In der Coronazeit ist im Bundestag die deutsche Zustimmung zum europäischen Kurzarbeitergeld beschlossen worden. Dagegen stimmten die AfD-Fraktion und ein einziger CDU-Abgeordneter. Alle anderen waren dafür: CDU/CSU, SPD, Grüne, Linke und sogar die FDP; hier wachsen Parteien zusammen, die nicht zusammengehörten, wenn sie sich selber ernst nehmen würden.
Beim europäischen Kurzarbeitergeld soll ein Fond von 100 Mrd am Kapitalmarkt aufgenommen werden. 25 Mrd. kommen als Garantien von den Euro-Staaten; davon trägt 6,4 Mrd. die Bundesrepublik.
Das ganze bekommt das Etikett „europäische Solidarität“ und schon wird jedem deutlich, was uns die Qualitätsmedien jeden Tag einhämmern: Auf der einen Seite stehen die Solidarischen, die Guten, die Barmherzigen – das helle Deutschland. Auf der anderen Seite stehen die Bösen, die Unsolidarischen, die Egoisten – das dunkle Deutschland. Statt fruchtbare Debatte im Bundestag und in der Bevölkerung – lediglich zum x-ten Mal die altbekannte Frontstellung: Alle gegen die AfD.
Wo bleibt die Debatte der jüngeren Generation? Ist das wirklich solidarisch, wenn mit Schuldenorgien ihre Zukunft schwer belastet wird? Nur damit unser Heute nicht ganz so anstrengend ist? Ist das wirklich solidarisch, wenn die Risiken einer Krise unsolidarisch einfach nur in die Zukunft verschoben werden?
Wo bleibt die Debatte der Wirtschaftsfreundlichen im Bundestag? Ist das wirklich solidarisch, wenn die Lohnersatzleistungen in den Südstaaten vom Norden quersubventioniert werden? Hindert das nicht eher die Selbstheilung durch neue tragfähige Geschäftsmodelle in den Südstaaten?
Wo bleibt die Debatte über Europa-Konzeptionen? Kann es sein, dass die EU durch die Corona-Hintertür mit dieser europäischen Kurzarbeiter-Arbeitslosenversicherung sich übernationale zentralistische Kompetenzen aneignet, die in den bisherigen Europa-Verträgen gar nicht angelegt sind?
Wo bleibt die ethisch reflektierte Debatte über den Begriff „Solidarität“? Darf man das wirklich „Solidarität“ nennen, wenn man lediglich auf den Knopf der Notenpresse drückt? Wer ist in diesem Fall eigentlich solidarisch?
Es geht um politische Sach-Entscheidungen, die unbedingt kontrovers diskutiert werden müssen.
Der moralische Begriff „Solidarität“ dagegen macht aus politischen Sachfragen eine Gewissensfrage. Das setzt unter moralischen Druck. Und das fördert auf keinen Fall den offenen demokratischen Diskurs.
Vielleicht hätten wir bei etwas mehr Nüchternheit auch etwas mehr Opposition im Bundestag. Darum brauchen wir unbedingt eine moralische Abrüstung. Die Abrüstung von moralischen Totschlagwörtern, die den wichtigen demokratische Meinungsstreit im Keim ersticken.
Man mag über das Für und Wider eines europäischen Kurzarbeitergeldes diskutieren; im Bundestag und in der Bevölkerung.
Aber bitte, bitte: Bleibt bei der Wahrheit! Verkauft mir dieses gefährliche Spiel mit dem Gelddrucken nicht als „Solidarität“.