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Cantate Domino

Operation Messe! Vorbereitung auf den Corona-Kirchgang

Die Glocken läuten zur Sonntagsmesse. Aber was erwartet da die Gläubigen? Über den religiösen Lockdown, einen staatsgläubigen Papst und die erste Messe seit Wochen.

© Getty Images

Sie nehmen es genau mit den Seuchenverordnungen in dieser kleinen modernen Kirche in einem Wohnviertel in dieser Kleinstadt an der Ostseeküste. Die Sakristanin empfängt an der Tür und bittet den Gottesdienstbesucher, sich mit Namen und Anschrift in eine Liste einzutragen, „wegen der Verfolgung im Falle eines Neuausbruches der Infektionen.“ Anschließend werden die Hände desinfiziert. Operation Messe. Seit Papst Franziskus für die Weltkirche entschieden hat, dass Gottesdienste und damit der Empfang der Sakramente ausgesetzt sind, ist dies die erste Messe nach dem Lockdown. Ich spüre, wie sehr ich sie vermisst habe. Es ist auch die erste Möglichkeit zur Beichte.

Als Katholiken binden wir unsere Hoffnung an jenes Versprechen, das Jesus nach Johannes 6,54 gibt: „Wer mein Fleisch ist und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde ihn aufwecken am letzten Tag.“  Nun gut, überzeugt sind die einen mehr, die anderen weniger, aber sicher ist sicher denken sich die meisten, und so sind regelmäßige Beichten und der sonntägliche Empfang der Kommunion unsere verdammte heilige Pflicht.

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Weit mehr als bei den Protestanten, die den Glauben in einen abstrakt-gedanklichen Raum ausgelagert haben, zählt bei Katholiken die von vielen als Äußerlichkeit belächelte Praxis, das heilige Ritual, die fromme Übung. Wenn die Spötter wüssten, wie falsch sie gewickelt sind. Und wie sehr die Praxis selber das Innere verwandelt, wie sie gleichsam die Poren der Seele öffnet für Andacht und die Zwiesprache mit dem Schöpfer und ein übervolles Herz, das sich ausschütten möchte. Und die beste Vorbereitung ist die Beichte, die der Priester abnimmt und der – als Gottes Stellvertreter – die Sünden vergeben kann.

In meinem Falle ist es ein Priester aus Indien. Der Messdiener ist ein Junge aus Uganda – schön, dass die einst von Europa Missionierten aus der dritten Welt nun denen der ersten Welt dabei helfen, ihren Glauben zu leben. Anders gesagt: Dass sie die mittlerweile seelisch und religiös erschlafften Deutschen nun ihrerseits missionieren können.

Als erster habe ich den weitgehend schmucklosen, weißgestrichenen Innenraum betreten und wurde geleitet von Frauen mit Mundschutz auf einen Platz in der ersten Bank, der mit einem Kreuz gekennzeichnet war, „Einzelplatz“ stand auf einem in Folie geschweißten Zettel, in den Bänken hinter mir gab es „Doppelplätze“.

Immer mehr Helfer mit Mundschutz trudeln ein. Und als die Messe beginnt in diesem weiß gestrichenen Raum, ähneln die acht Frauen und Männer, die den Priester umgeben, einem Team von Assistenzärzten und Schwestern mit ihrem Chefarzt in einem OP-Saal. Soll der bereits Ostern Auferstandene noch einmal, fünf Sonntage später, wiederbelebt werden, nur um sicher zu gehen?

Doch plötzlich ist dieses Bild stimmig und überzeugend, denn tatsächlich ist der Glaube in unseren Breiten durch sogenannte Reformen sterilisiert, die Altarräume sind antiseptisch und minimalistisch leergeräumt, hier sieht der Tabernakel aus wie ein rätselhafter Safe, der von fünf als stilisierte Nägel entzifferbaren Knöpfen über einer quadratischen Säule aus roten Ziegeln mit Ablage angebracht ist.

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Die Liturgie ist von einstigen, mittlerweile über 80jährigen Avantgardisten erdacht und in ihrer „Zeitgemäßheit“ seit dem zweiten Vatikanum erstarrt. Mit Fürbitten, die aus Themen der Tagesschau  geschustert, tatsächlich wie dort mit Blick ins Publikum abgelesen und samt ihrem „Framing“ übernommen werden: „Dass der Hass in unserer Gesellschaft nicht überhandnehme, gerade in unseren Zeiten der Krise und der irreführenden Verschwörungstheorien, wir bitten Dich, erhöre uns“, ja, das alles ist durchschossen von falschen Anbiedereien und grässlichen Liedern, die in atemlosen Marschrhythmen („… sei unsere Quelle, schrumm schrumm…“) gesungen werden.

Jede Messe ein Wiederbelebungsversuch auf der Intensiv-Station. Der Gekreuzigte klebt als hohe Bronzeskulptur an der weißen Rückwand, er hängt dort ohne Kreuz und schwebt also wie im luftleeren Raum, ist in dieser Distanziertheit schwer zu fassen und wirkt so verloren, als fühle auch er sich an das Gebot des „Social Distancing“ gebunden und sei in seiner Einsamkeit in diesem Kühlhaus erfroren. Die Assistenzärzte hinterm Altar greifen allerdings nicht zum Defibrillator, sondern zu einem Stück Papier, auf dem das „Gloria“ steht, dass von ihnen, gemeinsam mit der Gemeinde, die selbstverständlich mit Mundschutz ausgerüstet ist, nun wie eine Erinnerung und wie eine Beschwörung zugleich gesprochen wird: „… wir loben dich / wir preisen dich / wir beten dich an …“

Mir bleibt es ein Rätsel, warum Papst Franziskus, der doch nicht im Kabinett von Premier Conte sitzt, sondern Souverän eines eigenen Staates ist, und weit darüber hinaus Oberhaupt von 1,3 Milliarden Gläubigen der Weltkirche, das „Social Distancing“ nicht nur befolgt, sondern dasselbe theatralisch zelebriert, wenn er allein geht in den abgesperrten Straßen Roms in einer einsamen Karfreitags-Prozession und die Auferstehung einsam in einer verschlossenen Petersbasilika feiert und einsam im Regen predigt auf dem Platz vor dem Dom.

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Hätte er nicht mit seinen hochqualifizierten Beratern einen Weg finden können, dem bedürftigen Gottesvolk die  Kommunion zuteilwerden zu lassen, und zu verhindern, dass die einsam Sterbenden in ihrer letzten Stunde ohne geistliche Tröstung und  Sterbesakramente bleiben? Hat denn nicht der Hl. Franziskus ganz besonders die Kranken an sein Herz gedrückt, ja, die ausgestoßenen Leprakranken innig geküsst? Man muss nicht so weit gehen wie die Schweizer Weltwoche und ihn als Mann ohne Glauben beschimpfen, aber sicher hat der Philosoph Agamben recht, wenn er schreibt, dass das „Leben des Heiligen von Assisi das Gegenteil von Social Distancing war“. Und dass die „Martyrien die Bereitschaft lehren, eher das Leben als den Glauben zu opfern.“

Die Nächsten in unserer kleinen Kirche an der Küste übrigens standen nicht in Gefahr, sich anzustecken – es waren so wenige erschienen, dass die Distanzen leicht einzuhalten waren. Ich hatte auf meinem Außenplatz in der ersten Reihe vor einer Seitenwand eine Ikone der Gottesmutter mit Kind vor Augen, vor der ein Topf mit hellblauen Hortensien stand und eine Kerze brannte. Die Ikone, so informierte ein Zettel, stammte aus dem russischen Kloster der Hl. Maria Magdalena zu Gethsemani und war dort am 5. Sonntag nach Ostern 1984, also vor genau 16 Jahren, in der Paulus-Kapelle geweiht worden. In diesem Winkel, an diesem Sonntag im Marienmonat Mai, dem Muttertag, fand ich dann doch so etwas wie Nähe und Wärme, und ich konnte mich, im Gebet und in der Erinnerung, erneut meiner Mutter nahe fühlen und mich dem Schutz der Gottesmutter anvertrauen.

Übrigens hat sich das Institut St. Philipp Neri in Berlin, in dem die Messe nach dem alten Ritus zelebriert wird, nicht nehmen lassen, die Messen der heiligen Woche zu zelebrieren, für die Hausgemeinschaft. Eine Ostermesse war tatsächlich vom Vatikan untersagt. Da kann man doch nur noch Obelix zitieren: die spinnen, die Römer.

Matthias Matussek


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