Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 21-2020

Der Tabubruch: Merkel delegiert nationale Budgetrechte an die EU

Die wiederbelebte deutsch-französische Achse, als „Corona-Solidaritätsakt“ gefeiert, bricht mit dem letzten Tabu: Die EU darf sich künftig verschulden.

Kaum zwei Wochen, nachdem das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung zu den EZB-Anleihekäufen ein Stoppsignal in Richtung EuGH gesandt hat, der immer ungenierter Freibriefe für die Selbstermächtigung der europäischen Institutionen erteilt, haben die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Präsident gemeinsam eine Corona-Solidaritätsaktion über 500 Milliarden Euro verabredet, die nichts anderes als den Bruch mit dem rechtlich kodifizierten Verschuldungsverbot der EU bedeutet. Bisher spielte die EZB mit ihrer ultralockeren Geldpolitik, mit Nullzinsen und gigantischen Anleihekäufen, den Retter der letzten Instanz, um die Hochschuldnerländer im „Club Med“ der EU über Wasser zu halten. Diesen Umgehungstatbestand hält der EuGH für legitim, obwohl er alle Merkmale einer der EZB vertraglich verbotenen Monetarisierung von Staatsschulden aufweist. Selbst das BVerfG sieht noch keinen Anlass, dieses Verdikt auszusprechen und folgt an diesem Punkt – mit Einschränkungen zwar – dem höchsten europäischen Gericht.

Künftig soll also die EU-Kommission für den Haushalt der EU Kredite aufnehmen können. Wegen des Triple A-Ratings der EU, die sie vor allem der erstklassigen Bonität der Nordländer, allen voran Deutschlands, verdankt, werden die Zinsen für diese EU-Anleihen niedrig sein. Nichts anderes war immer das Ziel der Schuldnerländer, durch gemeinsame Euro-Bonds dauerhaft in den Genuss niedrigerer Zinsen zu kommen, weil sie sich die Risikoaufschläge auf ihre eigenen Staatspapiere damit ersparen können. Angesichts der brutalen Folgen der Corona-Pandemie in Italien und Spanien ist zwar Hilfe durchaus geboten. Aber wie diese Hilfe jetzt organisiert werden soll, wenn es nach Merkel und Macron geht, ist schon fast infam. Denn die Mittel sollen, als EU-Projekte aus dem EU-Haushalt vermarktet, in die Corona-Krisenländer fließen – als verlorene Zuschüsse. Wer das Finanzgebaren und die löchrigen Kontrollmechanismen der europäischen Haushaltspolitik kennt, wird diese Konstruktion als Einladung zum Missbrauch und als nichts anderes als die indirekte Haushaltsfinanzierung des Hochschuldnerlandes Italien einstufen. Refinanziert werden soll die deutsch-französische Konstruktion über eine längere Zeitachse durch Zuführungen aus den nationalen Budgets an den europäischen Haushalt.

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Der deutsche Haushaltsgesetzgeber, der Bundestag, wird also künftig für die – bisher aus guten Gründen verbotene – EU-Kreditaufnahme jährlich höhere Zuführungen nach Brüssel bewilligen müssen, damit vor allem südeuropäische Mitgliedstaaten dreistellige Milliarden-Transfers erhalten können. Nimmt man den heutigen Finanzierungsanteil Deutschlands am EU-Haushalt zum Maßstab, dann wird die Bundesrepublik mehr als ein Fünftel des 500 Milliarden-Pakets schultern müssen. Da infolge des Austritts Großbritanniens aus der EU der deutsche Finanzierungsanteil ohnehin steigt, wird sich die Summe unter Garantie erhöhen. Aus der Corona-Krisenhilfe, wie sie Merkel und Macron konzipiert haben, wird damit ein dauerhafter zusätzlicher Transfermechanismus von Nord- nach Südeuropa geschaffen. Was sich bisher vorwiegend in den Target-Salden der EZB niederschlug, der permanente Vermögenstransfer in den „Club Med“, wird jetzt um einen zusätzlichen und mit größter Wahrscheinlichkeit dauerhaften Transferpfad erweitert. Alle angeblichen Krisenausnahmetatbestände, die auf europäischer Ebene im vergangenen Jahrzehnt geschaffen wurden, sind zu Dauerläufern geworden. Das gilt für die expansive Geldpolitik der EZB, aber auch für die permanente Missachtung des Fiskalpakts. In Europa wird die Ausnahme zur Regel, der Rechtsbruch zur lässlichen Sünde.

Wenn es um Europa geht, dann setzt auch bei einer Reihe von Kommentatoren der Verstand aus. Als Heribert Prantl, ein wortgewaltiger und von mir durchaus geschätzter Journalist der Süddeutschen Zeitung, die Karlsruher Verfassungsrichter als „Staatsgefährder“ einstufte, weil sie den seiner Meinung nach existierenden EU-Staat mit ihrem aktuellen Urteil gefährden, begann ich an der juristischen Kompetenz des ehemaligen Richters zu zweifeln. Wenn der Spiegel dem BVerfG ein „Attentat auf Europa“ vorwirft, dann hat die Redaktion offensichtlich nicht begriffen, dass der eigentliche Souverän in Europa noch immer die Bürgerinnen und Bürger der 27 Mitgliedstaaten sind, die ihre nationalen Parlamente in geheimer und gleicher Wahl wählen, was für das Europa-Parlament mitnichten gilt. Alle Macht, die Brüssel hat, ist durch Entscheidungen der Nationalstaaten delegiert. Das wollen zwar in Brüssel viele nicht mehr akzeptieren, die sich – flankiert vom EuGH – zunehmend eine Kompetenz-Kompetenz anmaßen. 

Diesen gefährlichen Weg befeuern in der Finanz- und Haushaltspolitik Angela Merkel und Emmanuel Macron mit ihrem aktuellen Vorstoß, den das kritiklose deutsche Medien-Juste Milieu begeistert feiert. Dass deutsche Europapolitiker in diesen kritiklosen europhilen Chor einstimmen, ist kein Wunder. Aber dass der sozialdemokratische Bundesfinanzminister und die Grüne und Linke Bundestagsopposition dieser Preisgabe der deutschen Budgethoheit applaudieren, macht nur noch fassungslos. Auch die Haushaltspolitiker der Union verhalten sich bereits so, dass der Kanzlerin aus ihren Reihen kaum Widerstand droht. Als Bundesbürger muss man jetzt inständig darauf hoffen, dass dieses Berlin-/Paris-Paket am Widerstand der Niederlande,  Österreichs, Schwedens und Dänemarks scheitert. Das erforderliche Einstimmigkeitsprinzip für diese weitreichende Weichenstellung gibt dem einzelnen Mitgliedstaat eine „teure“ Vetomacht. Ob es den Opponenten aus den genannten vier Ländern unter Federführung des österreichischen Kanzlers ums Grundsätzliche geht oder doch nur darum, sich ein Veto mit zusätzlichen Milliarden aus dem EU-Topf abkaufen zu lassen, wird schon die nahe Zukunft zeigen. Käuflich zeigten sich schon viele EU-Staaten, solange Deutschland als Finanzier bereitstand.

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