SPD und Steinbrück wollen die Bundestagswahl mit dem Thema “soziale Gerechtigkeit” bestreiten. Wie ungerecht ist Deutschland?
In Deutschland wird zu schnell und zu häufig operiert – am Knie, der Bandscheibe und sonst wo, meldete die AOK. So schlimm kann also der neoliberale Kahlschlag im Sozialsystem gar nicht sein, wie ihn die SPD ständig beschwört, wenn Patienten vor der Überversorgung flüchten müssen.
Wie wenig Wirklichkeit und politische Skandalisierung zusammenpassen, zeigt sich auch bei der Rente: In einigen Jahrzehnten droht breite Altersarmut. Das ist keine Überraschung, weil immer weniger Junge immer mehr Alte versorgen müssen. Bislang hat noch keiner den Schalter gefunden, den man umlegen muss, um dieses Problem zu beseitigen, es sei denn, die Menschen verdoppeln und verdreifachen ihre Kinderzahl. Insofern ist der eingeschlagene Weg des Durchwurstelns nicht falsch: etwas niedrigere Renten und etwas höhere Beiträge, etwas mehr Altersvorsorge und etwas längere Lebensarbeitszeit; etwas weniger Konsum heute und mehr sparen für morgen.
Witzig, wie die SPD dieses so biedere wie wirksame Rezept auf den Kopf stellt: Die SPD verspricht den Rentnern im Osten höhere Renten, obwohl doch Ost-Rentner mit 1058 Euro Rente mehr erhalten als West-Rentner (987 Euro) und Ost-Frauen sogar fast die Hälfte mehr kriegen als ihre West-Schwestern. Wie also jedermann einsieht, ist Handlung zwingend geboten. Gerechtigkeit nach Steinbrück-Art ist vermutlich, wenn die mehr kriegen, die schon mehr haben, und das zulasten von Beitragszahlern, die zukünftig ohnehin wegen der demografischen Belastung verstärkt zur Kasse gebeten werden. Und deswegen soll die Rente mit 67 ebenfalls ausgehebelt werden: Jeder, der 40 Jahre lang gearbeitet oder auch nur Arbeit gesucht hat, soll zukünftig doch schon früher verrentet werden: Es folgt der Handlungsmaxime, dass man den Jungen, die ohnehin kaum mehr Rente zu erwarten haben, davon ja noch etwas wegnehmen kann. Oder wäre es doch besser, wie die der Gerechtigkeitsdebatte nachhechelnde CDU fordert, die Renten für ältere Mütter zu erhöhen? Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat dazu erst mal die Wahrheit durchscheinen lassen. Dafür sei kein Geld da, sagte er, das gehe schon für die Euro-Rettung drauf. Wenn statt den Müttern den Griechen geholfen wird, zeigt sich, dass eben auch die Sozialpolitik Opfer für die europäische Transferunion bringen muss. Bleibt nur die Frage, warum die SPD sonst immer so großzügige Euro-Hilfen fordern kann.
Oder gibt es die Antwort doch? Endlich noch mal bei diesen vielen Reichen abkassieren?
Tatsächlich gibt es obszöne Zurschaustellung von Reichtum. Guter Geschmack und Benehmen wachsen nicht mit dem Konto. Das beweist auch jener ambulante Vortragskünstler, der für einen Plauderabend von den Parteifreunden einer bankrotten Stadt 25.000 Euro nimmt. Die Besteuerung ist schwer auszudehnen. Im Einkommensteuertarif beginnt “Reichtum” schon bei rund 5000 Euro: Ein hübscher Monatslohn, der sich netto mit dann nur noch 2500 Euro für einen Single aber schon nicht mehr so üppig anfühlt. Also ran an das wachsende Vermögen? Das zeigt sich bloß nicht immer freiwillig, flüchtet schnell oder ist schwer zu greifen. Schafft man Freigrenzen, etwa für Reihenhausbesitzer, schrumpft das Aufkommen rapide – weil es sehr viel mehr Reihenhäuser gibt als Millionärsvillen. Bei allen Steuerarten gilt: Fett wird der Staat nur durch die Belastung der Mitte. Zudem liegt der allergrößte Teil nicht abholbereit auf Bankkonten, sondern steckt in Fabriken, Maschinen und Anlagen. Weil man aber eine Maschine nicht ins Finanzamt bringen kann, um seine Vermögensteuer zu begleichen, muss die Steuer aus dem Jahresgewinn kommen. Die SPD-Pläne bedeuten, auch wenn Steinbrück das bestreitet, eine Erhöhung der Steuerlast für Mittelständler um bis zu einem Drittel.
Wer kann da noch investieren? Dann sieht es schlecht aus für Arbeitsplätze, Wachstum und Bildung. Unser Wohlstand aber kommt von diesem Dreiklang – nicht von Umverteilung.
(Erschienen auf Wiwo.de am 15.12.2012)