Der Stern-Journalist Hans-Ulrich Jörges ist ein echtes Phänomen. Der nun fast Siebzigjährige schafft es nach einer schon ein Vierteljahrhundert andauernden Dauertournee durch alle Talkshows des öffenlich-rechtlichen Fernsehens unfassbar lange Schachtelsätze aufzusagen: Sätze, die absolut nichts bedeuten wollen, oder genauer, die bedeutungschwanger klingen mögen, aber vor allem eines vermeiden, irgendeine Haltung oder Stringenz erkennen zu lassen. Jörges geht es vor allem um eines: Ein pompöses Wortorchester zu erzeugen, das aber letztlich bloß niemandem wehtun soll. Denn wenn eine Position erkennbar wäre, dann wäre damit ja schon die Bandbreite eingeschränkt zu jedem beliebigen Thema mit jeder beliebigen Haltung erneut irgendwo eingeladen zu werden. Ein genialer multieinsatzfähiger Talkshow-Darsteller also.
Der Wohlstandsdreitagebart von Jörges findet sich auch bei Reinhold Beckmann. Der ist bekannt als Moderator und Fußball-Kommentator und darf als der sympathischere Johannes B. Kerner gelten, aber beide auf der Skala noch im Minusbereich. Beckmann agiert bei Sandra Maischberger am Tresen ähnlich aufgeregt und bedeutungsschwanger wie der genannte Kollege schon ein paar Sendungen zuvor. Gefühlt lange war Beckmann nicht mehr im Fernsehen zu sehen. Zuletzt blieb in Erinnerung, was jetzt auch im Wikipedia in der Kopfzeile zu seinem Artikel steht: Beckmann als Sänger. In die Medien schafft er es mit dieser Berufung, in dem er sich quasi als eine Art Fotobomber auf prominente Geburtstagsfeiern schleicht, ein Ständchen trällert und nachher öffentlich verkündet, das sei ein Fehler gewesen.
Aber kommen wir gleich zu den beiden Gästen, die diesmal auf dem Drehstuhl im Einzelgespräch mit Maischberger Platz nehmen dürfen. Der eine fühlt sich da offensichtlich pudelwohl und der anderen wird es anschließend so gegangen sein wie Beckmann mit dem einen oder anderen Geburtstagsständchen: Anschließend bereut man ganz dolle, überhaupt zugesagt zu haben.
Aber gut, dass es ihm besser geht. Merz startet vor einem überdimensionalen Foto vom Brandenburger Tor. Maischberger beginnt zotig: „Tatsächlich waren wir mit Friedrich Merz schon im März verabredet …“ Kurz ein bewegender Beginn von Merz: Schon infiziert hatte er seine Eltern noch besucht, die, so erzählt Merz, bereits 92 und 96 Jahre alt sind, seine große Sorge war also, die Eltern angesteckt zu haben, „Gottseidank, sie sind beide negativ getestet.“
Und solche Tests durchführen zu lassen, muss man übrigens auch keinen Prominentenstatus haben. Nein, hier gib es keine Zweiklassenmedizin, wer nachgewiesenermaßen mit einem Corona-Fall in Kontakt war, wird automatisch getestet unabhängig von seiner Systemrelevanz.
Merz erzählt mit einem Grinsen, er hätte sich bei einem Kollegen von Maischberger angesteckt, dem er die Hand geschüttelt hätte. Seinem Gesundheitsamt hätte er nach positivem Ergebnis 81 Namen genannt, zu denen er Kontakt hatte. Aber von diesem 81 hatte sich keiner infiziert. Seine Frau hatte es ohne jedes Symptom, bei ihr wurden später Antikörper nachgewiesen.
„Das ganze Leben ist ein einziges Restrisiko“, weiß Merz, der auch die politische Resterampe kennengelernt und sich wieder hochgerobbt hatte. Wenn es danach ginge, dürfe man gar nicht mehr vor die Haustür. Und dass die Kinder so lange zu Hause bleiben müssen, prognostiziert der Christdemokrat, „wird Folgen haben, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.“
Maischberger spricht den Wirtschaftsfachmann in Merz an: „Können Sie heute abschätzen, wie tief die Rezession ist, in der wir stecken?“ Das Problem, so Merz, sei viel größer geworden, als „wir es alle voraussehen konnten.“ Ansonsten auch von ihm nichts wirklich Konkretes, Merz versucht erst gar nicht, zu suggerieren, er wäre im Besitz der Glaskugel: „vielleicht“ und „hoffentlich“.
Die Moderatorin will weiter wissen, ob Merz von einem genauen Plan wüsste, wo denn diese hunderte von Milliarden Euro hinfließen, die gerade in alle Richtungen ausgeschüttet werden (sollen). „Nein, Frau Maischberger, so einen Plan gibt es nicht, kann es auch zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht geben.“ Es gäbe allenfalls „Abschätzungen der Dimension des Problems“, die alle im Laufe der Zeit noch nachjustiert werden müssten. Aha.
Und dann dockt sich Merz doch noch nahtlos an grüne und linke Zukunftsfantasien einer ganz neuen Welt nach Corona an. Oder um es böser zu formulieren: Er wanzt sich an den grünen Koalitionspartner in spe heran, wenn er sagt: „Wir sind ja mitten in einem wirklichen Epochenwandel. Und zwar unabhängig von Corona. Corona verdichtet und beschleunigt jetzt alles noch einmal.“
Aber so richtig sattgrün ist das dann doch nicht, denn das ist ja auch der Sound der Wirtschaftseliten, der besagt, dass die Krise eben auch eine Gesundschrumpfung bietet, die all die gebrechlichen kleineren Unternehmen schneller killt, die sowieso bald verendet wären. „Wir sind zur Zeit wirklich Zeitzeugen eines ganz grundlegenden Wandels auf der Welt.“
Dabei vergisst Merz allerdings eines: Wir sind nicht nur Zeugen, wir sind auch Akteure. Und immer weniger wollen nur Zeugen sein, wollen nicht mehr Marionetten bleiben. Die viel gescholtenen sozialen Medien legen hierfür mit ihrer Fülle an Stimmen und auch an Wut eindrucksvoll Zeugnis ab.
Als er dann Beispiele geben soll, fällt ihm die Digitalisierung ein. Aber welchem Politiker fällt das nicht gleich als erstes ein, wenn wir mal den Grünen Robert Habeck weglassen, der sich gerade lieber um Wahlrecht für ganz Jungjährige kümmert.
Merz glaubt nicht, dass wir die Probleme des Landes lösen könnten, wenn jeder dreihundert Euro bekommt. Es ginge nicht nur um Konsum, sondern vor allem darum, Unternehmen zu sanieren. Bei Merz klingt das fast so, als fürchte er, dass das schnellere Sterben von sowieso schon auf der Intensivstation liegenden unternehmerischen Patienten durch diese Finanzspritze nur noch verzögert werden würde. Aber so direkt sagt er es nicht. Das Wichtigste wären Arbeitsplätze und das würden eben nur die größeren Unternehmen schaffen (weiß er nicht, dass die Masse der Arbeitsplätze in mittleren und kleinen Unternehmen sind?). Mit einer Kaufprämie allerdings könne man, so Merz in Richtung Autoindustrie, keine wettbewerbsfähigen Unternehmen schaffen.
Die Lifeliner hätten doch so eine tolle Idee mit dem Chartern von Linienflugzeugen, wie man Menschen in Not aus den Lagern auf Lesbos nach Deutschland ausfliegen könnte. Ja, es ist schlimm, wenn jede Silbe dieser Frau so schmerzlich jene Authentizität vermissen lässt, die soziales Engagement erst glaubwürdig macht. Ist sie obendrein noch so eine schlechte Schauspielerin? Aber Glaubwürdigkeit ist nun Mal im Charity-Geschäft unerlässlich. Nur dann ist es letztlich möglich, auch den Applaus für sich dafür mitzunehmen hinüber in den Beruf der Schauspielerei. Ansonsten muss der Schuster eben bei seinen Leisten bleiben, auch wenn die Aufträge zunehmend ausbleiben.
Wirklich, es gehört doch mindestens ein bisschen Beschäftigung mit dem Thema dazu, dem man sich aus Gründen verschrieben hat. Bei Riemann fließen an den Worthülsen nur ihre blonden Locken vorbei, die sie während des Gesprächs mit Maischberger unaufhörlich mit den Händen durchfurcht, als ginge es darum, dort Weisheit wie Schuppen herausschütteln zu können, aber da kommt nichts außer Plattitüden. „Verve“ nennt Maischberger dieses Nichts von Engagement höflich. Riemann weiß dafür, wer die Guten sind, vom Anwaltsverein bis zu ProAsyl und Mission Lifeline.
Ja, sie wollte nách Moria, ja, das hat nicht funktioniert und nun ist sie eben bei Maischberger und es ist fast ein Uhr morgens und wir lassen die Riemann jetzt mal alleine mit ihren Haaren und ihren wirren Vorstellungen von Politik aus den 1990er Jahren, damals, als sie noch in den späten Zwanzigern ihres Lebens als Doro Feldheim an der Seite von Til Schwieger die spleenige, manchmal liebenswerte Zicke spielen durfte und dann dauernd auf diese Rolle gebucht wurde – eben so lange, bis sie einmal zu sehr daran inhaliert hat oder was auch immer. Ein langer Satz und gute Nacht.