Nelson Mandela hat gesagt: “Ich verachte Rassismus, weil ich ihn für barbarisch halte, egal ob er nun von einem schwarzen oder weißen Menschen kommt”,
und er hat auch gesagt: “Wenn uns tiefe Verletzungen zugefügt wurden, werden sie
erst heilen wenn wir vergeben können”.
Diese Worte haben eine ganze Nation inspiriert, als er 1994 der erste schwarze Präsident Südafrikas wurde, gewählt von allen Bevölkerungsgruppen in freier demokratischer Wahl. Seitdem ist Südafrika auch bekannt als ‘the rainbow nation’, ein Begriff der von Archbishop Desmond Tutu geprägt wurde nach der Apartheid-Ära.
Man bekommt das besonders zu spüren, wenn man wie ich, in KwaZulu-Natal lebt, und plötzlich eine Schlagzeile liest: Älterer Mann ›zu Tode gehackt‹ in einer Midlands-Gaststätte […] als die Crews ankamen, fanden sie den Körper des Besitzers, der mit einem Buschmesser (Panga) zerhackt worden war. Und wenn man dann ganz zufällig Stunden später erfährt, das war ja ein Freund von mir, dann ist die Schlagzeile “Black lives matter” schwer zu verdauen.
Dazu muss man wissen, das fast jeder Weiße hier in seinem Bekannten- und Freundeskreis jemanden hat, der durch kriminelle Gewalt zu Tode gekommen ist. Dabei handelt es sich nicht um Beziehungstaten, nein, es sind brutale Gewalttaten, motiviert durch Gier und Hass – zur falschen Zeit am falschen Ort. Bevor dieser Mord passierte, hatten bereits zwei Kolleginnen Tote im Familienkreis zu beklagen: der Vater der einen ermordet, der Bruder der anderen Kollegin. Südafrika steht an 7. Stelle auf der Weltrangliste der Gewaltverbrechen – das war nicht immer so.
Meine Freunde waren wie ich Einwanderer, die nach Johannesburg kamen, um sich einen Traum zu erfüllen. Kennengelernt habe ich die Beiden erst hier in Howick. Wenn man von Johannesburg, der afrikanische Name ist Gauteng und bedeutet City of Gold, nach KwaZulu-Natal kommt, ist der erste Eindruck: Man betritt ein Paradies. Sanfte Hügel, grüne Wiesen überall und was immer man in den Boden steckt, es wächst – 320 Tage Sonnenschein im Jahr bei einer Durchschnittstemperatur je nach Jahreszeit von 16 bis 33 Grad Celsius.
Für Edi, einen charmanter Östreicher, und Margit, eine typische ‘Berliner Schnauze‘, der ideale Platz, um ein Bed and Breakfast mit deutsch-österreichischen Spezialitäten zu eröffnen. Ganz in der Nähe die berühmte Eliteschule ‘Michaelhouse’ in Balgowan, die international anerkannt ist.
Das Lokal ist/war bekannt und beliebt für seine Würste, sein Bier, gepaart mit österreichischer Geselligkeit und Berliner Humor. Tja, und jetzt wieder ein Toter mehr, wieder eine Existenz zerstört und – wozu das alles. Ganz zu schweigen von den Hinterbliebenen.
Was geschehen war: Am Samstagmorgen, dem 6. Juni 2020 zwischen 8 und 9 Uhr, wurde Edi auf seinem Hof, während er sein Hunde füttern wollte, von hinten attackiert. Ein indigener Mann, mit einer Gesichtsmaske und einem Buschmesser bewaffnet, fragte ihn nach Geld und fing an auf ihn einzuschlagen. Zwischenzeitlich kam meine Freundin, noch im Morgenrock – es war ja Samstagmorgen – aus dem Haus heraus, um nachzusehen, was sich da abspielt. Daraufhin ließ der Angreifer von seinem Opfer ab, um meine Freundin ins Visier zu nehmen. Edi, der schon schwerst verletzt am Boden lag, rappelte sich auf, um seiner Freundin zur Hilfe zu kommen, aber schaffte es natürlich nicht. In ihrer Panik gelang es ihr durch einen Hinterausgang auf die Straße zu rennen, um Hilfe zu holen.
Das Ganze spielte sich in ländlichem Gebiet ab, wo nicht jede Minute ein Auto vorbeikommt. Aber sie hatte großes Glück und ein Auto mit einer weißen Insassin kam vorbei und hat sie dann zum nahegelegen Michaelhouse gebracht, von wo aus Rettungswache und Polizei informiert wurden. Auch Freunde, die in der näheren Umgebung wohnen, wurden alarmiert, die ihr dann zur Hilfe kamen.
In ihr Haus konnte sie nicht mehr zurück, die Forensics waren bereits auf dem Weg. Als der Rettungswagen eintraf, konnte Edi nur noch für tot erklärt werden. Laut Polizeireport ist der Täter noch flüchtig.
Natürlich ist jedes Leben gleich zu bewerten und jeder Tod gleichwertig zu betrauern.
Aber der kleine Unterschied ist, George Floyd, dessen kriminellen Hintergrund man im Internet nachlesen kann, wurde in einem goldenen Sarg beerdigt und Menschen in der ganzen Welt haben seinen Tod betrauert. Mein Freund wird nicht in einem goldenen Sarg beerdigt und er wird auch nicht von der ganzen Welt betrauert werden und es wird auch keiner niederknien, weil Edi sterben musste.
Farm Attacks in Südafrika sind tägliche Ereignisse, die am Tagesgeschehen vorbei gehen. Da stellt sich mir die Frage, wer ist hier privilegiert?
Aber Nelson Mandela hat auch gesagt: “Ein Gewinner ist ein Träumer, der niemals aufgibt.” Dürfen/können wir weiter träumen und wie lange kann man träumen?
Leute aller Herkunft im arbeitsfähigen Alter, die gut ausgebildet sind, ziehen es vor, nach UK, US, Canada, Neuseeland und Australien auszuwandern. Offizielle Zahlen hierzu gibt es nicht. Der Rest ist mehr oder weniger gezwungen, hier zu bleiben und sich zu arrangieren, im Sinne von “gleich und gleich gesellt sich gern”. Das heißt im übertragenen Sinne: Leute mit dem gleichen Bildungsgrad, ähnlichen Interessen und kulturellen Vorlieben bleiben unter sich. Das muss sich – nach meinem Verständnis – aber nicht ausschließlich auf die Hautfarbe beziehen. Man würde ja einem Ostfriesen, der keine Weisswurst und kein Paulaner mag, auch nicht Rassismus unterstellen, oder?
Zum besseren Verständnis, es gibt hier 11 offizielle Amtsprachen, die indogene Bevölkerung besteht aus Zulus, Xhosa, Ndebele, Swazi, Sotho, Shangaan-Tsonga und Venda, dann gibt es Menschen indischer Abstammung, Coloureds und die Weißen und alle diese Menschen sind im Temperament und Mentalität so unterschiedlich wie ein Ire und ein Grieche oder ein Isländer und ein Sizilianer.
Zum Thema Kriminalität und Sicherheit und wie man damit umgeht, ist zu sagen: Es ist wie mit dem Autofahren, man geht ein Risiko ein. In dem Moment, wo man losfährt, ist man gewissen Gefahren ausgesetzt, aber man fährt trotzdem los. Gefahren lauern hier überall, wenn man zur falschen Stunde am falschen Ort ist, dann kann es schiefgehen.
Das alles hat sich noch verschlimmert mit dem Lockdown der Wirtschaft, man muss Augen überall haben – vorne und hinten – wie man auch an Edis Fall sehen kann. So lebt man von einem Tag zum anderen und ich freue mich immer, wenn alles gut geht und nichts passiert ist.
Im Moment gilt mein tiefstes Mitgefühl Edis Hinterbliebenen – möge er in Frieden ruhen – wir werden ihn vermissen.
Sabine Johnson