Am Sonntag sind mehr als 30 Millionen polnische Staatsbürger dazu aufgefordert, in einer Stichwahl ihren Präsidenten zu wählen. Nachdem vor zwei Wochen beim ersten Durchgang neun Mitbewerber die Segel streichen mussten, waren die beiden verbliebenen Kandidaten in den letzten Tagen im ganzen Land auf Stimmenfang unterwegs. Kurz vor der traditionellen „Wahlkampfstille“ sah eine Umfrage des regierungskritischen Nachrichtenportals OKO.Press den konservativen Amtsinhaber Andrzej Duda knapp vorne.
Für den 48-jährigen Oppositionspolitiker Rafał Trzaskowski darf bereits das Erreichen der Stichwahl als großer Erfolg gewertet werden. In den vergangenen Jahren hat eine Reihe von Affären das Vertrauen in die links-liberale Bürgerplattform (PO) erschüttert und der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) immer wieder neue Munition geliefert. Im Jahr 2014 hat ein handfester Abhörskandal den Blick darauf freigelegt, dass die Ursachen der PO-Krise tiefgreifender waren als bis dahin vermutet. Auch auf lokaler Ebene hat sich die Partei des früheren Ministerpräsidenten Donald Tusk immer wieder neuen Unmut zugezogen. Eine Schattenbank in Gdańsk brachte mehrere Tausend Kunden um ihr Hab und Gut. Die sog. „Reprivatisierungsaffäre“, in der sich die Aneignung kriegsbedingt herrenloser Häuser als Freibrief zum Betrug entpuppte, hängt der in Warschau regierenden PO bis heute nach.
Dabei schien noch im April der „Duda-Zug“ unaufhaltsam voranzupreschen. Doch dann kam Corona. Im politischen Warschau entfaltete sich daraufhin ein unerbittlicher Streit darüber, ob die Präsidentschaftswahlen wie geplant am 10. Mai stattfinden sollen. Die PiS-Regierung schlug damals eine Briefwahl vor, die während der Pandemie auch in Bayern oder etwa in Südkorea mit Erfolg durchgeführt wurde. Die Opposition versuchte dennoch eine Wahlverschiebung zu erzwingen. Der Senatsmarschall Tomasz Grodzki (PO) sprach allen Ernstes von „tödlichen Briefumschlägen“, welche die Gesundheit der polnischen Wähler in akute Gefahr brächten.
Die Legende von den Großstädten sowie deren Funktion als „demokratische Bollwerke“ hält sich seitdem hartnäckig. Dabei hat der erste Wahlgang vor zwei Wochen die Mythenschöpfer Lügen gestraft. Anders als bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2015 schaffte es Andrzej Duda diesmal, auch große Metropolen wie Rzeszów, Lublin, Kielce oder Białystok zu erobern. Trzaskowskis Erfolg ist eher darauf zurückzuführen, dass er eine politische Wendigkeit an den Tag legt, die man zuvor allenfalls Donald Tusk zugeschrieben hatte.
Auf seinen Wahlveranstaltungen erging sich Trzaskowski in konzilianten Absichtserklärungen und versuchte somit enttäuschte PiS-Wähler zu erreichen. Die Verärgerung über Journalisten, die ihm unbequeme Fragen stellten, wusste er mit dem Gedanken zu zügeln, dass er am Ende vielleicht doch am längeren Hebel sitzt. Zu einer scharfen Replik ließ er sich nur dann hinreißen, wenn er zu den PiS-Reformen befragt wurde. Er werde diese „mit dem heißen Eisen ausbrennen“, so der PO-Politiker. Dies gelte wohl auch für andere ambitionierte Pläne der Konservativen. So versicherte Trzaskowski vor einigen Monaten, Polen brauche keinen eigenen modernen Flughafen, weil es doch bald einen neuen in Berlin gebe.
Trotz dieser politischen Inkonsequenz und der zahlreichen Skandale in seiner Partei hat Trzaskowski dennoch berechtigte Hoffnungen, die Stichwahl für sich zu entscheiden. Vermutlich auch deswegen, weil er auf das ganze mediale Waffenarsenal westlicher EU-Länder zählen darf, zumal in Deutschland. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA liegen die Sympathien der Deutschen und vieler in der BRD lebenden Polen deutlich bei dem linken PO-Kandidaten. Dies ist das Ergebnis einer seit Jahren höchst einseitigen Osteuropa-Berichterstattung. Duda hat sich im Wahlkampf wiederholt kritisch über den Einfluss deutscher Medienkonzerne auf die Politik in Polen geäußert.