Tichys Einblick
Interview Susanne Schröter

Rheinland-Pfalz und DITIB: „Ich halte den Weg der Landesregierung für fatal“

Während Hessen die DITIB-Kooperation beendet, beginnt Rheinland-Pfalz eine Zusammenarbeit mit DITIB und drei weiteren konservativen Vereinen. Ein Interview mit Islam-Expertin Susanne Schröter.

imago/Future Image

Weil die Unabhängigkeit zur türkischen Regierung nicht bewiesen werden konnte, beendete das Land Hessen die DITIB-Kooperation bezüglich des Islam-Unterrichts und nimmt diesen vorerst in staatliche Verantwortung. Rheinland-Pfalz geht in eine andere Richtung: Die Landesregierung schloss mit vier konservativen islamischen Verbänden eine „Zielvereinbarung“ als Zwischenschritt für einen Grundlagenvertrag ab, der die Einführung von Islam-Unterricht sowie die Vergabe eines Lehrstuhl für Islamische Theologie miteinschließt. Darunter befindet sich der größte und zugleich umstrittenste muslimische Verband: Die „Türkisch-Islamische Anstalt für Religion e.V.“, kurz: DITIB, die von der Türkei gesteuert plus finanziert wird. Des Weiteren: Die Ahmadiyya-Gemeinde (AMJ), der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und der Rat Islamischer Gemeinschaften (Schura).

Frau Schröter, die DITIB hat Auflagen bekommen, um ihre „strukturellen Mängel“ zu beseitigen, doch inwieweit ist das faktisch möglich?

Susanne Schröter: Das ist vollkommen unmöglich, weil die DITIB kein eigenständiger deutscher Verein ist, wie DITIB-Funktionäre gerne betonen, sondern die Auslandsabteilung der türkischen Religionsbehörde Diyanet, die unmittelbar dem türkischen Präsidenten untersteht. Es handelt sich um eine zentralistische Organisation, die ihre Weisungen aus Ankara erhält, die dann über die deutsche Zentrale in Köln an die Landesverbände und von dort an die Ortsgemeinden weitergegeben werden. In der Satzung ist sehr genau festgelegt, dass türkische Beamte in so großer Anzahl in die Gremien beordert werden müssen, dass eigenständige Entscheidungen nicht möglich sind. Dazu kommt, dass die Imame türkische Beamte sind und nur für eine festgelegte Zeit nach Deutschland entsandt werden.

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Diese Struktur und die darin festgeschrieben Kontrolle der türkischen Regierung auf die DITIB hat Auswirkungen. In den Fällen, in denen Gemeinden, Einzelpersonen oder Gremien in der Vergangenheit zu unabhängig agierten, griff Ankara ein und ersetzte die unbotmäßigen Personen durch AKP-treues Personal. Der derzeitige türkische Präsident nutzt die DITIB als Mittel, um in Deutschland Politik zu betreiben und Einfluss auf die türkeistämmige Bevölkerung auszuüben. Das schlägt sich in politischen Freitagspredigten nieder, in denen vor Integration gewarnt und das Märtyrertum glorifiziert wird, aber auch in der Verherrlichung völkerrechtswidriger türkischer Militäroperationen in Syrien oder szenischen Darstellungen von Schlachten, die von als Soldaten kostümierten Kindern in Moscheen durchgeführt wurden. Dazu kommen begründete Mutmaßungen, dass von Imamen Spitzeltätigkeiten durchgeführt wurden, antisemitische und antichristliche Propaganda und die Mobilisierung für den IS in mindestens zwei Gemeinden. Eine Loslösung von Ankara ist gar nicht denkbar. Das ist auch der Grund, weshalb das Land Hessen nach langer Prüfung und mehrerer Expertengutachten die Kooperation im Rahmen des bekenntnisorientierten Religionsunterrichts im April 2020 beendete.

Sie gründeten mit einer Gruppe von Publizisten und Wissenschaftlern die „Initiative Säkularer Islam“ als ein Gegengewicht zu einem demokratiefernen, politisierten Islam. Wie schätzen Sie nun diese Zusammenarbeit ein?

Wir haben die Initiative auf Bundesebene mit dem Ziel gegründet, die Bildung von säkularen Landesvereinen anzustoßen. In Hamburg und in Rheinland-Pfalz gibt es bereits solche säkular-muslimischen Gruppen. Leider stoßen diese in der Politik nicht auf sonderliches Interesse. In Rheinland-Pfalz beispielsweise wurden sie nicht in die Zielvereinbarungen mit der Landesregierung einbezogen. Man setzt nach wie vor auf die bekannten Verbände, die mehrheitlich dem politischen Islam zugerechnet werden müssen.

Wie kritisch muss man diese vier islamisch-konservativen Verbände sehen? Was sind deren Problematiken?

Die DITIB ist, wie bereits gesagt, eine Auslandsdependance der türkischen Religionsbehörde und steht unter vollständiger Kontrolle der AKP und des türkischen Präsidenten. Die Ahmadiyya Muslim Jamaat ist eine erzkonservative Vereinigung mit außerordentlich rigider Geschlechterordnung, deren Mitglieder den Anweisungen ihres in London lebenden Kalifen bedingungslos Folge leisten. Ich habe ihre Funktionäre lange Zeit dennoch als offen und gesprächsbereit erlebt, stelle aber fest, dass eine jüngere Garde zunehmend die Maske fallen lässt und sich als dezidiert antiwestlich und illiberal positioniert. Bei der VIKZ handelt es sich um eine konservativ-orthodoxe und wie die DITIB oder die Ahmadiyya sehr hierarchisch verfasste türkeistämmige Gruppe, die durch starke Separationsbestrebungen aufgefallen ist. Auf Ortsebene kann es aber zu Entwicklungen der Öffnung kommen. Ich persönlich habe während meiner Forschung zu Moscheegemeinden eine solche Gruppe kennengelernt, die eine sehr positive Entwicklung gegangen war. Anders als diese drei Verbände, ist die Schura ein Zusammenschluss heterogener Gruppen, darunter die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs, die immer die radikalere Version der DITIB war und Gruppen, die der Muslimbruderschaft zugerechnet werden müssen. Andere, wie die Abu Bakr Moschee in Koblenz, werden wegen salafistischer Umtriebe vom Verfassungsschutz beobachtet. Man muss sich wundern, dass man in Rheinland-Pfalz nach verschiedenen Skandalen um die DITIB oder den Mainzer Arab-Nil-Verein unbeirrt damit weitermacht, islamistische Vereinigungen zu Vertretungen des deutschen Islam zu stilisieren und damit Vereinigungen zu ermächtigen, die im besten Falle anti-integrativ sind.

Wie erklären Sie sich, dass die Landesregierung Rheinland-Pfalz sich ausgerechnet diese Verbände als Kooperationspartner ausgesucht hat, anstatt liberale Verbände wie der Verein Säkularer Islam e. V., der auch auf Ihre Initiative zurückgeht?

Ich vermute, dass man niemals vorhatte vom eingeschlagenen Weg abzurücken, sondern nur eine kurze „Auszeit“ zu nehmen beabsichtigte, als die DITIB stark in der öffentlichen Kritik stand. Generell möchte die Landesregierung offenbar demonstrieren, dass sie für Offenheit und Teilhabe steht, auch wenn dass bedeutet, dass es sich bei den anvisierten Partnern um Fundamentalisten oder sogar um Gruppen handelt, die man, in politische Kategorien übersetzt, als Rechtsradikale bezeichnen müsste.

Grundsätzlich gibt es ein Problem bei politischen Akteuren, die unter Teilhabe verstehen, Muslimen kirchenähnliche Positionen zuzuschreiben. Das Problem mit der „Kirchenbrille“ ist, dass es im Islam keine Kirche gibt, dass der Islam vollkommen anders verfasst ist als das Christentum und die Mehrheit der Muslime ohnehin nicht sehr religiös ist. Diese säkularen Muslime haben kein Interesse an bekenntnisorientiertem islamischen Religionsunterricht oder dem Aufbau einer islamischen Seelsorge. Wenn man unter Islampolitik nur solche Dinge versteht, dann können die Säkularen keine Partner sein. Wenn es aber darum geht, Muslime als demokratische Verbündete in einer modernen Gesellschaft zu verstehen, wenn man mit Menschen muslimischer Herkunft zusammenarbeiten möchte, die bestens integriert sind und die Lebensweise in Deutschland schätzen, dann wären die Säkularen die Partner der Wahl.

Würde solch ein Grundlagenvertrag mit jenen als Konsequenz bedeuten, dass weniger die Interessen liberaler und säkularer Muslime gefördert werden – ist das ein Rückschritt?

Es wäre nicht nur ein Rückschritt, sondern würde auch eine vollkommene Ignoranz gegenüber allem, was wir über den politischen Islam wissen, zum Ausdruck bringen. Es handelt sich um eine illiberale und antidemokratische Strömung des Islams, deren Vertreter dadurch ermächtigt werden für den Islam als Ganzes zu sprechen. Das ist ein Schlag ins Gesicht all der Muslime und Menschen mit muslimischem Hintergrund, die bestens in unsere Gesellschaft integriert sind.

Mit einer Satzungsänderung der DITIB Rheinland-Pfalz soll die „Unabhängigkeit der Kommission für den Islamischen Religionsunterricht“ gewährleistet werden. Kann dies in der faktischen Wirklichkeit „gewährleistet“ werden?

Wenn man sich die pyramidale Struktur der DITIB anschaut, muss man verstehen, dass die Landes- und Ortsvereine nicht unabhängig sind. Auch in der Satzung des Landesverbandes Rheinland-Pfalz wird weiterhin ein Paragraph stehen, der dem mächtigsten Gremium, dem Beirat, die Kontrolle übergibt. Im Beirat steht formal der Diyanet-Vorsitzende vor und türkische Beamte geben den Ton an. Er ist das wichtigste Kontrollinstrument der türkischen Regierung und kann alle Entscheidungen, die Landes- oder Ortsverbände in Deutschland treffen verhindern oder rückgängig machen, wenn sie gegen die Politik Erdogans verstoßen.

Kandidatenwahlvorschläge für den Landesvorstand sollen durch Mitgliedsgemeinden erfolgen und es soll eine Stelle eines hauptamtlichen Landesgeschäftsführers, der direkt bei der DITIB angestellt ist, geben. Kann das genügend Sicherheit verschaffen? Welche Probleme bleiben?

Hessen hatte jahrelang einen Landeskoordinator, der als einziger eine von der DITIB bezahlte Vollzeitstelle innehatte. Von einer Unabhängigkeit war bei ihm keine Spur. Das liegt auch auf der Hand, da der türkische Staat in Deutschland nicht die Opposition finanziert, sondern die Regierungspolitik fortsetzt. Die Landesregierung verkennt bei solchen Vorschlägen offenbar die Machtverhältnisse innerhalb des Geflechts DITIB, Diyanet und türkischer Regierung bzw. dem Präsidenten. Wann immer es in der Vergangenheit dazu kam, dass zu liberale oder gut integrierte Personen bei der DITIB in Führungspositionen gelangten, wurden sie wieder abgesetzt. Der Wille der türkischen Regierung seinen Apparat als politisches Werkzeug zu nutzen um in Deutschland Einfluss auszuüben, ist durch viele Beispiele in der Vergangenheit belegt.

Die DITIB wurde von Diyanet, dem Präsidium für Religionsangelegenheiten gegründet welches unmittelbar dem türkischen Präsidenten untersteht. Muss man davon ausgehen, dass diese „Zielvereinbarung“ von Erdogan abgesegnet ist?

Man kann davon ausgehen, dass Zielvereinbarungen nur dann „genehmigt“ werden, wenn sie dem Interesse des türkischen Präsidenten entsprechen.

In Ihrem Buch „Politischer Islam“ beschreiben Sie, wie Erdogan den „türkischen Staatsislam radikalisiert und ihn für politische Zwecke instrumentalisiert“, die DITIB dient ihm als Mittel „um politische Botschaften“ durchzureichen und um politischen Einfluss zu gewinnen. Wie hoch sehen Sie die Gefahr eines politischen Einfluss bei islamischen Religionsunterricht und Islamischer Theologie?

Zunächst muss man einmal verstehen, dass Erdogan und die türkische Regierung Zugriff auf den staatlichen Bildungssektor haben möchten, um türkeistämmige muslimische Kinder und Jugendliche im Sinne der Türkisch-Islamischen Synthese, zu indoktrinieren. Es handelt sich dabei um eine Ideologie, die Elemente des Islamismus mit einem chauvinistischen Nationalismus vereinigt. Dazu gehören u.a. Frauen- und Homosexuellenfeindlichkeit, Intoleranz und eine bedenkliche Nähe zum gewaltbereiten Extremismus. Für letzteres stehen Predigten und Broschüren für Kinder, die den Dschihad verherrlichen. Die zweite Frage ist, ob es gelingen kann einen solchen Einfluss auszuüben. Ich bin der Ansicht, dass dies der Fall ist. Die Curricula für den Religionsunterricht sind in der Regel weite Rahmenordnungen, die nicht vor Islamismus schützen. Das wäre nur dann möglich, wenn es Teile gäbe, die einen kritischen und reflexiven Umgang mit dem Islam und seinen problematischen Hadithen oder Koranversen verpflichtend mitaufnehmen. Das ist aber nicht der Fall. Es ist also möglich ein fundamentalistisches Islamverständnis zu vermitteln.

Die zweite Frage zielt auf das Lehrpersonal. Ist dieses möglicherweise selbst islamistisch oder wäre es willig, eine islamistische Ideologie zu unterrichten? Interessant ist hier eine Studie der „Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft“ über die Studierenden des Faches islamische Theologie. Die Studie erwähnt explizit, dass es nicht selten sei, dass Studierende das Studium an einer staatlichen deutschen Universität mit einem von der Diyanet geförderten Studium in der Türkei kombinieren. Die Hälfte der Befragten fühlt sich einer muslimischen Gemeinde zugehörig, und 64 % gaben an, als Muslime in Deutschland gesellschaftsverändernd wirken zu wollen. Ohne dies jetzt weiter vertiefen zu wollen, lässt sich daran vermessen, dass zumindest bei einem Teil der Absolventen und Absolventinnen (80% sind weiblich) davon ausgegangen werden muss, dass sie den Islam der Diyanet für den richtigen Islam halten und diesen auch als Lehrerinnen weitergeben werden.

Wie sieht ein Einfluss Dritter bei den anderen drei Verbänden aus?

Die VIKZ ist zwar stark türkeizentriert, hat aber eine gewisse Distanz zur türkischen Regierung. Die Ahmadiyya finanziert sich selbst, ist aber als zentralistische Organisation auf ihren Kalifen ausgerichtet, von dem die Weisungen ausgehen und auch befolgt werden. Die Schura ist, wie bereits gesagt, ein heterogener Verbund, in dem sich finanzielle und ideologische Einflussnahmen nicht immer nachweisen lassen. Die der Milli Görüs angehörenden Gruppen sind auf türkischem Regierungskurs, von den muslimbrudernahen Gruppen, die ihre Finanzierungen stets verschleiern, müssen Finanziers in den Golfstaaten angenommen werden.

Alle vier Landesverbände werden durch den abgeschlossenen Grundlagenvertrag offiziell anerkannte Religionsgemeinden und möglicherweise Körperschaften des öffentlichen Rechts. Welche Vorteile haben die Verbände dadurch, was bringt das für Folgen mit sich? Ist das bewusst ein strategisches Ziel der DITIB?

Zwischen Religionsgemeinschaften und Körperschaften des öffentlichen Rechts bestehen Unterschiede. Letztere können den Staat beauftragen Steuern für sie einzuziehen, und sie sind beim Einnehmen von Spenden steuerbefreit. Grundsätzlich geht es bei beidem primär um die Legitimation für eine religiöse Gemeinschaft, in diesem Fall die Muslime, zu sprechen und in öffentlichen Gremien mitzuwirken. Beispielsweise im Rundfunkrat oder in staatlichen Kommissionen. Es geht um Macht, aber auch um Geld. Die staatliche Legitimation erschließt nämlich auch unmittelbar Zugänge zu Institutionen, die über finanzielle Förderungen aus Steuermitteln für religiöse, soziale oder politische Vorhaben entscheiden. Diese Zugänge existierten auch schon in den letzten Jahren, doch es wurde immer wieder öffentlich angeprangert, dass die DITIB oder andere islamistische Vereinigungen von Ministerien alimentiert wurden. Bei einer offiziellen Anerkennung als Religionsgemeinschaft könnte man diese kritischen Stimmen schnell zum Schweigen bringen. Alle Vereinigungen des politischen Islam streben deshalb die Anerkennung als Religionsgemeinschaften an und haben dafür auch schon gerichtliche Verfahren angestrebt.

Ihre „Initiative Säkularer Islam“ betont, dass „ein zeitgemäßer ‚deutscher‘ Islam“ in jeder Hinsicht „unabhängig von ausländischen Regierungen und Organisationen“ sein muss. Sehen sie die Kooperation insgesamt als eine Zusammenarbeit mit den Falschen?

Absolut. Ich halte den Weg der Landesregierung für fatal. Es ist unbegreiflich, dass es keine Absicht zur Zusammenarbeit mit dem „Verein säkularer Islam in Rheinland-Pfalz“ gibt, aber es ist auch ein vollkommen falsches Signal, dass an islamistische Akteure wie die DITIB gesendet wird, die auslandsabhängig sind, einen mit unseren Grundwerten inkompatiblem Islam vertreten und zudem noch antiintegrativ agieren.


Susanne Schröter ist Professorin für Ethnologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und leitet das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam. Sie forscht schwerpunktmäßig zu den Themen Islamismus und Dschihadismus, progressiver und liberaler Islam, Frauenbewegungen in der islamischen Welt sowie Flüchtlinge und Integration. Professorin Schröter gehört auch der Deutschen Islamkonferenz an. Sie ist Autorin DES Grundlagenbuchs zum politischen Islam:

Susanne Schröter, Im Namen des Islam. Wie radikalislamische Gruppierungen unsere Gesellschaft bedrohen. Pantheon, 400 Seiten, 16,00 €.
(Zuerst erschienen unter dem Titel „Politischer Islam. Stresstest für Deutschland“ beim Gütersloher Verlagshaus.)


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