Na klar, Mario Gomez schießt Deutschland zum EM-Titel, aber was bedeutet das für ein aufgewühltes Europa in politisch unsicheren Zeiten?
Laut Kanzlerin Angela Merkel zeigt sich hier „das moderne Deutschland von seiner besten Seite“, denn mit Mario Gomez wird ein „Immigrantenkind“ (Claudia Roth) – ursprünglich sogar aus Spanien, der ehemaligen „Dritten Welt“ – Torschützenkönig. Dass Gomez auch als El Torero (der Stierkämpfer) bezeichnet wird, ist dann selbst den normalerweise doch politisch so korrekten Veganern um Renate Künast „Wurst“. Durch El Toreros Final-Tor erfreuen sich weltweit die Biographen von Hemingway und Picasso – altbekannten Liebhabern der Kultur und Kunst des Stierkampfes – gar einer deutlichen Auflagensteigerung. Und die Marca, eigentlich das Hausblatt der Königlichen um CR7 und des Königs Juan Carlos höchstpersönlich, zitiert den kürzlich verstorbenen Vater des Thronfolgers gar mit den Worten „Wahnsinn, ein Torero schießt Deutschland zum EM Titel – hoy todos somos alemanes (heute sind wir alle Deutsche)“.
Während sich die Grüne Jugend im multikulturellen Jubelsturm wähnt und nun die „Denationalisierung Deutschlands“ durch den Immigranten-Torjäger Gomez mit Sprechchören wie „endlich kommen nicht mehr nur die Tomaten aus Spanien“ feiert, beobachtet die TAZ allerdings die Entstehung eines neuen „Multi-Nationalismus – die Rechte im modernen Tarnkappen-Gewand“. Dabei greifen die TAZ-Redakteur***innen auf einen Zeit-Artikel zum Handballsport von Anfang des Jahres zurück, in dem es hieß, Handball sei der „Sport der Nazis“ und entlarven aufgrund dessen den „Fussball als neuen Handball“ (die drei Sternchen stehen nicht für Mann, Frau und diejenigen dazwischen, sondern sind den drei Toren von Gomez im Halbfinale gewidmet).
In der Frankfurter Rundschau wirft eine Kultur- Sprach und Rassismus-Expertin die Frage auf, ob wir im 21. Jahrhundert mit dem Begriff des Toreros wirklich noch das Bild und Stereotyp des „südländisch-emotionalen Aggressors“ bedienen sollten – zumal das Wort „weder die Endung-Innen noch das Gendersternchen“ enthalte. Darüber hinaus fragt sie, ob man nicht besser einen Sport verbieten solle, der sich mit Begriffen wie „kämpfen“, „schießen“ und „siegen“ einer „martialischen, militaristischen und männlich-dominierten Sprache“ bediene. Einmal in Ihrem Element, kritisiert die Wissenschaftlerin sogar den ehemaligen Nationalspieler und Deutsch-Afrikaner Gerald Assamoah als Beispiel für „verdeckten Alltagsrassismus“, weil dieser davon sprach, dass er es „wahnsinnig toll“ fände, wie sich Deutschland während des Turniers von seiner „Schokoladenseite“ gezeigt hat.
Zugleich zeigt sich die Dame ausdrücklich erfreut, dass sich der Protest innerhalb der Stadien auf Plakate wie „gegen Rassismus: Boateng, ich will dein Nachbar sein – weil du schwarz bist“ beschränkte. Auch begrüßt die Frau den Slogan des Turniers in Frankreich „Fraternité worldwide“, der von wohlwollenden Intellektuellen als „weltweite Verbrüderung für Frieden“ verstanden wird, aber von dessen Urheber Sarkozy ursprünglich mit dem Zusatz „für ein Großes Frankreich, wie zu Kolonialzeiten“ versehen wurde. Auch dass das EM-Komitee Baguette in Massen geordert und an das Volk vor den Stadien verschenkt hat, sieht die Wissenschaftlerin nicht als das Bedienen uralter römischer (Brot und Spiele) und französischer (Revolution) Stereotype, denn es sorge einfach dafür, dass es „keine brotlose Kunst“ auf dem Rasen gebe und somit es gerade für Frauen leichter sei, die EM zu ertragen.
Den unbeabsichtigten Nebeneffekt, dass gesättigte und zufriedene Frauen wiederum auch für Männer leichter zu ertragen sind, nimmt die Wissenschaftlerin dabei – wenn auch nur widerwillig – in Kauf. „Man, ähhh ich meine Frau, zielt bestimmt nicht darauf ab, den Männern das Leben zu vereinfachen, aber manchmal lasse sich das eben nicht verhindern“ so die Dame. In diese Kerbe haut auch die Gleichstellungsbeauftragte der Bundesregierung und spricht unterdessen von einem „noch lange nicht ausgeglichenen Kader“. Vor allem die ganzen Menschen, so die Beamte, „die sich irgendwie zwischen Mann und Frau sehen“, seien fast ausschließlich „ausgegrenzt, auf der Bank zu finden oder gar nicht mehr im Kader, wie beispielsweise ein Philip L“.
Die linke Jugend hinterfragt die Feierlichkeiten um El Torero, da dieser das „großartige islamische Erbe Andalusiens“ nicht genügend würdige und nur das „katholische Spanien“ repräsentiere – nicht aber die Menschen, “die vor Jahrhunderten und in den letzten Monaten über das Mittelmeer nach Spanien gekommen sind“. Die Vorsitzende der Jungsozialisten empfiehlt daraufhin El Torero, seine Torjägertrophäe der muslimischen Gemeinde Barcelonas zu stiften, um damit die seit dem sinkenden Ölpreis „ausbleibenden Spenden wahhabitischer Islamisten“ auszugleichen und somit den „Umbau der alten Stierkampfarena in eine Moschee zu beschleunigen“.
Da sich im Kader der deutschen Nationalelf kein einziger Deutsch-Italiener befindet, meldet sich auch der Präsident des altehrwürdigen und größten Fussball-Verbandes der Welt und verspricht Aufklärung zu betreiben mit der DFB-Studie „Özil, Gündogan, Mamamia – warum schaffen es nur Söhne türkischer Gastarbeiter in den Kader?“ Der in diesem Zusammenhang von Journalisten befragte deutsche Türkei-Legionär Prinz Poldi antwortete, „ich blick das mit Politik und so ja nich, aber Türkei isch bombensicher“, was dem Wort eine ganz neue Bedeutung zu geben scheint.
Als Sultan Erdogan daraufhin dem deutschen Botschafter vorwirft, dass die Türkei durch die Nennung seines Landes in einem Atemzug mit dem Ausdruck „bombensicher“ verunglimpft würde, scheint auch für die sonst so erfolgreich gegen jegliche Grenzen ankämpfende Kanzlerin eine Grenze überschritten zu sein. Sie entschuldigt sich nicht nur bei Sultan Erdogan, sondern zieht zugleich Prinz Poldi aus der Türkei ab und holt den Prinzen in das Land des Fussball-Kaisers Franz Beckenbauer zurück. Kritiker werfen Frau Merkel daraufhin vor, sich nach Öttinger, Koch und Wulff nur wieder eines Thronfolgers entledigen zu wollen – was bei einem Prinzen selbst von Angelas engsten Freunden nicht von der Hand zu weisen ist.
Als ein Schweizer Nationalspieler, dessen Eltern vom Balkan stammen, bei der Partie zwischen Albanien und der Schweiz „aus Sympathie für das Land der Väter“ deutlich sichtbar auf seinen Torjubel verzichtet, stellt der schwäbelnde Deutsch-Türke Cem Özdemir ernüchtert fest, dass „das Europa der Vaterländer“ immer noch nicht überwunden scheint. In Kreisen der Pegida ist man sich unterdessen noch nicht sicher, ob mit Gomez ein „Tomatenbomber aus Almeria“ wirklich in der Lage ist, auch „dauerhaft scharf zu schießen“. Eine gewisse Frau von Storch protestiert, dass mit dem „Bomber der Nation (ursprünglich Gerd Müller, heute Immigranten-Torjäger Gomez) uns Deutschen nun auch noch das letzte wirklich deutsche Denkmal genommen wird“ und gibt mit den Worten „das hier ist nicht mehr mein Land“ ihre Staatsbürgerschaft an Ahmed K. aus einer Berliner Parallelgesellschaft.
Als das Münchener Abendblatt dann aufdeckt, dass Gomez und Boateng gar „Nachbarn in einem Münchner Nobelvorort“ werden sollen, fühlt sich Innenminister Thomas de Maizière in seiner scharfen Analyse der „Gefahr von Parallelgesellschaften mit ausländischen Wurzeln“ bestätigt. Bild stellt unterdessen die Frage, ob ein „Franzose mit adeligem Hugenottenstammbaum“ wie de Maizière überhaupt aufspringen sollte, wenn El Torero wieder mal ein wichtiges Tor „für diese doch immer noch so große Nation“ schießt. Das Feuilleton der FAZ geht ununterbrochen der Frage nach, wie so ein kleines und unbedeutendes Ereignis wie die EM, „die schönste Nebensache der Welt“, die gesamte Menschheit so aufwühlen kann – dabei werden unverdrossen Parallelen zum Fall Böhmermann gezogen. Große Medienverlage wie die SZ – selbst Opfer der Digitalisierung – machen für „die großen Wellen, die die EM schlägt“ das Internet und den „zu schnellen Ausbau der Datenautobahn in Deutschland“ verantwortlich.
Als dem dann der deutschstämmige Finanz- und frühe Facebook-Investor Peter Thiel mit dem Satz „zu wenig Internet tötet Deutschland“ vehement zu widersprechen versucht, beendet Bundeskanzlerin Angela Merkel jegliche Diskussionen um die EM mit den Worten „es war ein Fest der Freude, des Friedens und der Solidarität, nun ist es aber an der Zeit einen Schlussstrich zu ziehen“. Jedoch scheint sie da die Rechnung ohne den Verband der „politisch korrekten Mahner“ (kurz STASI) gemacht zu haben, dessen Anführer Gregor G. die Vermutung aufstellt, dass sogar Judas schon dem Stamm der Germanen entstammt haben soll und die Verantwortung und Geschichte der Deutschen deshalb niemals einen Schlussstrich zulasse.
Viele AfD-Anhänger lassen sich unterdessen von der „Zensur und Lügen-Regierung“ nicht das Ende der Feier rund um den EM Titel vorschreiben und fordern gar eine zweite Siegessäule für das „siegreiche Deutschland“ – nicht in Berlin, sondern nun im Stade de France zu Paris. Die EU-Kommission heißt diese Forderung als „Geste der europäischen Verständigung“ gut und nimmt – da die europäische Kohäsion nun durch die EM wieder gefestigt sei – von ihrer kürzlich formulierten Forderung Abstand, Netflix und Amazon Prime einen Anteil von 25% europäischen Serien aufzuzwingen. Dies wiederum ruft Sarah Wagenknecht auf den Plan, die in der EM „nicht ein Fest des Friedens und der Freude, sondern eine „Kommerz-Heuschrecke zu Gunsten amerikanischer Großkonzerne und Lobbyisten“ sieht. Als dann aber Oskar Lafontaine mit einer Coca Cola in der Hand aus dem Pool des heimischen Schlösschens im Saarland auf ihrem Microsoft-Handy anruft und zu sich bittet, scheint die EM endgültig vorbei und alles wieder beim alten.
Ihr perfektes Ende in „einem modernen Europa“ findet die EM dann, als anstelle des zurückgetretenen UEFA-Präsidenten Michel Platini ein mit einem Kopftuch bedecktes Mädchen aus einem Pariser Banlieue den Pokal überreicht, und auf diese Weise ein „Zeichen gegen Islamophobie und ein bisschen auch gegen Terrorismus“ setzt und zugleich untermauert: „Frankreich ist vielfältig, Frankreich gehört allen“. Die von einem undercover Journalisten W. bei der Pokalübergabe zufällig aufgeschnappten Worte des Präsidenten des islamischen Dachverbandes in Deutschland gegenüber Frau Merkel „na siehst du Angela, nur die Deutschen Stürmer haben hier in Paris gebombt, nicht aber wir Islamisten“, bestätigen die Kanzlerin einmal mehr kopfnickend in der Richtigkeit ihres Tuns und lassen zugleich ein staunendes EM-Publikum zurück.
Sebastian Vogel Sebastian Vogel arbeitet momentan mit zwei Freunden an einem Start-up. Neben seinem generellen Interesse an Politik, Wirtschaft und Sport beschäftigt er sich mit den Themen Pluralismus, Liberalismus und Islamismus.