Eine Regierungsankündigung, dass der symbolische Grenzübergang von Kastanies geöffnet werden sollte, hat für einige Unruhe am Evros gesorgt. Bald musste der Regierungssprecher zurückrudern. Türkische Behörden verweisen die Migranten derweil nach Süden: ins Flussdelta und in die Ägäis, wo bereits ein neuer Kampf um den Grenzschutz im Gang ist.
In Griechenland soll sich einiges normalisieren. Nach dem relativ strikten Lockdown, durch den man die Infektionszahlen und die Hospitalisierungen auf einem niedrigen Niveau hielt, will sich das Land nun für den Tourismus öffnen, so weit es irgend geht. Die meisten Touristen werden wohl per Flugzeug kommen. Am Dienstag kündigte Regierungssprecher Stelios Petsas zudem die Öffnung von sieben Grenzübergängen an. An sich klang das vernünftig: Warum sollte man nicht mit dem Auto einreisen können? Viele Auslandsgriechen schätzen diese Möglichkeit, auch wenn derzeit noch nicht ganz klar sein dürfte, ob man bis zur griechischen Grenze problemlos durchkommt.
Ihre Proteste ließen denn auch nicht lange auf sich warten. Der Bürgermeister der Grenzstadt Orestiada sowie ein örtlicher Abgeordneter der konservativen Nea Dimokratia verlangten den Widerruf der regierungsamtlichen Ankündigung. Als vollkommen »unverständlich« sah Bürgermeister Vasilis Mavridis die geplante Öffnung des emblematischen Grenzübergangs: »Es gibt eine riesige Gegenreaktion bei den Menschen, sowohl in den sozialen Medien als auch in Anrufen, die mich erreichen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt darf man nicht einmal daran denken, die Grenze in Kastanies zu öffnen. Ganz klar.«
Politische Korrektheit – einmal auf anderen Wegen
In einem Radio-Interview fügte er hinzu, dass dem Sprecher bei der Nennung des Grenzübergangs Kastanies wohl ein Fehler unterlaufen sei. Diesen »Redefehler« müsse er bald korrigieren. Eine Öffnung des Grenzübergangs sei an gesundheitspolitische und wirtschaftliche Erwägungen zu geknüpft. Früher, in normalen Zeiten hatten ebenso türkische Bürger die griechischen Restaurants in West-Thrakien besucht, als auch Griechen die günstigen Einkaufsmöglichkeiten in der Türkei genutzt. Es wäre also zum beiderseitigen Vorteil, wenn die Grenze sich wieder öffnen könnte. Die Frage ist, wann die zugespitzte Lage am Evros erneut Luft für einen normalen Wirtschaftsverkehr lassen wird.
Die Besonderheit am Grenzübergang in Kastanies besteht darin, dass hier nicht der Evros die Grenze bildet, sondern sich das türkische Gebiet über den Fluss hinaus ausdehnt, so dass sich einige Kilometer Landgrenze ergeben. Die Grenze wird inzwischen an allen sensiblen Stellen durch einen doppelten Zaun gesichert. Noch sind die Bauarbeiten dazu nicht abgeschlossen.
Die Zollstation in Kipi wird aber wohl wieder in Betrieb genommen. Türkische Bürger dürfen allerdings noch nicht in die EU einreisen. Die Unsicherheiten des Pandemieverlaufs in der Türkei halten sie von der Liste der sicheren Reiseländer für den EU-Verkehr fern.
Letzte Woche war EU-Außenkommissar Josep Borell in Kastanies gewesen, beäugte griechische Soldaten an der Grenze, informierte sich bei der Polizei über die Maßnahmen zum Grenzschutz und diskutierte mit Außenminister Nikos Dendias über die türkischen Provokationen. Sozusagen ein Fortsetzungsbesuch zu dem Besuch der EU-Präsidenten im März, als Ursula von der Leyen die griechischen Grenzwächter den »Schild Europas« nannte.
Erfolg wird den Migranten weiter südlich vorausgesagt
Unterdessen erfährt man von der anderen Seite der Grenze, dass sowohl die Behörden im türkischen Adrianopel (Edirne) als auch die türkische Gendarmerie den Migranten immer wieder mitteilt, dass ein Grenzübertritt nach Griechenland nur weiter südlich am Evros oder – besser noch – in der Ägäis möglich sei. Dieselbe Nachricht von der geschlossenen Evros-Grenze zirkuliert natürlich auch in arabischsprachigen Medien zeigt und verstärkt so zugleich den Erfolg der griechisch-europäischen Abwehrstrategie.
Die »Löcher« im Seegrenzenschutz, die er findet, möchte Moutzouris so bald wie möglich »gestopft« sehen. Die Abstimmung mit den Küstenschützern und der höheren Politik scheint aber inzwischen zu funktionieren. Auf Facebook postete Moutzouris am 21. Juni 2020 einen seiner Lageberichte:
Über Löcher
Die »Lücke« für illegale Grenzübertritte von Wirtschaftsmigranten an den nördlichen Seegrenzen von Lesbos scheint sich FÜR DEN MOMENT geschlossen zu haben, so wie wir es wiederholt gefordert haben und wie es uns jetzt bestätigt wurde. Bravo!
Allerdings hat sich in den letzten Tagen, wie aus den Grenzüberschreitungen ersichtlich, eine neue Lücke südöstlich der Insel geöffnet.
Deren sofortige Schließung ist notwendig, so wie die Schließung auch jeder anderen Lücke. Auf das Schließen einer Lücke kann nicht die Öffnung einer anderen folgen! Den politischen Willen dazu gibt es, wie man mir versichert. Der Küstenschutz stellt sich seinen Aufgaben, und wir danken ihm erneut dafür. Auf, auf! Wir brauchen mehr Schiffe für den Küstenschutz.
Der erste Anfang einer sich anbahnenden positiven Entwicklung in der beladenen Nördlichen Ägäis darf nicht erstickt werden.
Außerdem scheint man auch bei der Errichtung schwimmender Barrieren weiterzukommen, die in den kommenden Tagen aufgebaut werden sollen.
Immer noch ungeklärt: Soll man Hotspots ersetzen oder auflösen?
Mit der positiven Entwicklung meinte Moutzouris aber noch etwas anderes. Denn im gleichen Zeitraum von etwa zwei Wochen wurden um die 1.300 Migranten aus den Hotspots der Ägäis-Inseln aufs Festland gebracht, was für die Inseln eine langersehnte Entlastung bedeutet. Allerdings müsste eben dieser Zustand (mit wenigen bis gar keinen Ankünften und beträchtlichen Transfers aufs Festland) noch einige Monate aufrechterhalten werden, um die Hotspots der Ägäis entweder auf eine Normalbelegung zurückzuführen oder sie – nach dem Willen von Moutzouris – ganz aufzulösen. So sind allein auf Lesbos noch immer mehr als 15.000 Migranten untergebracht. Auch die Inselbürgermeister aus Lesbos, Chios und den anderen Grenzinseln haben immer wieder die vollständige Auflösung der Aufnahmeeinrichtungen gefordert – aus verständlichen Gründen, bedenkt man den durch die Überbelegung angerichteten Schaden auf den Inseln.
Ob Moutzouris und die Inselbürgermeister am Ende mit ihrer strikten Haltung durchkommen, ist noch nicht klar. Das Spiel Athen – Nordägäis ist bis jetzt unentschieden ausgegangen. Beide versuchen die Sache in ihre Richtung weiterzudrehen: Die Insulaner wollen möglichst keine neuen Lager beherbegen, die Athener Regierung möchte neue, »geschlossene Zentren« aufbauen und den Inseln so nach wie vor die Last der illegalen Migration aufbürden. Über die Rolle der NGOs muss man dabei kein Wort verlieren, sie begünstigen die illegale Migration und gehören auf einen unnachsichtigen Prüfstand. Angeblich geht Athen Schritte in diese Richtung, allein es fehlt noch der Glaube, dass man sich die schönen Gratisdienste entgehen lässt, solange man sie noch brauchen kann.
Immerhin scheint die Athener Regierung aber die Zahl der Hotspots radikal verringern zu wollen, so wie es dem Regierungsziel einer minimierten illegalen Immigration entspricht. Dieses Ziel ist das eigentlich anzustrebende und zu verteidigende. Bis jetzt sieht es so aus, als könnte dieser Plan einer Sicherung der Seegrenzen gelingen. Wieviel von der aktuellen Grenzsicherheit auf das Konto der Pandemie geht, wird sich noch zeigen. wenn dieselbe einmal so recht endet.
Doch eine Motivation wird bei alledem zumindest nicht sinken: die Aussicht der Insulaner auf eine effektive Entlastung ihrer Inseln. Sie ist es, durch die der Gouverneur Moutzouris und viele andere dazu treibt, nunmehr selbst für einen guten Grenzschutz in den Gewässern der Ägäis zu sorgen. Dass die Inseln dabei nur nach ihrem eigenen verloren gegangenen Leben suchen, wird Moutzouris dabei – gegenüber Bürgern wie Politikern – nicht müde zu betonen.