Es begann mit einem Social-Media-Post, der einen Hashtag gebar. »Black lives matter. […] Our lives matter«, das hatte Alicia Garza (geborene Schwartz) auf Facebook gepostet, als der Versicherungsprüfer George Zimmerman vom Mord an einem jungen Schwarzen freigesprochen wurde. Patrisse Cullors antwortete ihr: »#BlackLivesMatter«
Es war natürlich ein hoch emotionaler, wenn auch nicht gerade einfacher Fall, der eine Bewegung wie Black Lives Matter (BLM) entstehen ließ. Zimmerman war Mitglied der Nachbarschaftswache in einer geschlossenen Wohnanlage in Florida. Am Abend des 26. Februars 2013 erspähte er den siebzehnjährigen Trayvon Martin, den er für das Mitglied einer Einbrecherbande hielt. Es kam zur körperlichen Auseinandersetzung und zum Schuss. Zimmerman behauptet, in Notwehr gehandelt zu haben, und wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
Natürlich wurde das Thema auch bald anhand ethnischer Kriterien diskutiert. Präsident Barack Obama forderte eine gründliche Untersuchung des Geschehens und sagte: »Wenn ich einen Sohn hätte, sähe er wie Trayvon aus.« BLM ist ein Kind der Obama-Zeit. Am Ende waren es drei Frauen, die ein knappes Jahr später die Organisation Black Lives Matter gründen sollten. Garza und Cullors definieren sich zudem als »marxistisch geschult« und »queer« (also homosexuell mit einer Spur Rebellion darin). Beide prägen bis heute die ideelle Ausrichtung von Black Lives Matter.
Patrisse Cullors hat unlängst in einem kurzen Video von den »ideologischen« Fixpunkten ihres Denkens gesprochen. Sie und Alicia Garza seien »gelernte Organisatoren« (was ist das? eine Ideologie?) und »Marxisten« und »super versiert in, sozusagen, ideologischen Theorien«. Nun studierte Cullors angeblich Religion und Philosophie, während Garza in Anthropologie und Soziologie abschloss. Vermutlich kann man aber den kulturellen Marxismus heute in vielen Fächern im US-Curriculum aufsaugen, wenn nur die Lehrenden danach sind. Cullors’ Interview lässt zwar wenig Tiefe erahnen, aber die marxistische Prägung der beiden Frauen muss man wohl ernst nehmen.
Die BLM-Gründer sind mithin schwarz, weiblich, queer und marxistisch – das sind zusammen vier Eigenschaften, deren Mischung zweifellos zum Ergebnis beigetragen hat. Tatsächlich wird darauf anscheinend viel Wert gelegt. Als einige Gesinnungsgenossen die Marke »Black Lives Matter« für eine Ausstellung zu »Our Lives Matter« abänderten, um sie etwas inklusiver zu machen, traf das auf die ernsthafte und rigorose Enttäuschung von Alicia Garza (nachzulesen in ihrem Beitrag hier). Man hatte sich also das so schöne, griffige Branding zu eigen gemacht und dabei – das ist Garzas wichtigste Enttäuschung – den Anteil schwarzer, queerer Frauen an der Bewegung wieder zum Verschwinden gebracht. How dare you …
Das ist es also, was man nicht tun darf, wenn man zu dieser Gerechtigkeitsbewegung gehören will: Die Schwarzheit durch eine universale Formulierung ersetzen. Unklar bleibt nur, warum es dann nicht »Black, Female and Queer Lives Matter« heißt, um ganz der spezifischen Genese der Bewegung gerecht zu werden. Offenbar kommt dem Schwarzsein ein irgendwie überragender Wert in der Opferhierarchie zu. So will man zum einen »intersektional« sein, quasi alle Unterdrückten der Geschichte hinter sich versammeln, zum anderen soll sich die bunte Intersektionalität der Bewegung dann wieder in der Befreiung der Schwarzen bündeln.
»Wenn die Schwarzen frei werden, werden alle frei«, schreibt Alicia Garza dazu. Und hier findet sich eben doch ein Krypto-Nationalismus oder Krypto-Ethnizismus im Herzen von Black Lives Matter. Die Erzählung vom Leiden der Schwarzen während und infolge der Sklaverei ist zu einer erlösenden Geschichte für alle Menschen geworden. Jetzt versteht man besser, warum manche Aktivisten sich sogar an der hellen Haut von Jesus stören. Und dabei ist die Befreiung der amerikanischen Schwarzen nun schon 150 Jahren her.
Im selben Aufsatz fährt Garza mit einigen »Fakten« über die Benachteiligung Schwarzer in den USA fort. Wir lernen also, dass
a) die Armut und die erhöhte Mortalität der Schwarzen das Werk staatlicher Gewalt sind und
b) eine Million Schwarze durch dieselbe staatliche Willkür »in Käfige« eingesperrt seien, was die Hälfte aller Häftlinge ausmacht;
c) der Staat ist bei Garza auch für die Ausgrenzung von »Black queer and trans folks«, also homo- und transsexuellen Schwarzen, verantwortlich;
d) auch solidarisiert sie sich mit den 500.000 Immigranten ohne Papiere, die – raten Sie! – ebenfalls die Opfer staatlicher Gewaltausübung sind, und wenn
e) junge schwarze Frauen in Kriegszeiten zur Handelsware werden, ist das natürlich ebenso das Ergebnis staatlicher Gewalt.
Man muss die Reihung nicht fortsetzen, um zu verstehen, wie diese Rhetorik funktioniert. Es ist ein Denken voller Verschwörungsfloskeln: »Black genocide«, »Black people locked in cages«, Mädchenhandel als »state violence«.
Viktimologie voller Verschwörungsfloskeln
Gemeint ist mit all diesem Gerede von staatlicher Gewalt und Willkür natürlich ein struktureller, systemischer, endemischer Rassismus, der, da er vom »Staat« kommt, auch mit dessen Mitteln ausgemerzt werden muss. Man denke an Affirmative Action und Sozialhilfe, natürlich bei Auflösung von Polizei und Strafjustiz. Und so kommen wir auch ganz zwanglos wieder zum begründenden Neo-Marxismus der Gründerinnen zurück.
— United We Stand Divided We Fall, Blue lives Matter (@Justice4Matty) June 28, 2020