Tichys Einblick
Rat für Migration

NGO will deutsche EU-Ratspräsidentschaft für mehr Migration nutzen

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sollte eigentlich „Sicherheit und den Außengrenzschutz zu einem zentralen Punkt“ machen. Dagegen macht jetzt der Rat für Migration mit einer sogenannten "Expertise" mobil.

Getty Images

Die Medien berichteten Anfang Februar 2020 mit Blick auf die kommende Deutsche EU-Ratspräsidentschaft über Horst Seehofer, dieser wolle die Präsidentschaft dafür nutzen, „Sicherheit und den Außengrenzschutz zu einem zentralen Punkt“ zu machen. Nun klang das schon damals ziemlich fantasievoll angesichts einer faktischen Handlungsunfähigkeit bzw. -verweigerung des Innenministers, wenn es bisher darum ging, sich gegen die faktische No-border-no-nation-Politik seiner Bundeskanzlerin zu positionieren oder gar daran oppositionell zu entzünden. Seehofer war da schon längst ein Pro-forma-Konservativer für das Protokoll geworden.

Ein gerade noch Geduldeter mit Sätzen wie diesem hier: „Ich habe viel Verständnis – und stimme auch zu – für den Green Deal. Aber die gemeinsame Europäische Asylpolitik ist für die Zukunft Europas mindestens von gleicher Bedeutung.“

Nach im Februar wünschte Seehofer, dass die Aufstockung der EU-Grenzschützer auf 10.000 Mann früher passieren soll, als vereinbart erst bis zum Jahr 2027.
Der Schutz der Außengrenzen solle verbessert werden. „Wir als Deutsche, die ja das größte Kontingent stellen, werden alles tun, dass dies zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt.“, behauptete der Bundesinnenminister.

Zum ersten Juli wird Deutschland nun die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen und damit also auch traditionell eine Reihe von Themen setzen. Was bleibt da übrig von Seehofers Masterthemen?

Der Rat für Migration hatte eine „Expertise“ der Universität Göttingen in Auftrag gegeben, die jetzt veröffentlicht wurde. Dieser Rat, bestehend aus ein paar Dutzend wissenschaftlich Tätigen, darf schon seit Ende der 1990er Jahre als ein Motor verstanden werden, den Umbau Deutschlands hin zu einem Einwanderungsland voranzutreiben bzw. vorangetrieben zu haben.

Dieser in der Zuwanderungsdebatte einflussreiche Rat macht klar, was er beispielsweise von Seehofers Vorstellungen eines gemeinsamen europäischen Asylsystems hält und von der Idee eines „initial assessments“, also der Prüfung von Asylansprüchen bereits vor den EU-Außengrenzen: Was für die einen eine Möglichkeit der Reduzierung von Wirtschaftsmigration mit der Asylverfahrens-Fahrkarte sein sollte, wird vom Rat für Migration flugs umgebaut zur Chance für noch mehr Einwanderung. Und man darf abwarten und raten, welche Sichtweise sich am Ende der Ratspräsidentschaft durchsetzen wird entlang der ja ebenfalls unterschriebenen deutschen De-facto-Verpflichtung, die Flucht- und Migrationspakte der Vereinten Nationen zügig umzusetzen.

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In besagter Expertise lesen wir, welche Vorstellungen die Nichtregierungsorganisation RfM als Auftraggeber der Expertise-machenden Göttinger Universität so hat. Der Vorab-Blick auf die beiden die Expertise verfassenden Autoren lässt hier bereits die Richtung erahnen. Es gibt u.a. Querverbindungen bzw. Veröffentlichungen bei Heinrich-Böll- und Rosa-Luxemburg-Stiftung und zu einschlägigen Refugees-Welcome-Nichtregierungsorganisationen (NGO). Hier schreibt also nicht die unabhängige Universität für die NGO – hier schreiben politische Aktivisten.

Besonders bemerkenswert, wenn eine der aktivistischen Autorinnen der Göttinger Uni für den ebenfalls privaten (dem Rat für Migration angehörenden) Mediendienst Integration über besagte Expertise selbst berichtet, als würde sie von außen auf ihre eigene Arbeit schauen: „Die Bundesregierung will sich für eine Vorprüfung der Asylanträge an den EU-Außengrenzen einsetzen. Ein Forscher*innen-Team der Universität Göttingen hat diesen Ansatz anhand des „Hotspot“-Systems in Griechenland analysiert. Ihr Fazit: Ohne gravierende Veränderungen ist das System zum Scheitern verurteilt.“

Die Expertise heißt in der gerade veröffentlichten Endfassung „Hotspot-Lager als Blaupause für die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS)? Politikfolgenabschabschätzung des Hotspot-Ansatzes in Griechenland.“ Als Expertise, also als Einschätzung unabhängiger Experten wird hier verkauft, was angesichts der Auftraggeber und Autoren leider etwas vollkommen anderes ist.

Inhaltlich geht es im Grunde genommen darum, den ursprünglichen Ansatz, die EU-Außengrenzen effektiv vor Wirtschaftsmigration via chancenlosem Asylantrag zu schützen, umzudrehen in ein gemeinsames europäischen Asylsystem, das Massenmigration legalisiert, vervielfacht und damit die Flucht- und Migrationspakte der UN umsetzt.

Bereits die Einleitung, welche sich auf die aktuelle Entwicklung beziehen will, macht klar, wohin die Reise der politischen Aktivisten aus Göttingen geht:

„Anstelle einer beschleunigten Registrierung und folgenden Umverteilung, welche die Kernpunkte der initialen Rationalität aus Sicht der Europäischen Kommission waren, trat die Errichtung grenznaher Infrastrukturen der Einsperrung und der beschränkten Bewegungsfreiheit für Asylsuchende.“

Die sich laut „Expertise“ abzeichnende Reform der GEAS wird hier massiv kritisiert und mit der Planung von Internierungslagern am Beispiel der Zustände auf den griechischen Inseln nahe der türkischen Küste gleichgesetzt. Ebenfalls scharf kritisiert wird eine behauptete geplante Einschränkung des Rechtsschutzes der Menschen, die um Asyl nachsuchen wollen. Deshalb lautet auch eine Grundthese des Expertise genannten Papiers:

„Mit der bevorstehenden GEAS-Reform sollen diese bereits bestehenden Schutzlücken nun legislativ kodifiziert und legitimiert werden sowie die existierende Fragmentierung des europäischen Asylsystems festgeschrieben werden. Die Erosion von Standards des internationalen und europäischen Flüchtlingsrechts wären damit das kennzeichnende Charakteristikum der GEAS-Reform.“

Aber nur mal angenommen, dem wäre tatsächlich so, niemand glaubt doch ernsthaft, dass sich ein Horst Seehofer über die Ratspräsidentschaft Deutschlands tatsächlich gegen NGOs und Merkelpolitik mit diesen die anhaltende Massenzuwanderung einschränkenden Maßnahmen wird durchsetzen können. Wahrscheinlich glaubt er es nicht einmal selbst. Wenn Seehofer also noch im Februar die Zähne gezeigt hat, dann wird sich das alles ab Juli vermutlich unter der Agenda diverser Nichtregierungsorganisationen in Schall und Rauch auflösen und wir werden in Folge der Deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine massive und (via EU-Recht und einer GEAS-Reform nach den Willen der Refugees-Welcome-NGOs legalisierte) anhaltende Zuwanderungswelle bekommen.

Gleichzeitig zielt das Engagement der Aktivsten der NGOs auf eine Beendigung des ohnehin schon vollkommen erodierten sogenannten Türkei-Deals.

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Konkret will das Papier beispielsweise verhindern, was die Autoren im Konzeptpapier der Bundesregierung zur GEAS ausgemacht haben wollen: Nämlich der Versuch an den Außengrenzen zur EU, exterritoriale Räume zu schaffen, ähnlich denen, die es bereits auf Flughäfen gibt: „Vor dem Hintergrund unserer Forschungen zu den griechischen Hotspot-Zentren ist nun jedoch zu befürchten, dass es im Zuge einer GEAS-Reform nach dem Konzept der Bundesregierung zu einer massiven Ausweitung kommen könnte“, schreiben die politischen Aktivisten der Uni Göttingen im Auftrag des privaten Rates für Migration.

Weiter bemängelt das Papier den Versuch der Bundesregierung, darauf zu bauen, dass die Verfahren zukünftig deutlich beschleunigt werden. Die Autoren schreiben dazu, so „scheint der von der Bundesregierung vorgeschlagene Modus vor allem eine Beschleunigung von Vorprüfung, Ablehnung eines Asylantrags sowie Abschiebung zu priorisieren.“

Auch die neue EU-Kommission unter der Regie der Deutschen Ursula von der Leyen sei bereits dahingehend kontaminiert:

„Auch die neue Kommission scheint auf diese Linie eingeschwenkt zu sein. So erklärte die Innenkommissarin Johansson Anfang April, dass sie davon ausgehe, dass „70 Prozent der Migranten, die in die EU wollen, […] einen negativen Asylbescheid bekommen [werden]“ und daher kein Recht hätten zu bleiben (Becker und Müller 2020). Es ist daher zu befürchten, dass der Fokus auf die Beschleunigung von Asylverfahren zu Lasten der Verfahrensrechte der Betroffenen gehen wird und damit eklatante Schutzlücken verursachen könnte.“

Interessanterweise erregen sich hier Autoren – die ja der Tendenz nach ebenso, wie die sie beauftragende NGO europäisches Recht immer über nationales stellen würden – eben genau darüber, wenn dieses europäische Recht hier plötzlich Zuwanderung effektiver ausschließen könnte. Dann nennt man so eine gemeinsame europäische Anstrengung gegen einen anhaltende Massenzuwanderung kurzerhand einen „beispiellose(n) Vorgang der Übertragung exekutiver Kompetenzen an europäische Institutionen“.

Aber es wird noch kurioser, wenn sich die Autoren dagegen aussprechen, illegale Einreisende im Rahmen des Türkei-Deals bis zu ihrer Abschiebung festzusetzen. Damit wäre „über Jahre nicht das Ziel erreicht, Asylsuchende innerhalb der drei Monate Inhaftierung abzuschieben. Ein Grossteil der Betroffenen wurde nach drei Monaten aus der Haft freigelassen, ohne dass ihr Asylverfahren abgeschlossen wurde.“ Weil es also nicht gelingt, diese Menschen gemäß Türkei-Deal zurückzuführen, soll man es erst gar nicht versuchen?

Und weil die Verfahren auf den Inseln mittlerweile schon nach Tagen extrem beschleunigt bearbeitet würden, was dann ja positiv zu werten wäre, findet man selbstredend auch hier das gesuchte Haar in der Suppe: Die Verfahren von Neuankommenden „werden priorisiert und zum Teil nach wenigen Tagen abgeschlossen, während die Antragsprüfung von Asylsuchenden, die bereits vor 2020 in den Hotspots waren, zum Teil um 12 oder mehr Monate aufgeschoben wurden.“ Aber was soll das Fazit daraus sein? Nun aus Gründen der Gleichbehandlung auch bei den Neuankömmlingen wieder langsamer zu machen?

Weiter bemängeln die Aktivisten eine massive Einschränkung der Einordnung von bestimmten Asylantragstellenden als besonders schutzbedürftig.

Die „Schlussfolgerung“ der Autoren ist eindeutig:
„Der Hotspot-Ansatz sollte das Gemeinsame Europäische Asylsystem stärken und eine schnelle Registrierung und Umverteilung von Asylsuchenden an den Rändern Europas leisten. Doch dieser Prozess der Europäisierung führt de facto zur fortgesetzten Fragmentierung des Asylsystems, da die Hotspot-Inseln sich in extraterritoriale Orte und somit Sonderrechtszonen wandelten.“

Die Analyse ihrer Expertise hätte zudem gezeigt, dass der Versuch einer effizienten Verfahrensbeschleunigung im Pilot-Projekt der griechischen Hotspots gescheitert ist.

Weiter heißt es in der Schlussbetrachtung:
„Der Eingang dieses Prinzips in das GEAS und eine damit einhergehende Übertragung in andere Kontexte wird ebenso zum Scheitern verurteilt sein und zu einer zunehmenden Internierung von Asylsuchenden an den EU-Aussengrenzen führen.“

Was aber kann nun das Fazit der Lektüre dieses Expertise genannten Papiers sein?

Man darf gespannt sein bzw. mit Spannung beobachten, wie passiert, was unweigerlich passieren wird: Wie dieses von den Presseagenturen vorgestellte Papier der Nichtregierungsorganisation nach und nach die Arbeit der deutschen EU-Präsidentschaft unterwandern und damit das ursprüngliche Vorhaben von Horst Seehofer in Sachen gemeinsames europäisches Asylrecht (GEAS) ad absurdum führen wird. Hin zu einer Ausweitung und Legalisierung der bisher großteils illegalen Zuwanderung entlang der Marschrichtung der UN-Flucht- und Migrationspläne.

Möglicherweise hat Horst Seehofer als Meister der Nebelkerzen selbst nie ernsthaft an die Durchsetzung seiner Vorhaben geglaubt. Und schon sehnsüchtig darauf gewartet, dass eine Flüchtlings-NGO für Angela Merkel die nötigen Expertisen anfertigt, den Spuk einer Eingrenzung der Massenzuwanderung aus dem Hause Seehofer zu beenden. Die nächsten Monate werden zeigen, wie erfolgreich das dann passiert.

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