Talk in Hangar-7 gilt ja vielen deutschsprachigen Zuschauern längst als Geheimtipp, als anständige Alternative zu den Big-4 der deutschen öffentlich-rechtlichen Talkshows. Die Diskussionssendung aus Salzburg kommt quasi aus der Mitte einer exklusiven Flugzeugsammlung des Red-Bull-Unternehmers Dietrich Mateschitz. Talk in Hangar-7 hat sich einen Namen gemacht vor allem durch eine – nennen wir es mal – ergebnisoffene Gästeliste.
Natürlich geht es auch hier um das Dauerthema Corona und um die Frage nach einer neuen Normalität und den Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Eingeladen sind neben Roland Tichy der Mediziner und Journalist Werner Bartens, die Attac-Aktivistin Lisa Mittendrein und der Schauspieler Tobias Moretti. Gesendet wird auf Servus TV. Michael Fleischhacker moderiert.
„Wenn die Gesellschaft diesen Schuss vor den Bug – von wem der immer kommt – nicht versteht, dann reden wir von einer Endzeitgesellschaft“, so gleich aus vollem Rohr der Schauspieler, der neben der Schauspielerei auf einem 400 Jahre alten Hof in der Nähe von Innsbruck Rinder züchtet und in Bio-Qualität vermarktet.
Werner Bartens hält die Abriegelungen in Europa für Symbolpolitik, das wäre im chinesischen Wuhan und in den Kleinstädten in Italien noch „richtig und wichtig“ gewesen, aber die Grenzen von Deutschland zu Österreich, zur Schweiz oder zu Frankreich hätten keine Viren aufhalten können, da es schon überall in den Ländern verteilte Virenherde gegeben hat. „Am Anfang wurde zu spät geschlossen (…) und jetzt wird zu geballt zu viel auf einmal aufgemacht.“ Bartens führt den Begriff „Präventionsparadox“ ein. Das besage, je besser die Prävention gegriffen habe, desto früher würde sich anschließend die Haltung einstellen, es wäre ja alles gar nicht so schlimm gewesen. Das wäre aber ähnlich paradox, wie mit dem Schirm in den Regen zu gehen und anschließend zu leugnen, dass es geregnet hätte.
„Wir haben viele Millionen Menschen, die vor den Ruinen ihrer Existenz stehen“, mahnt Tichy und schaut dabei rüber zum gutsituierten Tobias Moretti, der schon nervös auf seinem Stuhl rutscht möglicherweise, weil er gleich explodieren will. Mal schauen.
„Es ist ein neuer Klassenkampf zwischen denen, die daheim schön am Land wohnen, eine schöne Villa haben und genügend Geld haben …“, da platzt Moretti der schon dick gewordene Hals, er wäre der, der produziert, und Tichy wäre der, der konsumiert.
Nun lohnt sicher der Blick auf die Preistabelle des saftigen Moretti-Bio-Fleisches um festzustellen, dass möglicherweise Roland Tichy hier noch konsumieren kann, wenn er so etwas mag, aber die von beiden erwähnten Familien ohne Arbeit und Wohnraum müssen das Billigfleisch vom Penny essen, solange sie es sich überhaupt noch leisten können. Worüber regt sich Moretti also auf?
„Es ist schon richtig, dass es für die verschiedenen sozialen Bedingungen andere Voraussetzungen gibt“, sagt der schauspielernde Bio-Bauer, der kein politisch korrekter Veganer ist in klassischem Politiker-Deutsch. So schnell kann es gehen. Also so etwas wie eine schnelle Retourkutsche Richtung Tichy. Bei dem eher dem Kapitalismus anhängendem Publizisten, so Moretti, würde er „soziale Verachtung“ erkennen. Dass er selbst privilegiert ist, stört Moretti dabei nicht die Bohne.
Dann beklebt Werner Bartens Tichy mit dem Etikett des „Populisten“ und man fragt sich an der Stelle, wo er das festgemacht haben will. Aber nicht nur „man“, sondern auch Moderator Fleischhacker, der hier in Sekunden das brutale Gefälle aufzeigt von ihm herunter zu den vier Moderatoren das deutschen ÖR-Fernsehens.
Oh je, die Dame von Attac war noch gar nicht daran. Roland Tichy ist in der 1:4 Position. Immerhin hier ähneln sich die Formate dann doch, denkt man zunächst. Bartens lässt Lisa Mittendrein noch nicht zu Wort kommen, spricht jetzt sogar von einer „Kurve der Dummheit“, die man unten halten müsste, wenn man die zweite Welle eindämmen will, die unweigerlich käme. Und Moretti spricht Richtung Mittendrein nach deren langem Weltumgestaltungsplan von naiv.
Tobias Moretti macht es anders und gibt Roland Tichy jetzt einmal Recht. Recht hätte der, dass sich „das soziale Selbstverständnis einer Subventionsorientierung“ ändern müsse. Tichy sprach allerdings vom Sozialstaat. Die EU-Subventionen, die der Bio-Bauer Moretti sicher einstreicht, wie hoch mögen die wohl sein? Der Schauspieler als Bio-Bauer hier also möglicherweise selbstverschuldet in verbaler Seenot. Aber vielleicht rettet ihn die Attac-Aktivistin.
Herrlich angeschärfte Zwischenfrage des Moderators an die politische Internationalistin, die etwas gegen Globalisierung hat : „Sie plädieren also dafür, dass wir wieder in nationale Produktionen umsteigen?“ Die möchte „proaktiv, offensiv umbauen“. Was immer das konkret bedeuten mag.
Lisa Mittendrein möchte eine „Demokratisierung und eine Lokalisierung“ – damit allerdings würde man sie am Samstag auch auf einer Demo in Berlin oder Stuttgart gerne begrüßen. Sie spricht von „Transformation“ und begreift scheinbar nicht, das es auch solche Begrifflichkeiten sind, welche die Bürger abstoßen und solchen Weltverbesserungsplänen gegenüber zu Skeptikern machen.
Roland Tichy fasst zusammen – und er ist damit ein stückweit bei Mittendrein – dass es auch eine Globalisierung gab, welche die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert hätte. Und dann erfährt der Zuschauer noch, dass Tichy für seine Schuhe 125 Euro bezahlt hat, die wären wohl aus Bangladesh, die könne man auch wieder in Österreich herstellen, dann würden sie aber das Doppelte kosten. Nun kosten Schuhe bei Aldi 19,95 Euro. So betrachtet hat Tichy aber schon wieder andere Bangladeshschuhe am Fuß als die Familie in der beengten Wohnung ohne Garten und Balkon. Es gibt also selbst da Unterschiede. Roland Tichy ergänzt, dass nun aber selbst in Bangladesh Hunderttausende arbeitslos werden, weil niemand mehr kauft. „Wollen wir das?“
Roland Tichy erinnert die Runde daran, dass die Menschen ärmer geworden sind durch die Krise und gleichzeitig würde man hier diskutieren, die Preise für Dinge zu erhöhen. Und weiter: „Wenn die Deutschen nicht mehr nach Spanien in den Urlaub fliegen, dann können Spanier auch bald keine deutsche Autos mehr kaufen.“ Das wären eben Länder, die sich auf diesen Austausch eingelassen hätten, das dürfe man jetzt in der Notsituation nicht vergessen.
Tichy hat damit recht, denn so wird nun offenbar, woran es oft mangelt, wenn der große neue Weltplan und die nächste große Transformation angepriesen werden: An der Ehrlichkeit, auch zu sagen, zu welchen Verwerfungen und zu welcher krassen Massenarmut solche Zurückschrumpfungen führen können.
Tobis Moretti wirft ein, das sei doch eine absurde Situation, die Ausbeutung in Bangladesh zu beschreiben, dann aber zu sagen, die bräuchten das aber zum Überleben. Richtig ist auch das. Und noch richtiger ist, dass, was hier gerade in dieser Sendung passiert, für deutsche Fernsehzuschauer eine große Überraschung sein muss: Hier wird zwischen unterschiedlichen Positionen nachvollziehbar miteinander gerungen.
Möglicherweise steht dieser Findungsprozess sogar am Anfang von allem: Nämlich zunächst einmal wiederzuerlangen, gemeinsam um das beste Ergebnis für alle zu kämpfen, zu diskutieren und lebhaft zu streiten.
Nach dem Preis für Schuhe aus Bangladesh erfährt der Zuschauer noch, das Tichys Familie jede Woche regionales Gemüse am Wochenmarkt kauft.
Moretti wieder empört sich darüber, dass man heute, vom Joghurtbecher bis zur Unterlegscheibe nichts mehr kaufen kann, dass nicht in China produziert wurde. Und es wird im Laufe der Sendung deutlich, dass Bio-Bauer nicht gleich Bio-Bauer ist, denkt man an den Moderator von TTT, an den Bio-Bauern Dieter (Max) Mohr, der Woche für Woche nur an einem interessiert scheint: Der Vertiefung des Grabens in der deutschen Gesellschaft. Moretti mag anders ticken als Tichy, aber beide scheint etwas zu einen, das Verantwortung oder Zuneigung oder noch besser Zugehörigkeit zu Land und Leuten ausdrückt, wo Mohr diese Land nur noch zu hassen scheint, folgt man einigen seiner Moderationen am Sonntagabend genauer.
Nun neigt man ja bei Schauspielern zu einer emotionalen Haltung, man mag sie oder eben nicht. Dieser Moretti jedenfalls hat sich bis hierher sicher bei dem einen oder anderen ins Herz gespielt mit einem hohen Maß an Glaubwürdigkeit. Was auch für den Moderator und weitere Gäste gilt.
„Die Corona-Krise als Katalysator des weltweiten Umbaus?“ fragt also Michael Fleischhacker punktgenau Richtung Roland Tichy. Der findet das wunderbar, meint es aber ironisch, wenn er ergänzt, der beschleunigte Zusammenbruch der Industrie würde zwar die Luft sauberer machen, aber die Jobs wären leider alle weg, kein Geld mehr da, dass der Staat noch ausgeben könnte.
Aber, und das muss man Tichy dann auch fragen, wenn der ebenfalls Veränderungen befürwortet: Wie schmerzhaft wird es für die Ärmeren und wie glaubt er, dass die Reicheren das Abfangen müssen – durch Sonderabgaben? Denn das ist zwar eine unangenehme, aber doch die zentrale Frage. Niemand möchte ihm allerdings widersprechen, wenn Tichy feststellt: Geld kann man nur einmal ausgeben.
Die Verwunderung steht der Attac-Aktivistin im Gesicht, als Tichy ihr – unter zustimmendem Nicken von Moretti – erklärt, dass sich das Vermögen der Reichen nicht in Dagobert Ducks Goldgrube befindet, sondern in Anlagen, Betrieb und Investitionen von Unternehmen, ein Vermögen, das im Lockdown schon jetzt nur noch auf dem Papier steht – oder im Ausland investiert ist, fügt Moretti hinzu.
Lustiger Moment, als sich Moretti unbeobachtet fühlt und auf den Boden schaut, wo er als einziger eine ganze Reihe von Papieren abgelegt hat. Der Schauspieler arbeitet also mit Spickzettel bzw. Drehbuch? Professionell.
Lisa Mittendrein macht dort noch einen Punkt, wo Tichy zu Recht die auch aus ökologischer Sicht seit langem zunehmend verantwortungsvolle deutsche Industrie lobt und die Attac-Aktivistin die Gegenfrage stellt, welche Verantwortung wir denn hätten für die Zustände der Industrie anderswo, wenn wir von dort beispielsweise Billigkleidung beziehen würden und uns „einen Dreck darum scheren“ wie es dort aussieht. Aus Österreich die Welt verändern?
Beschließen wir es mal an der Stelle und stellen vor allem eines mit Blick nach Österreich und mit positiver Verwunderung fest: Es gibt tatsächlich eine Talkshow in deutscher Sprache, die jedem geladenen Kontrahenten genug Raum lässt, sich zu entfalten, die es sogar schafft, dass der Zuschauer nicht das Gefühl hat, er müsse sich – von den Moderatoren und beispielsweise diffamierenden Einspielern gedrängt – für eine Seite entscheiden. Er müsse die Diskutanten in Gute und Böse teilen. Hangar-7 ist auf gewinnbringende Weise unterhaltsam. Sehr schade, dass das Format erst zur Nachtzeit über die Grenzen hinweg so strahlt und ausstrahlt.