Als der Schwarze Tod von 1346 bis 1353 in Europa herrschte, starben über 25 Millionen Menschen. Mit der Pest entflammte auch der Hass gegen die Juden, deren unschuldiges Blut von Fanatikern aus Rache vergossen wurde. Juden hätten die Brunnen vergiftet, um die Pest zu verbreiten. Die Pest sei ein jüdischer Komplott, um die christlichen Gemeinden zu dezimieren. Die unbegründeten Beschuldigungen gegen Juden, die selbst auch in großen Zahlen den entsetzlichen Pesttod starben, waren zahlreich und weit verbreitet. Hunderte jüdische Gemeinden wurden vollständig vernichtet. Diese antijüdischen Verschwörungstheorien haben den Schwarzen Tod – im angesichts des Coronavirus flammen sie nun wieder neu auf.
Antisemitische Beiträge in sozialen Netzen nehmen zu
Ein interner Bericht des israelischen Außenministeriums warnt ausdrücklich vor der drastisch steigenden Zahl von antisemitischen Beiträgen in den sozialen Medien, in denen Israel und Juden für die Verbreitung des Virus verantwortlich gemacht werden. Besonders weite Verbreitung solcher antisemitischen Verschwörungstheorien lassen sich momentan in den USA, Frankreich, Deutschland, dem Iran und der Türkei beobachten. „Seit Mitte Januar häufen sich auf unseren Schreibtischen historische, antisemitische Aussagen im Zusammenhang mit Viren und Krankheiten“, erklärt Oren Segal von der Anti-Defamation League, die sich gegen die Diskriminierung und Diffamierung von Juden eintritt. „Diese Denkmuster aus dem Mittelalter werden im Zusammenhang mit dem Coronavirus wiederbelebt und verdichtet in der Aussage: ,Die Juden verbreiten den Virus, sie sind für dessen Entstehung verantwortlich und sie tun dies, um davon finanziell zu profitieren‘.“
Und der jordanische Journalist As’d al-Azouni schrieb im vergangenen Monat, dass „dieser Virus zweifellos eine Folge des heimlichen jüdischen Hasses auf die ganze Welt ist“. Juden hätten den Ausbruch des Ersten Weltkriegs „verursacht“ und dadurch zur Balfour-Deklaration beigetragen, in der Großbritannien seine Zustimmung zu den zionistischen Bemühungen um die Errichtung einer nationalen Heimstätte des jüdischen Volkes erteilte. Ebenso sollen sie den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs „verursacht“ haben, um darauffolgend ihre „Kolonie in Palästina“ zu erhalten. Und „jetzt wollen sie den Ausbruch des Dritten Weltkriegs verursachen, damit sie die Gründung des Königreichs Groß-Israel deklarieren können“.
Warnleuchte für zunehmende religiöse Intoleranz
Die Autoren dieser Erklärung definieren Antisemitismus als „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann“. Es heißt dort weiter: „Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“ In derselben Videokonferenz warnte Malcom Hoenlein von der Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations zudem vor dem Antisemitismus nach der Pandemie: „Die Monate der Isolation und die bevorstehenden Herausforderungen, wie zum Beispiel sozioökonomischer Art, sind ein fruchtbarer Boden für Antisemitismus. in genau solchen Situationen gedeiht er..“
Und zugleich ist der aufflammende Antisemitismus immer eine Warnleuchte für zunehmende religiöse Intoleranz. In der vergangenen Woche hat Ahmed Shaheed ausdrücklich auf zunehmende Tendenz hingewiesen, dass Minderheiten in vielen Ländern, seien es Christen, Juden, Muslime, Migranten oder Asylsuchende – für die Verbreitung des Coronavirus verantwortlich gemacht werden. Und er betonte die Pflicht der Staaten, jede Anstiftung zu Hass oder Gewalt aufgrund religiöser oder ethnischer Identität auch im Angesicht der Pandemie einzudämmen.
Dieser Beitrag von Till Magnus Steiner erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur, der wir für die freundliche Genehmigung zur Übernahme danken.