Natürlich sieht sich der Professor und Dozent der Fachhochschule Dortmund als klassischer „Bildungsaufsteiger”, und das sagt der türkeistämmige Kurde und Alevit Ahmet Toprak im Radiogespräch auch. Schon als Hauptschüler war es Topraks größter Wunsch, irgendwann einmal zu studieren, seinen Eltern schwebte eher ein handwerklicher Beruf für den Sohn vor. Toprak sieht sich auch deshalb als Bildungsaufsteiger, weil männliche Migranten, besonders männliche Muslime seltener studieren (als beispielsweise Muslimas, die sich durch ein Studium mehr Freiheiten und Eigenständigkeit erkämpfen), und weil selbst unter den sechs Geschwistern nur drei (mit Ahmet Toprak) studiert haben.
Obwohl der Professor in einer besseren Wohngegend lebt, wie er live zugeschaltet zugibt, fahre er auf dem Damenfahrrad samt Satteltasche täglich zur Fachhochschule. Das sei allein praktischer Natur, einmal wurden wohl die Bremsen am Rad sabotiert, und nun könne Toprak dann schneller abspringen, sollte er wieder in Gefahr geraten. Große Kritik und Gefahren, so vermutet der Autor, lauern für Ahmet Toprak, der nicht muslimisch religiös und auch nicht ideologisch erzogen wurde, wohl aus jeder extremen Ecke.
Auch weitere Bücher mit zugespitzten, aber nicht minder wahren Titeln hat der Erziehungswissenschaftler bereits veröffentlicht, zum Beispiel, „Muslimische Jungen – Prinzen, Machos oder Verlierer?”, bereits 2012 publiziert oder genauso, „Unsere Ehre ist uns heilig”, und eben Topraks Forschungen im Milieu der moslemischen Zuwanderer seit Jahren, das er selbst bestens kennt und mit Kollegen im Buch „Konfrontative Pädagogik – Intervention durch Konfrontation” vorstellt.
Man kann Toprak attestieren, dass er auf die Problematik der Desintegration, oder dass Integration keine Einbahnstraße sein kann, schon seit über zehn Jahren hingewiesen hat. Allein, viele Politiker aus den verschiedenen Regierungen schenken Experten aus dem kulturellen Milieu selbst wenig Gehör oder Interesse. Und so kommt es, dass seine Beschäftigung mit muslimisch geprägten Jugendlichen und deren Kultur und Traditionen, immer wieder für Schlagzeilen sorgen. Die Jugendlichen selbst aber wohl auch.
Der Professor sieht es als seine Pflicht an, die deutsche Gesellschaft und das Bildungswesen an sich, aber auch die türkischstämmigen Familien selbst (seit 2014/2015 kommen vermehrt weitere Nationalitäten aus islamisch geprägten Ländern hinzu, mit vielen jungen Männern) aufzuklären.
Wer thematisiert denn sonst noch neben Toprak Zwangsehen auch aus männlicher Sicht? Viele Männer haben damit kein Problem, arrangieren sich damit oder müssen sich dem kulturellen Diktat der Familie eben beugen. Oder mit deren Art, Konflikte rund ums Thema der angekratzten Ehre zu lösen.
Toprak lächelt selbst die Erlebnisse weg, wenn ihn Außenstehende oder neue Professoren an der Hochschule voreingenommen für den Hausmeister oder früher für einen Studenten gehalten haben. Heute stellt er die Dinge dann schon mal richtig und stellt sich als Dekan der Fakultät vor. Nie würde er deshalb einer Mehrheit der Deutschen einen latenten Rassismus unterstellen. Ja, Toprak kennt das Milieu und die Verhaltensweisen, über die er forscht. Ob Toprak denn als junges Kind oder Jugendlicher auch, muslimisch, männlich und desintegriert gewesen sei, möchte der Moderator wissen?
Der Professor lächelt und fasst seine Herkunft und Erziehung in etwa so zusammen: „Also bei mir war es nochmals anders, wir sind nicht muslimisch, sondern alevitisch, und gehören auch noch der Minderheit der Kurden an. Alevitisch und kurdisch zu sein, das war dann in dieser Kombination umso schwieriger, weil, wie Sie wissen, beide Minderheiten wurden von der Türkei immer unterdrückt.” Seine Familie sei von daher eher als rebellisch einzustufen gewesen, nichts mit dem Islam am Hut, alevitisch und eher humanistisch sei er erzogen worden.
Den türkischen Gastarbeiterfamilien, besonders der ersten beiden Generationen, mache er gar keine Vorwürfe, wenn sehr viele von ihnen an Traditionen und Werten in der Fremde festhielten, das sei ja auch so etwas wie ein Anker, sich sicher zu fühlen im eigenen Familienkreis.
Heute hat sich der Spieß komplett gedreht, meint der Radiosprecher, die Integrationswilligkeit müsse nachgewiesen werden. Toprak sagt, ohne rudimentäre deutsche Sprachkenntnisse müsse man gar nicht anfangen, über Integration zu reden. Die Integrationsbemühungen und Programme von deutscher Seite seien sehr gut und vielfältig, natürlich lasse sich über manche Fragen der Integrationsprüfungs- und Orientierungskurse streiten, aber neben der Sprache müssten noch viel mehr die Rechte, Werte und Pflichten, die in der Bundesrepublik gelten, vermittelt werden. Eigentlich wüssten die meisten Zuwanderer auch, was sie in Deutschland erwarte und was verlangt würde.
Konterkariert der türkische Präsident Erdogan nicht die deutschen Integrationsbemühungen? Und finden die Türken denn so eine Art politischen Übervater gut? Nun, so Toprak, in Erdogan würden viele Türken tatsächlich eine Art Übervater sehen, der ihnen und der Türkei etwas Stolz zurückgegeben habe, eine Art türkisches Erfolgsmodell mit Wohlstand. Erdogan wolle der NATO und der EU vermitteln: Ihr habt uns lange klein gehalten, das müssen wir nicht mit uns machen lassen.
Ob das Erdogan-Übervater-Modell auch in die Familien hineinstrahle, sei einmal dahingestellt. Von den rund 4,8 Millionen Muslimen in Deutschland (Toprak meint, es wäre nicht sicher, ob diese Zahl auch die Zuzüge aus Syrien und anderswo zu 100% beinhalte), wovon drei Millionen Türken seien, sagt Toprak: „Ein Drittel oder Zwei-Fünftel, also 33 bis 40 %, werden konservativ bleiben.” Über deren Werte und Verhaltensweisen würden wir uns dann noch lange wundern, beziehungsweise mit diesen auseinander setzen müssen.
Ich selbst, beschäftigt mit zahlreichen interkulturellen Veranstaltungen mit Männern aus dem arabisch-afrikanischen Raum, kann Toprak bestätigen, dass in fast jeder Veranstaltung Männer Diskussionen anzettelten, sobald die Themen, „Gleichberechtigung“ sowie „Gleichgeschlechtliche Ehen“, angesprochen und erklärt wurden. Da gibt es noch viel Aufklärungsbedarf in Zukunft.
An vorgefertigte und festgeschriebene Werte und Traditionen (familiär und patriarchalisch geprägt) könne man nur durch ein Handlungskonzept der „konfrontativen und provokativen Therapie“ heran kommen, feste Denkmuster aufbrechen, zur Reflexion anregen. Die von Ahmet Toprak im Konzept enthaltenen Erziehungsziele wie „Respekt vor Autoritäten“, „Ehrenhaftigkeit“ und „Zusammengehörigkeit“, fließen in das Erziehungshandeln mit ein.
Im Gegensatz dazu werden in jenen Konzepten, die Toprak mit dem Etikett „verständnisvolle Pädagogik“ versieht, vielfach andere Gewichtungen vorgenommen. Seine Botschaft: raus aus der Wohlfühloase und „Kuschel-Pädagogik“. Auch deshalb ist Erziehungswissenschaftler Toprak ein Verfechter der Anwendung verschiedener Methoden des „Prinzips der Konfrontation“, wie z. B. die #konfrontative #Gesprächsführung, interaktionspädagogisches Training und theaterpädagogische Verfahren, auch in anderen pädagogischen und erzieherischen Zusammenhängen zu erproben, wie beispielsweise in der Familie, im Kindergarten, der Schule und in Berufssituationen.
Ahmet Toprak leugnet auch keineswegs das große Spannungsfeld, in dem sich seine Klienten (die moslemischen männlichen Jugendlichen) befänden. Weil Toprak die Milieus lange beobachtet und erforscht hat, basieren seine Empfehlungen auf einer Analyse der „kollidierenden Erziehungsziele“.
Erziehungsziele kollidieren nämlich, wenn türkische Eltern beispielsweise die Unterordnung und Anpassung von ihren Kindern verlangten, während die offene Gesellschaft an der Schule das Gegenteil erwarte: eine offene demokratische Verständigung Geschlechter-übergreifend, und mit Rücksicht und Fairness untereinander.
Die türkischstämmigen Muslime in der dritten und vierten Generation wären die besten Vermittler unserer Werte und Gesetze in der Bundesrepublik für die neuen Zuwanderer. Die Wahrheit ist aber, die einen sind noch nicht so weit, und die anderen interessiert es kaum.