Das Sars CoV-2 Virus hält die Welt auch ein halbes Jahr nach Ausbruch weiter in Atem. Auch wörtlich zu nehmen. Und wird es noch lange tun. Der Schock der Horrorzahlen über seine rasche Ausbreitung über die gesamte Welt und über den nachfolgenden abrupten Einbruch der Weltwirtschaft sitzt tief. Erinnerungen an die Depression Ende der zwanziger Jahre und deren fatale Folgen werden wach.
Teil 1: Die Philosophie
Vieles Gewohnte und Geschätzte ist wegen des Coronavirus nicht mehr, wie es einmal war. Sicher, so wie es war mit der Philosophie des immer Mehr und des immer Schneller konnte es ja nicht ewig weiter gehen, denken viele. Aber einfach zurück können wir auch nicht. Wie sieht die Zukunft nach dieser Pandemie aber dann aus?
Die Frage nach dem Danach rückt immer drängender in den Fokus von Wirtschaft und Gesellschaft. Die Menschen wollen wissen, wie es weitergeht? Was wird sie nach der Krise erwarten? Wie werden Wirtschaft und Gesellschaft von Morgen aussehen? Was kommt auf die Industrie zu, wie wird sich die Arbeitswelt verändern?
Deutschlands renommiertester Zukunftsforscher Matthias Horx hat auf die drei elementarsten Fragen der Gegenwart nach der Zukunft sehr sybillinisch wie folgt geantwortet:
- Wann ist die Krise endlich überstanden? „Krisen sind immer irgendwann vorbei oder werden zur Normalität, aber sie verändern uns“.
- Wann ist endlich alles wieder wie früher? „Nie“
- Wie sieht die Zukunft nach dieser Pandemie aus? „Zukunft ist eine Entscheidung…. am Ende hängt es von jedem Einzelnen ab, wie die Zukunft aussieht… Wir sind verantwortlich für die Zukunft.“
Dieser Auffassung der Zukunftsforschung kann sich der Ökonom nahtlos anschließen. Die Geschichte lehrt, dass Krisen immer irgendwann zu Ende sind und dass dann nichts mehr ist wie früher, „…sie verändern uns…“ (Horx). Diese Veränderungsprozesse finden in uns selber statt. Und werden dann über unsere Entscheidungen als Aktionen kumulativ nach außen in die Wirtschaft und die Gesellschaft getragen. Und werden dann dort zur „Zukunft“ – aus heutiger Sicht.
Mit anderen Worten: Der Homo Oeconomicus als Einzelner und sein Sozialverband, die Gesellschaft, sind verantwortlich für die Zukunft. Auch für die Zukunft der Wirtschaft: Alle gestalten die Zukunft selber durch ihr Verhalten, nicht die Zukunft macht die Gesellschaft, umgekehrt ist die Kausalität! Fatalismus ist völlig fehl am Platz. Wir sind die Zukunft! Und wir lernen …
Dazu folgende Beispiele:
- Die Menschheitsgeschichte ist eine unablässige Abfolge von technischen wie kulturellen Innovationen, die alle ein Ziel hatten, das Leben der Menschen sicherer, länger und vor allem komfortabler zu machen. Die Entwicklungskurve zeigt seit Erfindung des Rads bis heute steil nach oben. Auf die Steinzeit folgte die Bronzezeit, danach kam die Eisenzeit, danach die Naturheilkunde, dann die Naturwissenschaften. Mikroelektronik, Kommunikationstechnologie usw.
- Mit Beginn der Industrialisierung und der Koppelung an die Philosophie eines unbegrenzten Wirtschaftswachstums hat sich die Evolution auf allen Wissenschafts-Gebieten beschleunigt. Vor allem technische Innovationen trieben die Entwicklung voran. Und alle erfolgten um einen steil nach oben gerichteten Wachstums- und Wohlstandstrend.
- In der Wirtschaft waren immer bahnbrechende technische Basis-Erfindungen Auslöser für Wachstumsschübe, so Dampfmaschine, Eisenbahn, Elektrizität, Chemie, Automobil und Petrochemie und Informationstechnologie.
- Auf die technologische Initialzündung folgten danach ca. 50 Jahre der allmählichen Durchsetzung und Anwendung der Neuerung in allen Lebens- und Anwendungsbereichen.
- Der russische Wissenschaftler Nikolai Kondratjew (früher: Kondratieff) konnte in den 1920ern die Existenz dieser Innovationszyklen bis zum Jahre 1790 zurückverfolgen, als das Zeitalter der Dampfmaschinen und der Textilproduktion begann.
- In Fortschreibung der Kondratjew-Zyklentheorie befinden sich Wirtschaft und Gesellschaft aktuell global im Anschluss an die Hochzeit der Informations- und Kommunikationstechnologie im ersten Drittel des sechsten Kondratjew-Zyklus, dem Zeitalter von Bio-Technologie und Gesundheit.
Was lernen wir daraus für unsere Fragestellung nach der Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft nach der Corona-Pandemie? Dazu gibt es gute wie schlechte Botschaften und Erkenntnisse.
Zunächst die gute Nachricht:
- Der Weltuntergang findet nicht statt, auch die Corona-Krise geht einmal zu Ende, so wie alle Krisen vorher, Pest, Cholera, Spanische Grippe, Sars, Mers, Ebola etc. Die Menschheit hat gelernt, damit umzugehen und die Coronavirus-Infektionskrise einzudämmen.
- Die totale Isolation und der Shutdown sind nicht zur Normalität geworden. Die totale Überwachung der Menschen via Chipimplantat o.Ä. findet nicht statt, selbst in China (noch) nicht. Der Schengen-Raum ist wieder offen, die Grenzkontrollen werden abgebaut, die Menschen können weltweit wieder frei ohne Visum und Quarantänepflicht reisen.
- Der Crash der kapitalistischen, demokratisch verfassten Weltordnung findet nicht statt. Corona hat die Weltwirtschaft aufgrund der Gegenmaßnahmen zwar ins Taumeln gebracht, aber der Zusammenbruch des freien Handels und Warenverkehrs blieb aus.
- Trotz anfänglicher Fokussierung auf nationale Interessen ist die internationale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht kollabiert. Die arbeitsteilige Weltwirtschaftsordnung blieb im Fundament unangetastet. Im Gegenteil: Die Zusammenarbeit wurde – mit wenigen Ausnahmen wie Brexit etc. – gestärkt. Jede Nation hat erkannt, dass in einer arbeitsteiligen globalen Welt jede einseitige Abschottung zur Isolation und Verarmung führt.
- Trotz vielfach fehlender eigener Erfahrungen aus Kriegs- und Notzeiten, haben die Menschen nicht verlernt, mit schwierigen äußeren Bedingungen umzugehen. Man kann es, wenn die Not dazu zwingt. Das man das hinbekommt, ist für die Gesellschaft und den Einzelnen eine äußerst positive Erfahrung.
Horx bringt das auf die griffige Formel: „Es ist nicht der Weltuntergang, mit dem wir gerechnet haben. Es ist nicht hacken, sondern backen. Überall ist die Hefe ausverkauft, weil sich alle entschieden haben, Brot backen zu lernen“ Und selbst die letzten Computer-Nerds haben es hingekriegt, wie unsere Eltern und Großeltern im Hungerwinter 1946/47.
Und nun die schlechten Nachrichten:
- Nichts bleibt nach Corona wie es war. So wie vor der Pandemie wird es nicht mehr sein, denn die Erfahrungen der Menschen aus der Krise und durch die Krise bleiben – die positiven wie negativen. Und die prägen das zukünftige Verhalten des homo oeconomicus als Unternehmer, Gewerkschafter, Konsument, Sparer, Investor, Politiker, Lehrer, Familienmensch etc.
- Der Mensch ist ein geselliges Wesen, er braucht seit Neandertalers Zeiten die Gruppe, früher zum physischen, heute zum wirtschaftlich-sozialen Überleben. Social Distancing greift fundamental in das Bedürfnis-Portfolio ein. Es kommt zwangsläufig zu Veränderungen und Anpassungen im täglichen Leben und bei eingeübten Gewohnheiten und Ritualen sowohl des Einzelnen wie der Gruppe.
- Das gilt auch für alle Prozessabläufe und bisherigen Strukturen in der Wirtschaft und in den Unternehmen wie in politischen Gremien (Parlament etc.) oder staatlichen Behörden (Schulen).
- Die kapitalistisch Wirtschafts- und Wachstumsphilosophie hat einen empfindlichen Schlag abbekommen:
- Zum einen zeigt sich, dass eine einseitig und ausschließlich betriebswirtschaftlich motivierte Handlungsweise mit dem Endziel der Maximierung des Outputs, sprich Umsatz und Absatz bei gleichzeitiger Minimierung des Inputs, sprich Kosten, physisch-naturwissenschaftliche Grenzen hat. Die Welt ist endlich, das Mengenwachstum auch. Nicht ohne Grund werden Autos schon ins Weltall geschossen.
- Zum anderen zeigt der Ausbruch des Coronavirus, dass die rein kapitalistische Produktionsweise ohne Rücksicht auf und Berücksichtigung von sozialen Kosten in der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung in die Human-Katastrophe führt.
- Führende Virologen machen für den Ausbruch der Corona Pandemie Zoonose verantwortlich, d.h. die Übertragung von Viren von Tieren auf Menschen. Mit ein Grund dafür mag die zunehmende Enge auf dem Globus durch das Wachstum der Weltbevölkerung sein. Wichtiger scheint jedoch die radikale wirtschaftliche Ausbeutung von Natur und Ressourcen durch den Menschen als Folge der kapitalistischen Produktionsweise und immer subtilerer Ausbeutungsmethoden.
- Um nicht missverstanden zu werden: Kapitalistische Produktionsweisen und Effizienzstreben haben erreicht, dass noch nie in der Menschheitsgeschichte so viele Menschen komfortabel so gesund und satt so alt wurden.
- Aber der Sendungsauftrag der Bibel lautete: Macht Euch die Erde untertan! Und nicht: Haut sie in die Tonne! Angesagt ist in Zukunft eine nachhaltige kapitalistische Wirtschafts- und Lebensweise!
- In der einfachen Sprache des Ökonomen ausgedrückt heißt nachhaltiges Wirtschafteten nichts anderes als Rückbesinnung auf Großmutters Lebensweisheiten, die da lauteten (kein Anspruch auf Vollständigkeit):
- Weniger ist Mehr
- Qualität vor Quantität
- Geld ist billig, das Leben ist teuer
- Von Gold kann man nichts abbeißen, von der Wurst schon
Fasst man gute und schlechte Botschaften zusammen, so bleibt als Ergebnis festzuhalten:
- Die Menschheit wird den Ausbruch der Corona Pandemie überleben! Auch wenn Covid-19 nicht mehr verschwindet, wird die Menschheit lernen, mit dem Virus zu leben.
- Solange es keinen Impfstoff oder ähnliches gibt, welcher die Menschheit in einen Zustand Ex-ante-Corona zurückversetzt, solange werden sich durch die Krise alle bisherigen Verhaltensweisen verändern, nichts bleibt wie es war.
- Es findet bei jedem Einzelnen wie in der Gesellschaft und im Zusammenleben der Staaten ein Bewußtseinswandel statt. Der Vermeidung und Minimierung von Ansteckungs- und Übertragungsrisiken haben sich alle Verhaltensweisen unterzuordnen.
- Es erfolgt eine umfassende Adaption nicht nur der persönlichen Handlungsweisen, sondern auch aller Vorgänge und Abläufe im wirtschaftlichen und kulturellen Leben national wie global.
- Auch wenn es einen Impfstoff – hoffentlich möglichst bald – geben wird, bleiben Narben in den gewohnten Entscheidungs- und Verhaltensmustern zurück. Das Wissen um zuvor nicht für möglich gehaltene Risiken für Leib und Leben und die unerwartete Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz hat sich tief im kollektiven Gedächtnis eingebrannt. Das zieht neue Verhaltensweisen nach sich. Die wiederum an anderer Stelle wieder neue Verhaltensweisen nah sich ziehen. Es kommt zu Adaptionsketten.
- Mit nachhaltigen Folgen für die Wirtschaft jeglicher Couleur.
Teil 2: Auswirkungen auf die Wirtschaft
Viele Experten gehen davon aus, dass die Corona-Krise Probleme im Wirtschaftssystem aufgezeigt hat, die es schon vorher gab. Viele Wirtschaftszweige, wie etwa die Autoindustrie, seien schon vorher in einer Krise gewesen. „Ich kenne keinen Wirtschaftsführer, keinen Manager, keinen CEO, der nicht auch sagt, eigentlich hat diese Krise im übertragenen Sinne von einem Druckkochtopf den Deckel weggenommen“ (Matthias Horx). Einfach mit unserem System so weitermachen wie bisher, könne man also nicht.
Dem ist voll beizupflichten. Auch wenn aktuell nichts wissenschaftlich bewiesen ist, sprechen doch Verstand, langjährige Erfahrungen in der Wirtschaft und Bauchgefühl für die Richtigkeit dieser These. Große strukturelle Veränderungen im Wirtschaftsgeschehen sind angesagt.
Aus ökonomischer Sicht ergeben sich drei große Einwirkungsfaktoren der Corona-Krise:
- Veränderungen unmittelbar eingeleitet durch die betroffenen Akteure selber: Unternehmen/Investoren, Konsumenten/Arbeitnehmer, Außenhandel, Staat etc. Als Folge von Bewußtseinswandel und Anpasssungsreaktion.
- Anpassungsreaktionen bei den o.a. Akteuren, die als Sekundäreffekte von außen induziert werden., z.B. Kaufkrafteinbußen wegen Steuererhöhungen, Absatzeinbruch durch Rückgang der Exportnachfrage.
- Bewußtseinswandel der Gesellschaft als Ganzes
Der Einfachheit halber werden die ökonomischen Folgen der Krise hier zunächst anhand der Auswirkungen auf die Nachfrageseite, danach auf der Angebotsseite aufgeführt
Neues Konsumverhalten beim Verbraucher: Lernen mit weniger gut zu leben.
- Das Kaufverhalten der Konsumenten wird sich ändern: Die Konsumausgaben werden generell als Folge von Kaufkrafteinbußen unter Druck geraten und sogar sinken (Rückgang der Lohneinkommen, infolge sinkender Beschäftigungszeiten, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit, höhere Aufwendungen für Gesundheit und Versicherungsschutz, höhere staatliche Zwangsabgaben, allgemeine Verteuerung der Lebenshaltung als Folge steigender Produktions- und Dienstleistungskosten der Produzenten)
- Nicht im Widerspruch dazu steht die Auffassung, dass es kurzfristig nach der Lockerung des Social Distancing ein Konsumnachholbedürfnis geben wird. Mittel- und längerfristig überwiegen aber bei vielen auch Bewusstseinswandel und Nachdenklichkeit. Viele Verbraucher werden durch die Krise angeregt, ihr bisheriges Konsumverhalten zu überdenken.
- Die durch Corona erzwungene Wiederentdeckung der „häuslichen Gemütlichkeit“ im infektionssicherem Raum und der Entschleunigung aller Lebensprozesse wirkt auf das Konsumverhalten zurück. Konsumausgaben für Home cooking und Home working nehmen überproportional zu.
- Große Veränderungen wird es im Handel und bei den Vertriebswegen geben. Der Online-Handel, der sich im Lockdown bewährt hat, erlebt einen gewaltigen Schub. Der gewohnte Wochenend-Einkaufsbummel in den Innenstädten leidet unter den fortdauernden Restriktionen der Gastronomie: Kneipen, Cafés, Restaurants etc. sind nur unter strengen und eher freudlosen Umständen zu besuchen.
- Die Struktur der Konsumausgaben wird sich deutlich in Richtung Ökologie und Nachhaltigkeit verändern. Umweltfreundliche Transportwege, Regionalität der Produkte, Vermeidung von Reisen und Veranstaltungen mit hohen Infektionsrisiken (Kreuzfahrten) bestimmen stärker als vor Corona das Ausgabeverhalten.
Zusammengefasst kann man sagen: Corona hat die Menschen dazu gebracht, dass sie versuchen, mit weniger Gütern gut zu leben.
Industrie unter Dauerdruck: Schwindendes Wachstum, steigende Produktionskosten.
Die Wirtschaft steht infolge der Corona-Krise vor den gewaltigsten strukturellen Anpassungen seit Beginn der Industrialisierung. Die Herausforderung der Umstrukturierung ist umfassend. Sie betreffen sowohl das, was sie produziert, als auch wie sie es produziert.
- Die Verlagerung persönlicher, physischer Kontakte in die virtuelle Welt als Folge von Corona lässt einen großen Digitalisierungsschub in der Wirtschaft erwarten. Das betrifft sowohl Digitalisierungsprozesse in der Leistungserstellung als auch in der Arbeitsorganisation. Produktionsprozesse, Vertriebswege (Online-Versand, elektronische Bezahlvorgänge) und die Kommunikation mit Lieferanten, Kunden und Mitarbeitern, sogar mit Aktionären (virtuelle Hauptversammlung) werden sich verändern.
- Ein neuer Schwerpunkt ist Datensicherheit und Robustheit der digitalen Systeme.
- Weniger Effizienz, mehr Robustheit: Die Unternehmen streben nicht mehr ausschließlich nach maximaler Effizienz, sondern auch nach mehr Robustheit aller Prozesse. Zum einen heißt das, es wird weniger „auf Kante genäht“. Zum anderen folgt daraus eine Reorganisation von Lieferketten, stärkere Diversifizierung, zum Teil auch Re-Nationalisierung von Produktionsstandorten. Die Corona Pandemie hat die Bedeutung sicherer und funktionierender globaler Lieferketten erheblich verstärkt. Es gilt, Sicherheit und Kostenvorteile internationaler Lieferketten abzuwägen. Die Unternehmen werden nach der Krise genau prüfen, ob und wie sie diese Ketten neu organisieren. Dies eröffnet regionalen und europäischen Arbeitsmärkten neue Perspektiven (UK ausgenommen). Die Qualitäts- und Versorgungssicherheit gewinnt einen höheren Stellenwert gegenüber Wertschöpfungsketten mit geringeren Kosten.
- Kostenvorteile bei den Unternehmen (abnehmender Büroflächenbedarf; Reduzierung der Dienstwagenbedarfe) sowie Kosten- , Flexibilitäts- und Komfortvorteile für die Arbeitnehmer (Zeit-, Dressing- und Transportkostenersparnisse; Selbstbestimmung und Selbstorganisation) lassen eine dauerhafte Zunahme von Home-Office-Tätigkeiten erwarten. Neue Arbeitszeitmodelle mit höherer Flexibilität in Bezug auf Arbeitstage und Zeitbudgets sind zu erwarten. Die auf breiter gesellschaftlicher Front eingeübten Möglichkeiten von Video-Konferenzen beschleunigen diesen Prozess.
- Mobilitätsbedarfe in der Wirtschaft nehmen im allgemeinen ab. Alle nicht direkt wertschöpfenden Dienstleistungen innerhalb des Unternehmens (Stabsarbeit, Repräsentanz-Büros, Verbandsmitgliedschaften, Kongressbeteiligung u.ä.) oder von außerhalb (Beratungstätigkeit, Leasing, Sponsoring o.ä.) werden einer scharfen Kosten-Nutzen-Prüfung unterzogen. Und in der Regel abgebaut oder reduziert.
- Auch wenn nach dem Einbruch die Weltwirtschaft wieder wächst, gerät die bisherige Philosophie eines ungebremsten Wachstums doch mehr und mehr in Zweifel. Mancherorts zeigt sich bereits Stagnation, einige Branchen schrumpfen sogar. Unternehmen in solchen Segmenten müssen neue Geschäftsmodelle entwickeln, um unabhängiger vom bisherigen reinen Mengen- und Profit-Wachstum zu werden.
- Angestoßen durch Corona stellt sich zwangsläufig die Frage nach Sinn und Zweck des Wirtschaftens: Immer mehr Profit für den Shareholder durch „weiter, höher, schneller“, ohne Rücksicht auf soziale Kosten und ökologische Interessen der Gesellschaft? Oder Wirtschaften mit Profit aber unter stärkerer Berücksichtigung auch von Stakeholder-Interessen anderer gesellschaftlicher Gruppen (Mitarbeiter, Lieferanten, Kunden etc.)?
Makroökonomische Aspekte: stärkere Rolle für den Staat
- Die Corona-Krise hat nachhaltig die zentrale Rolle des Staates zur Stabilisierung der Volkwirtschaft und zur Rettung systemrelevanter Unternehmen (Lufthansa) vor einer unverschuldeten Insolvenz gestärkt. Ohne einen starken und durchsetzungsfähigen Staat und ohne kompetentes Personal an dessen Spitze geht es in einer komplexen globalisierten Welt nicht. Befürworter eines zunehmenden Liberalisierungsprozesses sollten eines Besseren belehrt worden sein.
- Staat greift insgesamt stärker in wirtschaftliche Abläufe ein. Der Anteil des Staates an der Wirtschaftsleistung steigt als Folge der Definition strategischer Felder, in denen (weitgehend) nationale Autonomie angestrebt wird (im Gesundheitswesen; Produktion bestimmter Arzneimittel, Atemgeräte etc.), mit der Folge verstärkter staatlicher Interventionen und Investitionen in bestimmten Bereichen.
- Künftig zu erwarten: stärkere Beteiligung des Staates an systemrelevanten Unternehmen in Notlage (Lufthansa).
- Der Staat wird künftig noch mehr als bisher in die Rolle eines Impulsgebers für die Wirtschaft zur Standortsicherung gedrängt. Die hohen Ausgaben zur Sicherung und zur Wiederankurbelung der Wirtschaft sollten verstärkt in Richtung Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit des Standortes wie des Produktportfolios der deutschen Wirtschaft genutzt werden. Hohe Priorität kommen dabei Investitionen in die Zukunftsfähigkeit einer klimafreundlichen „grünen“ und nachhaltigen Mobilität in der Automobilindustrie zu.
- Als Folge der gigantischen staatlichen Stabilisierung- und Ankurbelungsmaßnahmen erhöht sich die Staatsverschuldung dauerhaft. Folge nach der Krise: Durchforstung aller staatlicher Ausgaben- und Subventionsprogramme, Steuer- und Abgabenerhöhungen zulasten der privaten Einkommen und Kaufkraft.
- Gratwanderung in der Geldpolitik zwischen Verhinderung von Staats-Insolvenz und Vermeidung einer höheren Inflation. In der Krise selbst dominieren deflatorische Prozesse (Nachfrageeinbruch), nach der Krise eher inflatorische Prozesse (stärkere Staatsaktivität einschließlich der höheren Verschuldung und der Bazooka-Liquiditätsschwemme; höhere Produktions- und Risikovermeidungskosten der Unternehmen).
Gesellschaftlicher Bewusstseinswandel.
Unbelehrbare, die meinen, alles müsse beim Alten bleiben, hat es zu allen Zeiten gegeben. Als Folge von Corona hat sich jedoch auch in den Köpfen und im Verhalten der Hartgesottenen vieles geändert. Fußball trotz leerer Stadien mag da als profanes Beispiel dienen.
Der Schock des abrupten Anpassungszwangs zieht nicht nur in Deutschland und anderswo große Wachstums-, Beschäftigungs- und Wohlstandseinbußen und kulturelle Verarmung nach sich. Er bietet auch gesellschaftliche Chancen.
- Die Welt sieht sich plötzlich gesamthaft einer gemeinsamen Bedrohung ausgesetzt. Der böse Alien aus den SciFi-Filmen heißt hier Sars CoV-2.Und die Welt rückt über alle Streitigkeiten hinweg zusammen, weil ein Land allein die Krise nicht bekämpfen kann. Europa ist ein Musterbeispiel dafür. Ebenso der internationale Forschungsverbund von über 120 Programmen zur Impfstoffentwicklung.
- Die Welt hat gelernt, an einem Strang zu ziehen und geht gestärkt aus der Krise hervor; sie war flexibel und hat bewiesen, binnen kurzem Mechanismen zu erfolgreichen Abwehr externer Gefahren und zur Krisenbewältigung zu entwickeln. Das hebt das Selbstbewusstsein! In Bayern würde man sagen: Mia san mia!
- Das gemeinsame Überstehen der Krise bietet bessere Voraussetzungen für einen künftig neuen, achtsamen Umgang miteinander. Wenn die Führer dieser Welt guten Willens sind… Aber zumindest hat Corona eine gute Basis dafür geschaffen.
- So könnten die Probleme des Global Warming, deren Lösung durch strenge Maßnahmen zur Emissionseindämmung vor der Corona-Krise stets mit dem Zusammenbruch der Wirtschaft gleichgesetzt wurden, jetzt beherzt angegangen werden. Die Wirtschaft ist als Folge des Corona-Lockdown eingebrochen und wird vom Staat mit Billionen-Beträgen gestützt wird. Zusätzliche Belastungen durch Klimaschutzmaßnahmen scheinen vor diesem Hintergrund eher verkraftbar. Sollte die große Krise durch die Erderwärmung tatsächlich eintreten, wären die Folgen des jetzigen Lockdown wohl eher als frische Brise und nicht als Wirbelsturm zu bewerten.
Voraussetzung für all dies ist allerdings, dass der hier unterstellte Bewusstseinswandel tatsächlich in der vorgezeigten Richtung stattfindet.