Sie bestimmen in Berlin das Straßenbild: Junge Menschen hetzen unter Missachtung aller Verkehrsregeln und Ampeln auf Fahrrädern durch die Stadt. Sie arbeiten in Projekten an der Uni, bei Start-ups, Internetfirmen oder machen „irgendwas mit Medien in Berlin-Mitte“, wie es im Hauptstadt-Spott heißt. Sie leben in Wohngemeinschaften im bunten und toleranten Stadtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg, treffen sich abends beim Italiener oder beim vegan kochenden Vietnamesen – und die meisten leben von der Hand in den Mund.
Wer solcherart irgendwas mit Medien macht und auch noch Haltung zeigt, dem soll nach Vorstellungen der Grünen geholfen werden, indem „Non-Profit-Journalismus“ gemeinnützig wird. Das fordert die Grünen-Fraktion in einem Bundestagsantrag (Drucksache Nr. 19/20790). Natürlich kann man so einen Antrag als Ausdruck üblicher Klientel-Politik beiseite wischen. Aber es geht um mehr: Die Branche soll umgekrempelt und ein starkes grünes Medienbataillon aufgestellt werden.
Der Grünen-Antrag kommt mit hehren Absichten daher. Beweint wird zunächst das Zeitungssterben und das Ende vieler Redaktionen: „Verkauften die Verlage 1991 in Deutschland insgesamt noch 27 Millionen Exemplare täglich, waren es 2019 nur noch 13,5 Millionen Exemplare.“ Non-Profit-Medien könnten neben den etablierten öffentlich-rechtlichen und privaten Medien „zu einer wichtigen Säule für Medienvielfalt und die mediale Grundversorgung“ werden, wird erwartet. Nicht etwa Markt und Wettbewerb sollen es richten, sondern der deutsche Nanny-Staat soll sich darum kümmern, dass seine Bürger nicht nur rundum betreut, sondern auch mit der richtigen Lektüre versorgt werden.
„Eine direkte staatliche Förderung des freien Journalismus“ verbietet sich nach Ansicht der Grünen – natürlich, denn sonst würde ja schnell klar, dass vom Staat bezahlter Journalismus nicht unabhängig sein kann. Deshalb soll die Förderung über die Gemeinnützigkeit erfolgen, wozu aber Paragraf 52 der Abgabenordnung, in dem die gemeinnützigen Zwecke abschließend aufgezählt werden, um den Zweck Journalismus ergänzt werden müsste. Es soll auch nicht jede Form von Journalismus gemeinnützig sein, sondern nur eine bestimmte Form und Richtung wie „kleine Blogs oder Publikationen von Vereinen und Initiativen“ und „nicht-gewinnzweckorientierte Initiativen“.
Gleiches Recht für alle soll im Steuerrecht übrigens nicht gelten. Die Regelung „bezweckt ausdrücklich nicht, dass jede Art von Journalismus als gemeinnützig anerkannt werden soll“. Denn die steuerrechtlich Begünstigen sollen sich „anerkannten Branchenstandards“ verpflichtet fühlen. Für die Festlegung dieser „anerkannten Branchenstandards“ hat sich bereits ein „Forum Gemeinnütziger Journalismus“ gegründet, das „in einem partizipativen öffentlichen Verfahren“ Leitlinien für gemeinnützigen Journalismus erstellt hat. Wer gemeinnützig werden will, muss Menschenwürde, Demokratie und Grundgesetz beachten, zudem „sorgfältig und fair“ recherchieren und veröffentlichen. Die auf der Internetseite des Forums veröffentlichten Kriterien sind ein Konglomerat dehnbarer Allgemeinplätze, die sich unter dem Oberbegriff „Haltungsjournalismus“ zusammenfassen lassen. Das Forum soll potenziell gemeinnützigen Journalismus-Organisationen ein Siegel verleihen, „das eine wichtige Entscheidungshilfe für die Finanzämter sein (könnte), wenn sie über die Anerkennung von gemeinnützigen journalistischen Körperschaften entscheiden müssen“.
Es gehört wenig Fantasie zu der Vorstellung, welche Blogs und nicht-gewinnzweckorientierten Initiativen die Grünen im Sinn haben: Genau diejenigen, die die Grenzöffnung von 2015 verteidigen, selbst im tiefsten Wald Windräder aufstellen lassen wollen, sich dem Genderismus verpflichtet fühlen und Dialog predigen, obwohl sie von anderen Meinungen nichts halten und alles, was ihnen nicht passt, als „Fake News“ oder „Verschwörungstheorien“ in die „rechte“ Ecke stellen oder gleich verbieten lassen wollen. Diese Journalisten könnten dann Spendenquittungen ausstellen wie andere gemeinnützige Organisationen, etwa die Heilsarmee.
Dass eine Initiative konservativer Blogger oder um die Natur besorgte bloggende Windkraftgegner das Siegel bekommen würden, erscheint zudem bei einem Blick auf die Liste der Träger des Forums nahezu ausgeschlossen: „Correctiv“ findet sich ebenso wie die „taz Panter Stiftung“, das „Netzwerk Recherche“ oder die „Rudolf Augstein Stiftung“, deren Geschäftsführerin Stephanie Reuter neben David Schraven von „Correctiv“ zum Sprecherteam des Forums gehört. Mit dabei ist auch die Schöpflin-Stiftung von Erben des ehemaligen Versandhauses, die „Correctiv“ nach eigenen Angaben pro Jahr mit 100.000 Euro fördert.
Geradezu abenteuerlich wird der Antrag beim Punkt „Rechtspopulismus“: „Befürchtungen, dass sich nach der vorgeschlagenen Gesetzesänderung vor allem rechtspopulistische Medien als gemeinnützig anerkennen lassen könnten, sind aus Sicht der Antragstellerin zu vernachlässigen. Gerade rechtspopulistische Medien sind erkenntlich schon heute nicht auf das Gemeinnützigkeitsprivileg angewiesen, sondern finanzieren sich durch intransparente Spenden reicher Privatiers. Tatsächlich sind gerade im Onlinebereich rechte Publikationen, die der demokratischen Grundordnung teils offen feindselig gegenüberstehen, fast die einzigen Bürgermedien, die keine Probleme haben, ihre Arbeit zu finanzieren.“
Mit dem Antrag der Grünen hat das Thema allerdings die kleinen Medienzirkel in Berlin verlassen und ist auf der parlamentarischen Ebene angekommen. Im Bundestag wird so ein Antrag an den zuständigen Finanzausschuss überwiesen, wo die SPD vermutlich ihre Sympathie erkennen lassen, aber mit Bedauern ihre Ablehnung erklären wird, weil sie nicht abweichend vom Koalitionspartner CDU/CSU votieren kann. Die Union dürfte erst einmal mit dem Standardargument ablehnen, dass im Paragrafen 52 nicht jeder Lebensbereich abgedeckt werden könne.
Die Grünen werden sich nicht entmutigen lassen und weitere Anträge stellen. Dann wird bei der CDU/CSU wie bei früheren grünen Vorstößen, etwa der Gleichstellung von homosexuellen Lebensgemeinschaften mit Familien im Steuerrecht, ein stiller Wandel zu beobachten sein: Erst strikt dagegen und später knickt man ein. Auch in diesem Fall gibt es einen ersten Hinweis, dass die CDU an der Gemeinnützigkeit von Haltungsjournalismus Gefallen findet. Ausgerechnet in der Landesvertretung der CDU-geführten Landesregierung Nordrhein-Westfalen sollte die jährliche Fachtagung des Gemeinnützigkeits-Forums am 24. März 2020 stattfinden – mit maßgeblicher Beteiligung eines Vertreters der Landesregierung. Wegen Corona musste das Treffen abgesagt werden. Doch aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben.