Nur wenige kurze Sätze in den 21 Seiten des Papiers »Zukunfts-Strategiedialog Energieforschung« sind dem Thema Wasserstoff gewidmet: »Auf absehbare Zeit geringe energiewirtschaftliche Bedeutung«, steht da. Und: »Forschung und Entwicklung nur verfolgenswert, wenn Wasserstoff als Energiespeicherungs-Medium eingesetzt wird.« Das ist allerdings schon eine ganze Weile her, die Zeilen wurden bereits im Jahre 1995 formuliert.
Neben vielen anderen hatte sich auch der frühere Bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß zu seinen Lebzeiten für eine Wasserstoffwirtschaft stark gemacht – das müsste heute eigentlich ausreichen, sich dagegen auszusprechen.
Als »riesige Blendgranate« bezeichnete einst in einem erinnerungswürdigen Interview mit dem Deutschlandfunk der Energieexperte Dr. Ulf Bossel vom Europäischen Brennstoffzellenforum eine Wasserstoffwirtschaft. Angesichts der schlechten Energiebilanz werde »auch niemand so dumm sein, um hier in eine Wasserstoffinfrastruktur zu investieren«, meinte er, eigentlich ein ‚Wasserstoff-Fan‘. Wasserstoff sei ein denkbar ungeeigneter Energieträger, da bei seiner Herstellung viel Energie verbraucht und bei Transport und Lagerung viel Energie verloren gehe.
Um Wasserstoff herzustellen, benötige man erhebliche Mengen an Strom. Er verwies auch darauf, dass viel Wasser bei der Herstellung durch die Elektrolyse gebraucht werde: »Um ein Kilo Wasserstoff herzustellen, das entspricht etwa drei Liter Benzin, brauche ich neun Kilogramm Wasser. Und das habe ich garantiert in der sauberen Form nicht dort, wo ich viel Sonnenenergie habe.«
»Wenn ich aus Wasser Wasserstoff mache durch Elektrolyse, verliere ich ungefähr ein Drittel der Energie, ein Drittel des Stroms ist weg. Dann muss ich den Wasserstoff ja transportfähig machen. Ich muss ihn entweder komprimieren, da verliere ich etwa 10 bis 15 Prozent der Energie, oder ich muss ihn verflüssigen, da verliere ich etwa 40 Prozent der Energie.«
»Und dann habe ich das Transportproblem«, listet er die Kehrseiten weiter auf. »Ich muss den Wasserstoff also, wenn ich ihn in Patagonien mache, muss ich ihn per Schiff nach Hamburg bringen. Das kostet wiederum Energie, ungefähr ein Drittel des Wasserstoffs, den ich im Schiff habe, verliere ich bei einer Fahrt von Patagonien nach Hamburg.«
»So viel?« Wirft erkennbar geschockt der Moderator ein.
Kein Wunder, dass Ulf Bossel zu dem Schluss kommt: »Wasserstoff löst keine Energieprobleme«. ( Leibniz-Institut, 2010).
Aber auch das Interview ist schon zwölf Jahre alt. Unter Bundeswirtschaftsminister Altmaier und Bundesforschungsministerin Anja Karliczek haben sich die technischen Erkenntnisse gewandelt.
Die Energiewende scheitert und die Elektromobilität scheitert; da könnten möglicherweise irgendwann die Bürger wütend werden, wenn sie erkennen, dass für dieses Scheitern gut funktionsfähige Kernkraftwerke abgerissen und die Grundlagen eines Industrielandes in Schutt und Asche gelegt werden. Also müssen neue Parolen dringend her: die von der ‚Wasserstoffrepublik‘, in die sich Deutschland wandeln soll. In der bekommen erst einmal die armen Moleküle des Wasserstoffs genau wie die Elektronen des Stroms erst einmal eine Farbe und werden grün angestrichen.
Dazu feuern die Medien Jubelberichte über »Begeisterung nach Testphase mit Wasserstoff-angetriebenen Zügen« ab. Dieselloks würden damit verdrängt, wie es in schwärmerischen Berichten heißt, Lastwagen könnten damit angefeuert werden und Pkw sowieso.
‚Grüner Wasserstoff‘, durch Sonne und Wind erzeugt, sei der ‚Energieträger der Zukunft‘, so Karliczek. »Wir brauchen ein Cape Canaveral des Wasserstoffs in Deutschland«. Die Hotelfachfrau aus dem Münsterländischen stammt aus dem merkelschen Polit-Bollwerk, sitzt auf dem Chefsessel des Bundesforschungsministeriums und will bis zum Jahr 2025 eine Innovationsoffensive »Wasserstoffrepublik Deutschland« umsetzen. Milliarden sollen für einen guten Zweck fließen, zur Förderung der Wasserstofftechnologie: »Wir wollen Weltmeister auf dem Gebiet des Grünen Wasserstoffs werden. Wir wollen in Deutschland die Technologien erforschen, entwickeln und herstellen, die weltweit Standards setzen und das Potential haben für neue Exportschlager `Made in Germany`.«
Lakehurst zeigte: Der Umgang mit Wasserstoff ist schwierig, ihn beherrschen die Fachleute trotz gelegentlich explodierender Tankstellen prinzipiell heute durchaus. Allerdings ist die aufwendige Handhabung entsprechend teuer.
Nichtsdestotrotz herrscht seit einiger Zeit wieder Goldgräberstimmung in der Branche. »Kaum ein Thema elektrisiert große Teile der deutschen Wirtschaft derzeit mehr als Wasserstoff«, notierte das Handelsblatt anläßlich einer Konferenz »Wasserstoff und Energiewende«. Die Gäste kommen angerannt, die Regierung »hat die Aufmerksamkeit von Stahl- und Chemiebranche, Energiewirtschaft, Autokonzernen, Anlagenbauern und Netzbetreibern«.
Kein Wunder, es werden horrende Summen verteilt. Da kann man schon mal wie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil rufen: »Deutschland braucht mehr Tempo bei der Energiewende – und muss auf Wasserstoff setzen.«
Als Industrievertreter muss man dann auch peinliche Sprüche aus dem Munde des Wirtschaftsministers an sich abperlen lassen: »Gas ist sexy.«
Klar war den Experten stets, dass eine mächtige Energiequelle zur Erzeugung von Wasserstoff vonnöten sei. Die einzige Quelle, die preisgünstig gigantische Mengen an Strom erzeugen kann, ist jedoch die Kernkraft. Idee der frühen Wasserstoffbefürworter: Hochtemperaturreaktoren sollten preiswert Wasserstoff als Energieträger erzeugen.
Die auf seine Stiftung zurückgehende »Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH« zeichnet heute für »grüne« Energien und Wasserstoff mit verantwortlich und kann sich auch über die neuen Milliarden freuen.
»Weil es eine Riesen-Wasserstofflobby gibt«, antwortete seinerzeit Experte Bossel auf die Frage, warum die Politik trotz der desaströsen Energiebilanz dennoch am Wasserstoff festhalte, »weil sie bei ihren Anhörungen nicht die kritischen Stimmen hört, sondern lediglich die, die an Wasserstoffprogrammen beteiligt sind. Und für die ist das natürlich dann ein Selbstbedienungsladen. Sie befürworten die Wasserstoffprogramme, weil sie dann entsprechend partizipieren.«
Jetzt riecht es wieder nach Desertec, jenem kolossalen Schwindel, der aus Nordafrika je nach Gusto Strom, Wasserstoff oder sonstige Energien nach Europa zu führen versprach. Die hochfliegenden Pläne versandeten. Grund: Neben technischen und politischen Schwierigkeiten sprach sich ihre Unwirtschaftlichkeit langsam überall herum. Das, was Sonne und Wind liefern, ist einfach deutlich zu wenig an Energie. Eine Technologie, die nur mit Förderung funktioniert, kann wohl schwerlich als »die Zukunftstechnologie« verkauft werden.
Das hätte sich Henry Cavendish wohl in seinen kühnsten Träumen nie vorgestellt. Er war zwar ein schrulliger Naturwissenschaftler, aber so schrullig nun auch wiederum nicht, dass ihm eingefallen wäre, Wasserstoff als wichtigsten Energieträger einzuführen, dazu noch mit dem albernen Modelabel »CO2 frei« etikettiert. Vollends vor Lachen geschüttelt hätte es ihn, hätte er den Spruch vom »Zeitalter einer Wasserstoffwirtschaft« gehört, der gerade losgelassen wird.
Genau das unterscheidet sie von heutigen Berliner Energiewendern und Propagandisten einer Wasserstoffwirtschaft. Die ehernen Regeln gelten heute zunehmend als veraltet. Wissenschaft und Technik haben sich dem Politwillen zu unterwerfen, und der ist im Zweifel »grün«.
Nachzutragen ist, dass die fanatischen französischen Revolutionäre mit dem Jahrhundertkopf Antoine de Lavoisier einen der führenden Wissenschaftler der damaligen Zeit guillotinierten. Der blindwütige Richter des Revolutionstribunals soll bei dem Schnellverfahren erklärt haben: »Die Republik braucht keine Wissenschaftler, ein einziger Mann von Geist an der Spitze des Staates reicht.«
Im zweiten Teil gehen wir auf die vergeblichen Versuche der Autoindustrie ein, dem Auto das Fahren mit Wasserstoff beizubringen.