Eine Wahl, die schief gegangen ist, rückgängig zu machen per Kanzlerinnen-Befehl ist für die CDU längst kein Problem mehr. Aber klappt, was in Thüringen funktionierte, auch anderswo?
Eine Voraussetzung ist zwingend: Die Kanzlerin muss es wollen. Aber will sie die Wahl einer Linksradikalen als Verfassungsrichterin von Mecklenburg-Vorpommern überhaupt rückgängig machen? Die Wahl eines ehemaligen DDR-SED-Kader, einer DDR-Diplomjuristin, DDR-Bürgermeisterin von SED-Gnaden, einer Frau, die den Mauerbau noch zwanzig Jahre nach dem Fall der selbigen „alternativlos“ nannte, wie es Hubertus Knabe für TE zusammengefasst hatte?
Möglicherweise wird Barbara Borchardt schneller von ihrer Vergangenheit eingeholt, als ihr lieb sein kann. Dann nämlich, wenn sich bewahrheitet, was der Focus berichtet hat: Sollte es stimmen, dann hat Borchardt zu DDR-Zeiten ihre Position innerhalb der Sozialistischen Einheitspartei der DDR ausgenutzt, um einem verzweifelten DDR-Regimekritiker sein Haus abzupressen.
Der Fall hatte sich laut Focus-Recherche so zugetragen: DDR-Regimegegner hatten Ausreiseanträge gestellt. Normalerweise wäre deren Hauseigentum dann an die Gemeinde gefallen. Die ehemaligen Besitzer berichteten nun, „Borchardt habe ihnen vor der Ausreise erklärt, sie würde das Haus übernehmen.“ Wenn die Ausreisenden damit nicht einverstanden wären, könnten sie ja in der DDR verbleiben, hätte Borchardt ihnen gesagt. Die übernahm die Immobilie dann tatsächlich und kurz vor der Wende verkaufte sie das Haus für 18.000 DDR-Mark ausgerechnet an die Gemeinde, für die sie im selben Moment als Bürgermeisterin tätig war. Der Umtauschkurs DDR-Mark in West-Mark vergoldete wenig später diese Summe erträglich.
Die Zeit beginnt eine Reportage über Barbara Borchardt mit folgenden Worten: „Die Frau, die manche jetzt für eine Verfassungsfeindin halten, sitzt im Sonnenschein auf der Terrasse ihres Hauses in Hof Barnin, einem kleinen Dorf nahe Schwerin. Neben sich die Katze, vor ihr Zigaretten.“ Na klar, wer Katzen liebt, kann kein schlechter Mensch sein und wer raucht, der steht halt zu seinen Schwächen oder so ähnlich.
Vielleicht sollten wir in dem Zusammenhang aber noch eine weitere Publikation aus der Erzählung über eine weitere deutsche Diktatur erwähnen, die ebenfalls etwas mit Immobilien und Ausreisen zu tun hat. Und der Einfachheit halber bleiben wir beim Focus. Der titelte nämlich 1993, kaum drei Jahre nach dem Mauerfall: „Zum zweiten Mal enteignet“. Im Artikel geht es um die Enteignung einer Immobilie zu DDR Zeiten, die ein älterer Herr aus dem Westen nach dem Mauerfall zurück haben wollte, nur um dann zu erfahren, dass das Haus bereits an verwandte Nachfahren der ursprünglichen jüdischen Eigentümer bzw. ihre Vertreter zurückgegeben wurde, die ihrerseits bereits von den Nazis enteignet worden waren.
Annährend 50.000 Immobilien konnten nach dem Mauerfall noch ermittelt werden, die ihren damals jüdische Besitzern weggenommen oder weit unter Wert in Zwangsverträgen ohne verwertbare Gegenleistung entrissen wurden. Wo die ehemaligen Besitzer geblieben sind, kann man übrigens an den Gedenkstätten der Vernichtungslager in Auschwitz und anderswo erfahren.
Wer angesichts dieses düsteren Erbes und des besagten Focus-Berichtes nicht hellhörig wird, dass sich ausgerechnet eine mit den Stimmen der CDU gewählte Verfassungsrichterin und potentielle Verfassungsfeindin zu DDR-Zeiten an einem Haus von DDR-Regimegegnern bereichert hat, der muss schon sehr taub und zudem auf beiden Augen blind sein.