Tichys Einblick
Verfassungsschutz-Präsident

Haldenwang nimmt Erdogan und seine Religionsbehörde DITIB in Schutz

Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sieht in Erdogan keinen Islamisten und will gegen dessen in Deutschland agierende Religionsbehörde DITIB keinen "Generalverdacht". Kritiker sind entsetzt von Haldenwang. Der Machthaber in Ankara dürfte begeistert sein.

imago Images

Thomas Haldenwang war Wunschkandidat der Bundesregierung für das Amt des Verfassungsschutzpräsidenten. Sein Vorgänger Hans-Georg Maaßen fiel ja auch deshalb in Ungnade, weil er zu der Überzeugung gekommen war, dass es in Chemnitz bei Demonstrationen wegen der Ermordung von Daniel H. durch einen Migranten nicht zu „Hetzjagden“ gegen Ausländer gekommen war. Genau das aber hatte die Kanzlerin zuvor schon öffentlich verkündet.

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Der neue Verfassungsschutzpräsident wurde als eine Art Gegenentwurf zu Maaßen präsentiert. Die FAZ beispielsweise bezeichnete Haldenwang im positiven Sinne als „ein bisschen trocken aber unkompliziert“. Er habe „keine politische Agenda, kein Geltungsdrang“. Unverkennbar eine Spitze gegen Maaßen. In einem weiteren Artikel am selben Ort hieß es, Haldenwang könne im neuen Amt „Waschen ohne Plätschern“.

Nun gehört es zu den ersten Aufgaben eines Geheimdienstes, Verdachtsmomente der Gefährdung erst zu lokalisieren und diesen dann mit allen Mitteln nachzugehen. Haldenwang war hier besonders eifrig, wenn es darum ging, die Jugendorganisation und den Flügel der AfD als Verdachtsfälle zu lokalisieren – Vorgänger Maaßen wird hingegen bis heute immer wieder eine gewisse Nähe zur AfD unterstellt.

Maaßen plauderte im Dezember 2019 gegenüber der Tagespost gewissermaßen als Retourkutsche aus dem Nähkästchen zu bestimmten Beeinflussungsversuchen während seiner aktiven Karriere: „Was ich allerdings erlebt habe, waren unverhohlene Beeinflussungsversuche aus der Politik allgemein und vor allem den Medien. Es wurde versucht, unsere Haltung gegenüber der AfD zu beeinflussen.“

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Umso erstaunlicher wirkt jetzt, mit welcher Nachsicht sich Thomas Haldenwang ausgerechnet gegenüber der türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) positioniert. Die in Deutschland offiziell operierende islamreligiöse Organisation steht unter Leitung, Kontrolle und Aufsicht des staatlichen Präsidiums für religiöse Angelegenheiten der Türkei. Das heißt: Sie untersteht mehr oder weniger direkt dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Haldenwang hat jetzt bei einem Auftritt in Mainz nicht etwa vor der DITIB gewarnt, sondern im Gegenteil vor einem „Generalverdacht“ gegen sie. Das ist schon ein starkes Stück. Liberale Muslime und Kritiker des türkischen Regimes reagierten entsetzt über die offensichtliche Blindheit des Verfassungsschutzpräsidenten gegenüber religiös-politischer Einflussnahme des türkische Präsidenten in Deutschland.

Die türkisch-kurdischstämmige deutsche Rechtsanwältin Seyran Ates kommentiert das via Twitter zunächst mit lakonischem Erstaunen und kommentiert: „Wir haben einen Verfassungsschutzpräsidenten, der Erdogan nicht als #Islamisten sieht.“ Ates fasst später nach und ergänzt: „Schallendes Gelächter am Bosporus. Was für ein Elend.“

Der deutsche Geheimdienstchef war zu Besuch nach Mainz gekommen zum Gedankenaustausch mit dem rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz (SPD) und Landesverfassungsschutzchef Elmar May. Schließlich sei er in seiner Funktion auch „Dienstleister und Koordinator“ für die Landesämter. Man sprach über Corona, die Hygiene-Demonstrationen und dann auch über die Rolle von DITIB in Deutschland. Nein, so Haldenwang: DITIB, Türkei, Islam-Extremismus – das alles in einen Topf zu werfen, sei für ihn zu kurz gegriffen.

Die Abhängigkeit der DITIB von Erdogan bestreitet der Geheimdienstler dabei gar nicht. Die finanzielle Abhängigkeit der Moscheen von der Türkei und der türkischen staatlichen Religionsbehörde Diyanet sei nach Haldenwang sogar offenkundig. Aber das sei doch noch „keine religiöse Sichtweise“.

Ja, aber was denn dann?, fragt man sich. Aber es kommt noch dicker: Klar, erzählt der Nachfolger von Hans-Georg Maaßen, man müsste sich Sorgen machen, „wenn islamistische Prediger in DITIB-Moscheen arbeiten.“ Aber: Einflussnahme von dieser Seite gäbe es derzeit „nur punktuell, aber nicht in der Fläche“. Möglicherweise muss man sich Sorgen machen um die Schlagkraft unseres Verfassungsschutzes, wenn der Chef dieser Behörde nicht glauben mag, das Erdogan seinen unbestrittenen Einfluss auf seine begeisterten Landleute in Deutschland für sich und seine islamistischen Ziele nutzen könnte.

Merkwürdig waren aber auch Haldenwangs Bemerkungen zu einem anderen Thema: Der Geheimdienst-Chef schmeißt ein paar vermeintliche Brosamen in Richtung der politisch und medial als Nazis und Spinner verunglimpften Teilnehmer der Hygienedemos: „Die überwiegende Anzahl hat sich fest auf dem Boden der demokratischen Grundordnung bewegt. Das ist noch kein besorgniserregendes Ausmaß.“

Also die Demonstranten sollen nicht alle Spinner sein und dafür möge man DITIB bitte nicht islamistisch befinden?

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Aber natürlich liegt dem Wunschkandidaten der Bundesregierung rein gar nichts daran, diese Corona-Maßnahmen-Kritker irgendwie aus der Ächtung zurück ans Licht zu holen. Also erwähnt er flink noch den Verdachtsfall, den großen Gefahrenmoment: Und der läge in der Infiltration durch radikale Gruppen, beispielsweise dem Versuch, aus dem Corona-Widerstand heraus eine „zweite Pegida“ zu etablieren.

Wo also Thomas Haldenwang bei Hygiene-Demos von einem großen Gefahrenmoment der Infiltration wissen will, ist das bei einer unter der Regie von Erdogan in Deutschland operierenden einflussreichen islamreligiösen Organisation nicht der Fall, weil man ja eh schon weiß, dass DITIB von Erdogan kontrolliert wird, weil darum kein Geheimnis gemacht wird?

Was für ein gefährlicher Unsinn an der Spitze einer für die Sicherheit Deutschlands so wichtigen Behörde.

Beispielsweise die Welt titelte schon Anfang 2016 zu DITIB vollkommen unmissverständlich: „So nähren Erdogans Prediger Islamismus in Deutschland“. Der Artikel verweist auf die von der Türkei gelenkte DITIB, die 900 Moscheevereine in Deutschland vertreten würde und die sich nur gemäßigt geben würde. Und das, „obwohl immer wieder islamistische Umtriebe auffallen.“

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wurde schon vor Jahren in einer Messehalle in Karlsruhe von 14.000 Türken und türkischstämmigen Deutschen frenetisch umjubelt. Und der Präsident rief seinen treuen Anhängern schon damals zu: „Unsere Religion, unser Glaube ist unser alles.“ Damals hätte Erdogan Allah fünfzehn Mal gedankt und ihn gelobt. Ja, die Welt hatte fleißig mitgezählt, als wäre sie für den Verfassungsschutz tätig. Der hat aber 2020 unter Thomas Haldenwang offenbar gar keine Lust mehr zu solchen Tätigkeiten. Na Gott sei dank, werden sich da Haldenwangs Mitarbeiter vielleicht sagen, und sich wieder der Beobachtung von Aluhutträgern zuwenden.

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