 Harry Nutt: Von hosenverkaufenden Jünglingen und Kopftuchmädchen, Magazin der Berliner Zeitung vom 27. November 2010, S. M08 18 Zitiert bei Michael Hanfeld: Eine nachhaltige Debatte?, FAZ vom 18. September 2010, S. 31 19 Hilal Sezgin: Deutschland schafft mich ab, in: Patrick Schwarz (Hrsg.), Die Sarrazin-Debatte, Hamburg 2010, S. 184 20 Necla Kelek: Sarrazins Analyse ist eine Ohrfeige für die Parteien, Focus 36/2010, S. 60f. 21 Chaim Noll: Anullierung der Aufklärung, Die Achse des Guten vom 5. Oktober 2011, siehe: http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/ article/annulierung_der_aufklaerung/ 22 Mitteldeutsche Zeitung vom 15. November 2011 23 Dieter E. Zimmer: Ist Intelligenz erblich? Eine Klarstellung, Hamburg 2012, S. 8 24 Vgl. Auftakt der Muslimischen Hauptstadtgespräche des ZMD war ein voller Erfolg, siehe: http://islam.de/22501 25 So z.B. Nils Minkmar: Lesen ist nicht genug, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 19. September 2010 26 Maram Stern: Der benutzte Jude, in Deutschlandstiftung Intergration (Hrsg.): Sarrazin. Eine deutsche Debatte, München 2010, S. 143 27 Ich lerne natürlich Deutsch, Interview mit Yoram Ben-Zeev, Welt am Sonntag vom 19. September 2010, S. 3 28 Peter Wortsmann zog in der Zeit eine Verbindung zu Johannes Reuchlin, der mit dem im Jahre 1511 veröffentlichten Augenspiegel für religiöse Toleranz geworben hatte, und wählte dazu den beziehungsreichen Titel »Verbrennt nicht, was Ihr nicht kennt«. Die Zeit vom 5. Januar 2011, S. 16 29 Frank Schirrmacher: Ein fataler Irrweg, in: Sarrazin. Eine deutsche Debatte, a.a.O., S. 24 30 Rüdiger Safranski: Die Zähmung des Menschen, Der Spiegel 38/2010, S. 171ff. 31 Müssen wir das Kindergeld kürzen?, Interview mit Jutta Allmendinger, Die Welt vom 31. Mai 2011, S. 11 32 Clemens Wergin: Herzliche Grüße von Henrico, Die Welt vom 14. September 2010, S. 7
Leicht gekürzter Auszug aus:
Thilo Sarrazin, Der neue Tugendterror. Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland. Neuausgabe mit aktualisiertem Vorwort, LangenMüller, 400 Seiten, 18,00 €.
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