Tichys Einblick
Ein Justizopfer?

Die unheimliche Rückkehr des Silvio Berlusconi

Der Journalist Sansonetti in einem Video: „Es gibt in Italien eine – teils geheime – Kamarilla von Beamten, die das Land dominiert. Wenn wir die nicht demontieren, dann können wir nicht länger von einem Rechtsstaat sprechen.“ Damit fährt Sansonetti die Artillerie auf: Der italienische „deep state“ hat Berlusconi ausgebremst.

imago images / Insidefoto

Der „Cavaliere“ war jahrelang das bestimmende Gesicht italienischer Politik. Mit seiner Verurteilung 2013 begann der tiefe Fall. Nun mehren sich Indizien, dass Berlusconis Verurteilung politisch motiviert war. Könnte der viermalige Ministerpräsident rehabilitiert werden – um anschließend den europapolitischen Kurs von Giuseppe Conte zu stützen?

Piero Sansonetti ist sicherlich nicht das, was man einen Berlusconi-Fan nennen kann. Der Chef des linksliberalen Riformista lernte das Journalistenhandwerk bei der legendären Unità und war 2004 bis 2009 federführend bei der Liberazione – den kommunistischen Vorzeigeblättern Italiens. Fausto Bertinotti, Gewerkschaftsführer und kommunistisches Urgestein, hat er mitgenommen und schreibt beim Riformista als Kolumnist. Das Blatt hat eine Auflage von circa 15.000 Exemplaren und wirkt damit wie ein Zwerg gegen die Schlachtschiffe Repubblica und Corriere della Sera. Doch Sansonetti und der Riformista spielen eine Schlüsselrolle in einer Affäre, die zu einer politischen Bombe werden könnte.

„Das Urteil gegen Berlusconi war falsch“ steht am 30. Juni auf dem Titelblatt. Am Abend davor ist Sansonetti in der Talkshow Quarta Republicca auf Berlusconis Fernsehsender Rete 4 eingeladen. Dort wird er deutlicher: „Das ist ein Komplott, kein Zweifel.“ Belege? Da gibt es zuerst einen Audio-Mitschnitt von Amedeo Franco, der dem Richterkollegium angehörte, dass den Mailänder Medienzaren zu vier Jahren Haft verurteilte. In einem Gespräch mit Berlusconi äußerte er sich über den zurückliegenden Prozess. Nach Francos Aussagen war das Urteil ein abgekartetes Spiel, das „von oben“ beeinflusst wurde. Als er den Urteilsspruch nicht unterschreiben wollte, machte man ihm deutlich: „Berlusconi ist ein Schurke (mascalzone), er muss verurteilt werden, das ist die Wahrheit.“ Der Richter Antonio Esposito, der das Urteil sprach, sei erpresst worden, weil sein eigener Sohn wegen Drogendelikten belangt wurde. Auch der damalige Staatspräsident Giorgio Napolitano habe von dem falschen Urteil gewusst.

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Zwar macht Franco in seinen Aussagen keinen Hehl daraus, dass er ein „Bewunderer“ Berlusconis sei, doch die Anwürfe gegen die Kollegen und den Staatspräsidenten sind so heikel, dass auch die großen italienischen Medien nicht um die Affäre herumkommen. Dazu gesellt sich ein weiterer Punkt, und der hat mit dem eigentlichen Urteil zu tun. Berlusconi wurde wegen Unregelmäßigkeiten bei einem Lizenzgeschäft verurteilt. Dabei seien Preise gefälscht worden: Sieben Millionen Euro wären am Fiskus vorbeigeschleust worden, weil Berlusconis Medienunternehmen viel weniger für amerikanische Filme bezahlt hätte, als diese preislich veranschlagt wurden. Die Differenz zwischen der bezahlten Summe und dem eigentlichen Preis wäre steuerlich unterschlagen worden. In einer jüngeren Untersuchung hat aber das Mailänder Gericht festgestellt, dass der Preis richtig war und es vermutlich keine Unregelmäßigkeiten gab.

Zeit seines Lebens hatte sich Berlusconi als Justizopfer dargestellt und seine Unschuld beteuert. Die Reaktion war häufig bloßer Hohn. Einem Fuchs mit hunderten Hühnerfedern im Maul kauft keiner die Unschuld ab, so oft er sie beteuert. Schwang doch insbesondere bei der politischen Linken der Gedanke mit, dass Berlusconi eine Art Al Capone sei: den Mafiaboss im Zeitalter der amerikanischen Prohibition hatten die Behörden von Chicago nicht wegen seiner eigentlichen Verbrechen belangen können, sondern über den Umweg der Steuerhinterziehung.

Ausgleichende Gerechtigkeit? Vielleicht. Aber: „Ich habe nie Berlusconi gewählt und ich werde ihn niemals nie wählen. Er ist Mitte-Rechts, ich bin links, warum sollte ich ihn wählen? Aber zu wissen, dass man den Krieg mit so feigen Methoden gegen ihn geführt hat, nun, das zu wissen bereitet mir Schmerz und Angst“, schreibt Sansonetti in einem Zeitungsartikel. Und wird später in einem Video noch konkreter: „Es gibt in Italien eine – teils geheime – Kamarilla von Beamten, die das Land dominiert. Wenn wir die nicht demontieren, dann können wir nicht länger von einem Rechtsstaat sprechen.“ Damit fährt Sansonetti die Artillerie auf: Der italienische „deep state“ hat Berlusconi ausgebremst.

Denn politisch betrachtet war Berlusconis Verurteilung ein tiefer Schnitt in die italienische Politiklandschaft. Seine Forza Italia (FI), einst das Sammelbecken des bürgerlichen Lagers, hatte 2013 noch über 20 Prozent der Stimmen – heute fristet die Kleinpartei ein Schattendasein und rangiert hinter Giorgia Melonis Fratelli d‘Italia. Das gesamte rechte Lager stürzte in ein Machtvakuum, das erst mit dem Aufstieg von Matteo Salvini und seiner Lega wieder eine glaubwürdige Führungsfigur bekam. Auch die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) profitierte bei den Kommunalwahlen von der Schwäche des rechten Lagers, weil das bürgerliche Lager vielerorts keine relevante Kraft mehr war, und es zu Stichwahlen zwischen Kandidaten des sozialdemokratischen Partito Democratico und den Linkspopulisten kam.

Das Berlusconi-Lager schlachtet die Causa medial wie politisch aus. Fernsehsender und Zeitungen, die über Beziehungen oder Unternehmen mit dem einst mächtigsten Mann Italiens verbunden sind, berichten in Dauerschleife. Die Medienhäuser, die an Berlusconis Fall mitgearbeitet haben – ob nun die öffentliche RAI oder die Repubblica – versuchten die Notizen dagegen zuerst auszusitzen. Der Fatto Quotidiano von Berlusconi-Kritiker Marco Travaglio ging in seinem ersten Beitrag sogar auf direkte Konfrontation. Für das Blatt schreibt auch ein Autor, der direkt in den Fall involviert ist. „Richter Esposito arbeitete nach dem Urteil für den Fatto Quotidiano von Marco Travaglio, das hätte eigentlich verdächtig sein müssen“, resümiert Sansonetti.

Die Masken fallen
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Vertreter der FI fordern nicht nur eine Untersuchungskommission, sondern auch einen Senatorensitz auf Lebenszeit für ihren Parteigründer. Giorgia Meloni und Matteo Salvini verurteilen das Unrecht und fordern eine Justizreform; besonders Salvini hat ein Interesse am Fall, da nicht wenige Beobachter ein ähnliches Manöver gegen den Laga-Chef fürchten, um ihn vor den Wahlen außer Gefecht zu setzen. Auf der Regierungsbank sind dagegen keine Äußerungen zu vernehmen. Nicht zuletzt, weil der PD bekannt für seine Verbindungen im Beamtenapparat ist. Nur Ex-Premier Matteo Renzi, der mit seiner kleinen Fraktion „Italia Viva“ der Koalition aus Linken und Linkspopulisten angehört, hat „Klarheit“ gefordert und könnte sich der Forderung nach einer Kommission anschließen.

Es gibt allerdings auch Stimmen, die eine mögliche Rehabilitierung Berlusconis anders interpretieren. Schon vor einer Woche gab es offenbar Gespräche zwischen ihm und Ministerpräsident Giuseppe Conte. Diese Woche folgte eine offene Einladung aller Parteien rechts der Mitte in den Palazzo Chigi, den Amtssitz des Premiers. Zufall, dass der Cavaliere zuletzt ankündigte, für eine „nationale Regierung“ bereitzustehen? Jüngst erklärte sich der Mailänder, der im September 84 Jahre alt wird, sogar für ein drittes Kabinett Conte bereit, wenn dafür der M5S aus der Regierung fliegt. Conte befindet sich unter massivem Druck, weil der ESM in der eigenen Koalition umstritten bleibt. Der PD will ihn, die Sterne sind dagegen. Berlusconi ist für seine pro-EU-Position bekannt und würde den ESM stützen. Im italienischen Spiel der Macht sind das schon ziemlich viele Zufälle.

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