Wussten Sie schon, dass im Internet Algorithmen eine Rolle spielen? Dass Nutzer, die sich bestimmte Inhalte ansehen, Empfehlungen für ähnliche Inhalte bekommen? Hätten Sie geahnt, dass es unter denjenigen, die twittern, auch Nutzer gibt, die mit politischen Motiven twittern? Falls ja – denn bei diesen Feststellungen handelt es sich um sehr allgemeine Gemeinplätze – dann finden Sie wahrscheinlich wenig Überraschendes in dem Dokumentarfilm „Infokrieger – die neuen rechten Medienmacher“ von Dennis Leiffels, einer Produktion von Radio Bremen, die am Montag um 22.45 Uhr in der ARD läuft. Für alle, die zum ersten Mal davon hören, dass es so etwas wie das Internet und politische Ränder gibt, könnte er einen Erkenntnisgewinn enthalten.
Apropos Ränder: Zu den Gemeinplätzen gehört auch, dass es neben Internet-Plattformen und Twitterprofilen mit rechtsradikalem Spin auch eine Menge Angebote von linksradikaler Seite gibt, außerdem Schnittmengen, in denen rechte, linke und sonstige Versatzstücke eine eigene Melange bilden. Es gibt außerdem islamistische Internetseiten, Videos und Tweets, genauso wie Meinungsangebote der Bewegung ‚Extinction Rebellion’, deren Anhänger die Zerschlagung der Industriegesellschaft fordern, weil ansonsten Milliarden Menschen der Klimatod droht. Und natürlich bewegen sich die meisten Meinungsangebote im Netz abseits dieser Ränder.
Der Film von Radio Bremen beschäftigt sich von vornherein nur mit „rechten Medienmachern“, beziehungsweise dem, was die Filmautoren dafür halten. In der Dokumentation tauchen die Begriffe „rechts“, „rechtsextrem“, „rechtspopulistisch“ und „rechtskonservativ“ im bunten Reigen auf, ohne dass sie irgendwann näher bestimmt würden. Der Unterschied scheint die Filmemacher auch nicht sonderlich zu interessieren.
Die Antwort auf die Frage lautet: Dann würden sie sich so verhalten wie jeder, der das Internet nutzt, um seine Meinung zu verbreiten, wie Radio Bremen etwa oder die ARD mit ihrer Web-Präsenz. Oder wie jemand, der im Netz Hundefutter verkauft. Von der Banalität springt der Filmkommentator zur Behauptung: „Eine rechtsextreme Welt“. Als extremistisch gelten generell Ideologien, die Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele zumindest nicht ablehnen. In dem gesamten Film über die „rechten Infokrieger“ kommt keine einzige Plattform vor, die Gewalt propagiert oder billigt. Aber der Begriff „rechtsextrem“ setzt ein Framing, einen Rahmen, in den Leiffels und seine Kollegen alles Mögliche einsortieren. Ihr Film verspricht mit dem raunenden Unterton von Undercover-Rechercheuren „den Blick in den Maschinenraum einer Graswurzelbewegung“.
Dass eine Graswurzelbewegung über einen eigenen Maschinenraum verfügt, gehört zu den originelleren Botschaften des „Infokrieger“-Streifens. Offenbar gab es bei Radio Bremen niemand, der Leiffels wenigstes die gröbsten Stilblüten aus dem Skript streichen konnte. „Graswurzelbewegung“, das suggeriert: Alle irgendwann genannten Plattformen, Twitteraccounts und Medien gehören irgendwie zu einer Rasenfläche, sie hängen geheimnisvoll zusammen, auch wenn der Zuschauer bis zum Ende nicht erfährt, wie und wodurch. „Maschinenraum“ wiederum erzeugt das Bild von einer Schaltzentrale, in der irgendjemand steuert und auf Knöpfe drückt.
Was wollen diese Mächte, wer immer sie sind? Sie wollen, so weiß es der Kommentator aus dem Off, ein „kriminelles, demokratiefeindliches, fremdenfeindliches Bild von Deutschland zeichnen“. Was ist ein „kriminelles Bild“? Meinen die Autoren Berichte und Meldungen über Kriminalität, die auf bestimmten Webseiten eine Rolle spielen? Oder halten sie irgendein medial gezeichnetes Bild für kriminell?
Die Twitterer – es kommt noch ganz kurz ein dritter vor – informieren sich wiederum, so der Kommentator, in „alternativen Medien“. Es erscheinen stilisierte Bildschirme, auf denen neben den Namen von Blogs und Medien auch der Schriftzug „Tichys Einblick“ steht, zusammen mit einem finster blickenden Emoticon.
Diese Medien, heißt es dann, „verbreiten Verschwörungstheorien, Halbwahrheiten, Nachrichten der ‚identitären Bewegung’ oder gar rechten Populismus“. Welche Verschwörungstheorien und Halbwahrheiten die Filmautoren bei TE ausgemacht haben wollen, verraten sie nicht. Sie liefern keinen Beleg. Die Nachrichten der ‚Identitären Bewegung’ hat TE nie verbreitet. Wer den „Infokrieger“-Film sieht, könnte aber genau das annehmen. Allerdings achtet das Team um Leiffels darauf, dass ihre Aussagen nur framen und vage suggerieren, und nie so konkret werden, dass sie rechtlich angreifbar wären. Ganz kurz kommt der Aktivist Christian Fuchs zu Wort, der verkündet, diese irgendwie miteinander zusammenhängenden Rechten würden „Vertrauen und Glauben in die Demokratie untergraben und eine autoritäre Revolte vorbereiten“. Was auch immer eine autoritäre Revolte sein soll. Fuchs musste in der Vergangenheit mehrere Unterlassungserklärungen unterzeichnen, nachdem er auf einer „Landkarte“ der „Neuen Rechten“ Verbindungen zwischen TE und anderen Personen und Medien eingezeichnet hatte, mit denen Tichys Einblick in Wirklichkeit weder einen inhaltlichen noch wirtschaftlichen Kontakt unterhält.
Ziemlich viel Raum nimmt in „Infokrieger“ ein Interview mit der ehemaligen WDR-Journalistin Claudia Zimmermann, die von ihrem Sender herausgedrängt wurde.
Heute produziert sie eigene Videos, die auf Youtube relativ viele Zuschauer finden. Darin geht es um die Gefahren des 5G-Netzes, die Zimmermann wiederum mit Corona verknüpft; sie glaubt außerdem, dass Menschen bei künftigen Impfungen gegen Covid-19 Nanopartikel eingespritzt werden, die sie ausspionieren sollen („wer sich impfen lässt, ist verloren“). Die weltweiten Geschicke lenken ihrer Meinung nach die Rothschilds beziehungsweise eine „Finanzelite“. Die Youtuberin macht einen etwas wirren, und, um es vorsichtig zu sagen, nicht besonders luziden Eindruck. Ihre Ansichten über 5G-Strahlung und Corona finden sich allerdings in allen möglichen Ecken des Internets, auf den Seiten von Esoterikern, so genannten Elektrosensiblen und Umweltbewegten. Mit ihrem Glauben an eine weltweit strippenziehende Finanzelite ist sie wiederum zu einigen linken Plattformen anschlussfähig. Trotzdem wird sie in dem Film in den Frame „rechte Infokriegerin“ eingeordnet.
Ganz nebenbei: Zimmermanns Glaube an mächtige Lenker mit einer dunklen Agenda ähnelt erstaunlich dem Bild der Filmemacher von dem „Maschinenraum“, in dem irgendjemand twitternde Hausfrauen, Youtuber wie Zimmermann und Medien wie TE steuert.
Ein ganz eigenes Kapitel verdienen die Reisen des Filmteams, das nach eigenen Angaben eineinhalb Jahre an dieser Radio-Bremen-Produktion werkelte. Erst geht es nach London, wo die Macher „die Wissenschaft“ fragen wollen. Die Wissenschaft besteht in diesem Fall aus der „Extremismusforscherin Julia Ebner“ und ihrem Mitarbeiter. Der Mitarbeiter spricht in die Kamera, es sei „schwierig zu sagen“, ob und wie die Infokrieger zusammenhängen, und ob sie „zu einem größeren Netzwerk gehören“. Ebner steuert die wenig erhellende Bemerkung bei, die „Trollarmee“ sorge dafür, „dass sich das Meinungsbild komplett verwischt“. Um derartig banale Soundbites einzusammeln, musste das Filmteam also nach London reisen.
Dann geht es nach Paris, zum Interview mit einem „ehemaligen Mitarbeiter von Youtube“. Seine dramaturgische Funktion scheint vor allem darin zu bestehen, das Leiffels-Team zu loben („ihr seid da echt in die Tiefe gegangen, ich liebe es“). Dann bestätigt er, dass bei Youtube tatsächlich Algorithmen eine Rolle spielen, und liefert noch ein paar derart floskelhafte Sätze ab, dass sie wie eine Parodie klingen: „Hass schafft Reichweite, und Reichweite heißt Gewinn.“ Von ihm stammt auch die Botschaft, die Algorithmenverwendung im Internet sei „gefährlicher als die Atombombe“.
Schließlich düsen die Filmer noch nach Montevideo, um sich dort mit einem ausgewanderten Deutschen zu unterhalten, der, wie es heißt, für zahlreiche rechte Plattformen seinen Namen in das Impressum einträgt, um die eigentlichen Betreiber zu schützen. Um welche Plattformen es sich handelt, erfährt man nicht. Bei dem Mann handelt es sich um einen älteren Herren mit einer ziemlich schlichten Weltsicht. Entsprechend unergiebig gestaltet sich das Gespräch.
Mit den Autoren von TE oder Achgut, Medien, deren Namen in den Brei aus Andeutungen und Internetschnipseln gerührt werden, hatte das Filmteam keinen Kontakt gesucht.
Eine Sache dokumentiert „Infokrieger“ ziemlich konkret: Bei Radio Bremen scheint es keine Bedenken gegen ausufernde Reisespesen zu geben.
Das Format der vermeintlichen Enthüllung rechter, rechtsextremer oder sonstwie gearteter finsterer Internet-Netzwerke (aber nie linksradikaler oder islamistischer) ist alles andere als neu. Trotzdem behauptet praktisch jeder Macher, jetzt zum ersten Mal eine Enthüllung zu präsentieren, aufzudecken, ein „Netzwerk“ ans Licht zu zerren.
Immer funktionieren die Pseudodokumentationen nach dem gleichen Muster: von Gefahr raunen, andeuten, zusammenschnipseln, ineinanderrühren. Immer hängen irgendwie alle mit allen zusammen, und jemand lenkt. Die Methode entspricht ziemlich exakt der Struktur von Verschwörungstheorien.
Öfter erreicht dieses ganz eigene Genre eine unfreiwillig komische Note. Vor kurzem veröffentlichte der Medienwissenschaftler Thorsten Quandt von der Universität Münster ein Papier, indem er unter anderem auch „Tichys Einblick“ und „Achse des Guten“ nennt. „Es hat sich gezeigt, dass sich die Alternativmedien während der Corona-Krise gerne die Faktenlage zurechtbiegen und Gerüchte sowie einzelne Verschwörungstheorien verbreiten“, behauptet Quandt, ohne einen einzigen Beleg zu nennen: „Diese Medien vermischen in ihren Veröffentlichungen das Leugnen des Klimawandels, die Migrantenkrise, Weltuntergangstheorien und das Coronavirus“.
Auch für Weltuntergangstheorien und Leugnung des Klimawandels auf TE liefert er kein Beispiel. In der Corona-Krise „Faktenlage zurechtbiegen“ – was meint er damit? Vielleicht die Aussage, Atemmasken würden nichts nutzen, weil es keinen Beleg gebe, dass sich das Virus über die Atemluft ausbreitet? Diese Behauptung stammt allerdings von Gesundheitsminister Jens Spahn. Dass der Staat keine Einschränkung des öffentlichen Lebens wegen Corona plant? Das erzählte die Tagesschau ihren Zuschauern – kurz bevor diese Einschränkungen tatsächlich kamen. Die Nachricht, Trump wolle die deutsche Firma CureVac kaufen, um den eventuell dort entwickelten Impfstoff gegen Covid-19 exklusiv für die USA zu bekommen? Die Räuberpistole stand in einem halben dutzend Medien und ging auf eine anonyme Quelle in der Bundesregierung zurück. Das Medium, das die Fake News als erstes demontierte, war TE.
Übrigens gab es am Anfang der Corona-Epidemie eine dubiose Plattform, die – von wem auch immer gelenkt – die Behauptung verbreitete, die Bedeutung des SARS-CoV-2-Virus werde völlig übertrieben, und zwar von „rechtspopulistischen Kreisen“ die das „Narrativ“ nutzen würden, um Grenzschließungen zu fordern. Der Name dieser dubiosen Plattform: Bayerischer Rundfunk. Teil der ARD.
Wäre dieses seltsame Netzwerk nicht einmal ein schöner Gegenstand für die nächste Reportage von Radio Bremen?
Die Reisespesen würden sich in Grenzen halten.