Die Not in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln ist ohne Zweifel sehr groß, doch eine Verteilung der 40.000 Migranten wäre der falsche Weg, denn sie entfaltet eine Sogwirkung, die alle europäischen Staaten trifft. Stattdessen hat sich in den vergangenen zwei Monaten eine Koalition aus rund zehn europäischen Staaten formiert, die in den dringendsten humanitären Fällen helfen will und die Übernahme von 1 500 unbegleiteten Kindern organisiert. Deutschland ist Teil dieser Koalition und nun mit einem ersten Schritt vorangegangen. Wir haben rund 50 Kinder aufgenommen, auch wenn eine Reihe von Staaten, die ihre grundsätzliche Aufnahmebereitschaft erklärt haben, inzwischen bekunden, mit Aufnahmen warten zu wollen, bis die Corona-Epidemie eingedämmt ist. Wir haben die klare Erwartungshaltung, dass die anderen Staaten ihre Zusagen in den nächsten Wochen und Monaten auch einlösen. Bis dahin muss Deutschland mit weiteren Aufnahmen warten, um einen nationalen Alleingang zu vermeiden, den man uns 2015/2016 vorgeworfen hat.
Anreiz zur Migration nach Griechenland
Deutschland wird sich bei der Aufnahme insbesondere auf sehr junge und medizinisch dringend behandlungsbedürftige Kinder konzentrieren. Durch diese klare Eingrenzung anhand genau definierter Merkmale wollen wir das falsche Signal vermeiden, das von einer unterschiedslosen Aufnahme in großem Stil ausgehen würde und sich mit dem Satz zusammenfassen lässt: „Man muss es nur auf die griechischen Inseln schaffen, dann wird sich mit der Zeit auch ein Weg auf das europäische Festland und nach Deutschland finden.“ Meine große Befürchtung ist: Ein solches Signal würde einen gewaltigen Anreiz zur Migration nach Griechenland setzen. Wir würden die Lage in Griechenland nicht besser, sondern schlechter machen, denn nicht weniger, sondern mehr Menschen würden in Richtung Europa aufbrechen. Vor allem würden nicht weniger, sondern mehr Kinder auf die sehr gefährliche Reise nach Europa geschickt, um dort als „Anker“ den Nachzug der Familie zu ermöglichen.
Deutschland hat humanitäre Verpflichtungen nicht vernachlässigt
Allein im Jahr 2016 haben wir mehr Asylsuchende aufgenommen als alle anderen 27 EU-Staaten zusammen. Seit 2015 sind fast eine Million Schutztitel durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vergeben worden. Angesichts dieser Zahlen wird man nicht sagen können, dass Deutschland seine humanitären Verpflichtungen vernachlässigt habe.
Der Autor ist CDU-Bundestagsabgeordneter und innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.
Dieser Beitrag von Thorsten Frei erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur, der wir für die freundliche Genehmigung zur Übernahme danken.