Vorweg: Ich bin befangen. Über 15 Jahre war die U-Bahnstation „Mohrenstraße“ mein Anlaufpunkt, wenn ich zu meinen Arbeitsplätzen in der Berliner Senatsverwaltung und später unter dem Fernsehturm am Alexanderplatz fuhr. Wenn wir im Sommer im Vorgarten des Imbiss an der Ecke mit dem Eigentümer Döner und Raki genossen, blickten wir auf das Jugendstilschild, das den westlichen Eingang zum Bahnhof markierte. Auch vom Chinesen an der Ecke Voß/Wilhelmstraße, in dem wir uns gelegentlich mit Vertretern der Berliner Politik und Gewerkschaftern trafen, fiel der Blick zwangsläufig auf diesen Einstieg in die Berliner Unterwelt, von dem uns die U4 bis nach Prenzlauer Berg und über den Wittenbergplatz hinaus transportieren konnte.
So gehörte der Bahnhof Mohrenstraße einfach dazu – und es erregte sich niemand über den Namen. Ganz im Gegenteil: Für uns war die Mohrenstraße immer auch Symbol eines Berlins, das als Hauptstadt Preußens den Anspruch erhob, zu den Weltmetropolen zu gehören und trotz der den proletarischen Berlinern innewohnenden Kleinkariertheit ihrer Kiezmentalität für etwas Weltoffenheit stand.
Keine Schönheit in Rot
Eher gewöhnungsbedürftig hingegen war der Bahnhof selbst. 1950 richteten die herrschenden Kommunisten den im Krieg weitgehend zerstörten, ursprünglich mit weißem und schwarzem Marmor ausgekleideten Bahnhof mit seinem schmalen Bahnsteig und den zwei Schienensträngen neu ein. Dazu nutzten sie dunkelroten Saalburger Marmor aus Thüringen, mit dem mehr schlecht als recht die Außenwände und einige Teile des Inventars umfasst wurden. Der Versuch, die großen roten Flächen im Bauhausstil mit schmal gefassten, weißen Rechtecken zu zieren, fällt in die klassische Rubrik des „gut gemeint ist nicht immer gut gemacht“.
Denn das verwendete weiße Material war von minderer Qualität, wurde schnell dreckig und unansehnlich und gibt dem Bahnhof Berliner Schmuddelimage. Dadurch wurde der ohnehin enge und nur spärlich ausgeleuchtete Bahnhofskarton dunkel und bedrückend. Ein Zustand, der sich bis heute erhalten hat. Die Legende erzählt, dieser Marmor sei aus der angrenzenden Reichskanzlei genommen worden – eine unzutreffende Geschichte, die der schon früher gelegentlich zum Relotionieren neigende Spiegel ungeprüft übernahm und die auf diesem Wege weite Verbreitung fand.
Also griffen die Kommunisten auf den allen autoritären Ideologen innewohnenden Wunsch zurück, sogenannte „Helden der Bewegung“ im Stadtbild zu verewigen. Die U-Bahnstation hieß nun „Thälmannplatz“ – ebenso, wie der rudimentäre Platz, der auf den Trümmern des Wilhelmsplatzes entstanden war. Der frühere Führer des „Roten Frontkämpferbundes“, der Schlägertruppe der KPD, die in der Antifa würdige Nachfolger gefunden hat, gilt der Linken bis heute als einer ihrer Helden. Um diesen würdigen Vertreter der Kommunisten jedoch seiner Bedeutung angemessen zu ehren, nannte die SED nach ihm im Jahr 1966 auch ein neues Wohngebiet im Prenzlauer Berg.
Um die nun befürchtete Desorientierung der werktätigen Genossen zu vermeiden, wechselte der Bahnhof seinen Namen von Thälmann zu Otto Grotewohl. Dieser erste Ministerpräsident des sowjetischen Klientelstaats „DDR“ hatte seine SPD in die Vereinigung mit der KPD des Walter Ulbricht geführt, weshalb er mit dem unbedeutenden Amt belohnt wurde – die wahre Macht im Staate lag beim ZK der SED in den Händen von Wilhelm Pieck und Ulbricht. Nach seinem Tod im Jahr 1964 fand der SPD-Verräter 1966 seine sozialistische Ehrung durch die Umbenennung der am Mauerstreifen gelegenen Wilhelmstraße in Otto-Grotewohl-Straße – die Neubenennung des Bahnhofs, der zu DDR-Zeiten Endstation war, machte insofern sogar Sinn.
Mit der Revolution die Rückbesinnung
Neue Bewegung kam in die Sache, als die erfolgreiche Revolution der DDR-Bürger 1989/90 das kommunistische System hinwegfegte. Die Otto-Grotewohl-Straße bekam kurzzeitig den Namen „Toleranzstraße“, der allerdings nie offiziell wurde, und erhielt 1991 auf Empfehlung einer Historikerkommission wieder ihren ursprünglichen Namen zurück. Damit war nun auch die Lücke in den Hausnummern der Wilhelmstraße, die weit nach Kreuzberg hineinreicht, endlich wieder geschlossen. So aber fiel auch der SED-Mitläufer als Namenspatron des Bahnhofs aus – und da die 1730 als „Husarenstraße“ angelegte Wilhelmstraße, an der bis 1945 alle wichtigen Ministerien des Deutschen Reichs angesiedelt waren, rund 2.400 Meter lang ist und zwei Stadtbezirke umfasste, sollte die Erleichterung der Ortsbestimmung nun über den Namen der dort gelegenen Mohrenstraße erfolgen.
Ähnlich der früheren Husarenstraße, die bereits 1740 nach dem zweiten Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. umbenannt worden war, trägt die Mohrenstraße ihren Namen bereits seit 1707. Sie war Teil der sogenannten Friedrichstadt, eines ab 1688 geplanten, groß angelegten Stadterweiterungsprojekts, das nach seinem Initiator, dem ersten Preußenkönig Friedrich I., benannt ist. Warum die preußischen Stadtplaner dieser wichtigen West-Ost-Verbindung, die bis zum Hausvogteiplatz reicht, diesen Namen gaben, ist nicht bekannt. Es gibt mehrere Legenden, von denen die meisten etwas mit einem oder mehreren Mohren zu tun haben.
Gesicherte Quellen jedoch existieren nicht – und so bleibt nur die Tatsache, dass mit der Mohrenstraße ganz sicherlich keine rassistische oder abwertende Absicht verfolgt wurde. Denn wer schon benennt eine Straße, die auf des Königs Geheiß Teil eines bedeutenden Stadtbauprojekts ist, nach etwas, das ihm zuwider ist? Ganz im Gegenteil standen alle Straßennamen, die einst im neuen Stadtgebiet vergeben wurden, für Preußens Aufbruch in die Moderne der Aufklärung – etwas, das sie selbstverständlich den linken Bilderstürmern über alle Maßen suspekt macht, weshalb jede sich bietende Gelegenheit genutzt wurde und wird, die Erinnerung an das aufstrebende Preußen aus der Erinnerung zu tilgen.
Vom Kanonier zu Glinka und andere Namenswechsel
Nun sehen die Bilderstürmer wieder einmal die Zeit gekommen, einen Teil der Berliner Geschichte zu vernichten. Im Merkel-Modus, jedwede Debatte im Keim zu ersticken, indem den möglicherweise kontrovers zu debattierenden Forderungen der Systemüberwinder in vorauseilendem Gehorsam entsprochen wird, ließen die Berliner Verkehrsbetriebe BVG über ihre Sprecherin verkünden, dass die U-Bahnstation künftig in Glinkastraße umbenannt wird. Diese vom Bahnhof abseits gelegene Nebenstraße trägt den Namen des russischen Komponisten seit 1951 – ihr ursprünglicher Name „Kanonierstraße“ durfte selbstverständlich in der DDR auch nicht bestehen.
Anders ausgedrückt: Reetz-Nelken wollte verhindern, dass der kurze Informationsdraht aus den Senatsverwaltungen in die kommunistische Opposition des Abgeordnetenhauses ihren Arbeitgebern bekannt würde. Eine solche „Vorsicht“ ist selbstverständlich überflüssig, seitdem Deutschlands Hauptstadt von einer rotrotgrünen Volksfrontregierung vorsätzlich niedergewirtschaftet wird.
Die Berliner Kleinkariertheit des „weltoffenen Unternehmens“
Diese namens-flexible Reetz-Nelken nun ließ am 3. Juli wissen: „Als weltoffenes Unternehmen und einer der größten Arbeitgeber der Hauptstadt lehnt die BVG jegliche Form von Rassismus oder sonstiger Diskriminierung ab.“
Getreu der marxistisch-leninistischen Maxime, wonach von Russland lernen siegen lernen heißt, solle es nun also Michael Iwanowitsch Glinka richten. Dumm nur, dass jener zarentreue Komponist nicht nur für das System der Leibeigenschaft steht, sondern darüber hinaus sogar noch bekennender Antijudaist gewesen ist. Seine Ausfälle gegen jüdische Kollegen sind ebenso dokumentiert, wie er einen Text vertonte, der von einer angeblich gegen Russland gerichteten jüdischen Verschwörung handelt. Im Sinne der Political Correctness dürfte also auch Glinka demnächst auf der Abschussliste stehen. Immerhin jedoch befindet sich in der Glinkastraße die Botschaft des nordkoreanischen Herrschers Kim Jong-un. Möglicherweise hat das die BVG-Entscheidung beflügelt – zumindest aber werden die zahlreichen Berlin-Besucher aus dem Reich des Staatsterrors künftig wissen, wie sie zu heimatähnlichen Gefilden finden.
Wenn schon, dann bitte ehrlich machen
Ganz unabhängig von dieser sachlichen Correctness sollte in einer weltoffenen, toleranten Stadt die Maxime gelten, dass man sich seine eigene Geschichte nicht durch aberwitzige Empfindlichkeiten von Menschen zerstören lässt, die sich willkürlich einen Schuh anziehen, der nie für sie gedacht war. Und ohnehin: Wenn man der Ideologie folgen möchte, die längst aus den Studierstuben mancher US-Universitäten nach Europa geschwappt ist, dann sollte man sich wenigstens ehrlich machen. Dann vernichten wir eben umgehend alles, was in irgendeiner Weise an unsere Geschichte erinnert. Die Bilder der großen Meister, die Komponisten der Klassik und der Kinderliedautoren namens „Tote Hosen“, die Architektur. Denn wenn wir nur lange genug suchen, werden wir immer mindestens ein wenig von dem finden, was wir als Rassismus brandmarken können. Und sollten die Bilderstürmer bei der Suche dann doch einmal erfolglos bleiben, dann wird einfach die Geschichte umgeschrieben.
Auch Luther war Rassist – also lösen die Protestanten ihre Rassistenreligion sofort auf und kehren heim in den Schoß des Papstes. Wobei – diese Katholische Kirche ist ja auch ein rassistisches Übel. Allein schon diese widernatürliche Zwangsmissionierung! Außerdem huldigt die Bibel sogar der Sklaverei!
Dann die großen Werke der Malerei! Hat nicht Ernst Ludwig Kirchner immer nur Akte von Weißen gemalt? Eindeutig rassistisch. Auch Gauguin, der seine rassistische Lust in der Südsee an farbigen Schönheiten auslebte. Was ist mit Michelangelo? Adam und Gott und sogar die Engel – alles Weiße! Seine Statuen – nur weißer Marmor, kein schwarzer, brauner oder roter! Nicht besser Leonardo da Vinci – zwölf Jünger und ein Jesus – alle weiß! Sogar die Mona Lisa – unfassbar! Also alles vernichten!
Oder es zumindest in Sachen Mohrenstraße so halten wie ein ungenannter Berliner, der empfahl, einfach aus dem Mohren Möhren zu machen. „Det spart Jeld und jeht schnell!“, stellte er, ganz Pragmatiker, fest.