»Hallo alle da draußen, die ihr Minix benutzt – ich mache ein (freies) Betriebssystem (nur ein Hobby, wird nicht groß und professionell sein wie GNU) für 386(486)-AT-Klone. Dies köchelt seit April, und es beginnt fertig zu werden. Ich hätte gern jede Art von Feedback…« – einige von Ihnen, liebe Leser, haben diese Worte erkannt. Es ist der Anfang jener Nachricht (meine Übersetzung), mit welcher Linus Benedict Torvalds am 25. August 1991 die Entwicklung eines neuen Betriebssystems bekannt gab. Die Nachricht ist noch immer online (jetzt via Google Groups). Aus Torvalds Hobby-Projekt wurde Linux, der Kern(el) des Betriebssystems, das oft unter demselben Namen läuft — und das Internet, und damit unsere Welt, wären eine andere ohne dieses freie Betriebssystem gewesen.
Und dann gibt es jene eher obskuren Systeme, die mehr Kunstprojekten und sozialen Experimenten als marktfähigen Produkten ähneln; paradigmatisch sei hier natürlich »TempleOS« erwähnt (siehe die Dokumentation von Fredrik Knutsen dazu auf YouTube), dessen Erfinder Terry A. Davis leider 2018 unter traurigen Umständen verstarb (siehe engl. Wikipedia). Es sind schon sehr eigene Seelen, die sich aufmachen, den Maschinen das nützliche Denken beizubringen, und zwar von der blanken Hardware aus.
Ob tatsächlich erfolgreiche Betriebssysteme (wie Linux) oder gar nicht erst (realistisch) auf Erfolg angelegte und doch mit vollem Ernst betriebene Projekte, in all diesen Betriebssystemen liegt etwas tragisch Wunderschönes. Da wäre etwa »Collapse OS« (collapseos.org bzw. Github), das dafür ausgelegt sein soll, auf der nach einem Zivilisationskollaps wahrscheinlich verfügbaren Hardware lauffähig zu sein, oder das Ein-Mann-Projekt Visopsys (visopsys.org) – die beiden hier erwähnten Projekte scheinen übrigens weiter in aktueller Entwicklung zu sein. In jedem Betriebssystem stecken die Visionen von Menschen, die entwerfen, wie Mensch, Maschine und Information produktiv koexistieren können, weit nützlicher und realistischer als die entfernt verwandten theoretischen Konstrukte der Philosophen, und vielleicht gerade deshalb weniger langlebig.
Bösartige Informationseinheit
Bis vor kurzem, wenn wir in den Nachrichten von »Viren« lasen, dachten wir zuerst an Computerviren – und jetzt meinen wir wieder die traditionellen Viren.
Es sollte sich herumgesprochen haben, dass Viren den Computerviren erschreckend ähneln. Ein Virus ist kein eigenständiger Organismus, wie etwa Bakterien oder gar Parasiten, sondern eine Informationseinheit, die sich mit Hilfe von Wirtszellen vermehrt (siehe Wikipedia).
»Virus« und »viral« steht als Sprachbild für die Verbreitung von Informationen, die von ihren Trägern betrieben wird, oft mit exponentiellem Verbreitungsverlauf. Marketing-Fachleute träumen etwa davon, dass ihre Ideen sich »viral« verbreiten. Menschen, die eine Idee hören (oft »Meme« genannt), sollen diese Idee nicht nur zum Teil ihres eigenen Denksystems machen, sondern sie auch weiter verbreiten.
Viren befallen als »Informationseinheit« ein Trägersystem, und nutzen dessen natürliche Gewohnheiten und Mechanismen, um sich selbst zu vermehren. Wenn das Virus besonders destruktiver Natur ist, dann hängt dessen »Erfolg« davon ab, ob er sich schneller vermehren kann, als er das Trägersystem abwürgt. (Es wäre eine perverse Absurdität, wenn besonders robuste Trägersysteme, die ein Virus besonders lang »in Schach halten« können, gerade dadurch in besonderem Maße zu dessen Ausbreitung beitragen, weit mehr etwa als wenn das System schnell »zusammengebrochen« wäre. Ein Corona-Virus-Infizierter, der auf der Stelle umkippt, verbreitet das Virus »weniger« weiter, a priori betrachtet, als Infizierter, der damit lange weiter »funktioniert«.)
Körper und Gesellschaft
Das Virus der Pandemie von 2019/2020 (vielleicht auch länger, dieser Text ist von 2020) nutzt nicht nur die Körper der Menschen als Träger, es nutzt auch die Lebensgewohnheiten der Nationen, um sich zu verbreiten, weshalb Gesellschaften ihre Lebensgewohnheiten ändern, um dem Virus weniger »nützlich« zu sein. Das Virus greift Körper und Gesellschaften an.
Ein Computer-Virus nutzt Stärken des Computers wie Netzwerk- und Speicher-Funktionen, um sich auszubreiten – das China-Virus nutzt Eigenschaften der Gesellschaft, die wir als Stärken betrachteten, etwa unser soziales Leben, stets mit dem Ziel, sich selbst zu verbreiten.
Es sind nicht nur unsere Körper, die ein Virus zu seinem Vorteil nutzt, es ist unsere Kultur und ihre Eigenschaften selbst. Das Virus befällt Körper und Gesellschaft gleichermaßen.
Eine dumme Idee
Die Kultur einer Gesellschaft ließe sich mit einem Betriebssystem vergleichen. Das Betriebssystem eines Computers legt fest, wie von außen kommende Informationen verarbeitet werden, welche neuen Ideen entstehen und wieder ausgegeben werden.
Ohne die Kultur eines Landes wäre die »Hardware« eines Landes nur Krume, Gestrüpp und ein paar umherirrende Beerensucher – schon die Kunst, einen Speer für die Mammutjagd herzustellen, zählt zur Kultur, in unseren Worten: zum Betriebssystem eines Stammes (und später Volkes).
Ein Virus ist eine »dumme, aber perfide Idee«, die erst Individuen und dann ganze Kulturen einander weiterreichen (so wie das Computer-Virus eine »dumme, aber perfide Idee« ist, die Computer einander weiterreichen).
Operation gelungen, Patient tot
Wenn es einem Virus gelingt, einer Idee also, ein Computersystem, einen Körper oder eine Gesellschaft als Wirt und Träger auszunutzen, in Kauf nehmend, diesen zu ruinieren, solange es sich rechtzeitig weiter verbreitet hat, dann ist Studium der Wirkweise dieses Virus immer auch ein Studium der Mechanismen des als Wirt dienenden Opfers.
Ein Virus, wie auch eine »dumme Idee«, können (und: sollten!) uns motivieren (oder: zwingen, wenn wir überleben wollen), sehr genau hinzuschauen, welche unserer Eigenschaften, die wir für »Stärken« halten, gegen uns umgedreht werden könnten.
Überhaupt, diese spezifisch deutschen »Betriebssystem-Features«: Es ist ein deutsches Markenzeichen der letzten Jahrzehnte, sich an der Medizin gegen diesen oder jenen Schnupfen übler zu vergiften als der Schnupfen einen absehbar angegriffen hätte.
Es zieht sich durch das gefühlsgetriebene Handeln der letzten Monate und Jahrzehnte: Im Namen des Umweltschutzes werden Bäume abgeholzt und Vögel gefährdet. Die Fahrverbote gegen und wegen Stickoxid scheinen auf einer Lüge zu basieren. Im Kampf gegen Rechts zur angeblichen Verteidigung der Demokratie drohen eben deren Werte zum Opfer zu werden. Im Umgang mit Afrika kennt man nur die beiden Extreme – völliges Ignorieren (der Verhungernden) und realitätsblinde Vollversorgung (junger, starker Männer aus Nordafrika).
In der Coronakrise schließlich häufen sich bei mir die Berichte von wichtigen Operationen und Behandlungen, die im Kontext des Anti-Corona-Kampfes aufgeschoben wurden, und auch hier wieder taucht das Muster auf, entweder das Problem blind zu ignorieren oder hysterisch zu übertreiben, bis die Medizin weit verheerender als die Krankheit ist.
Finnen an Haltestellen
Einige »Betriebssysteme« (oder: Nationen) reagieren stabiler und weniger autodestruktiv auf den Angriff durch ein Virus als andere. Einige praktizieren ohnehin »Social Distancing«. Apples Betriebssysteme etwa arbeiten mit »Sandboxes« (developer.apple.com), welche die Daten einer App vor den Zugriffen anderer Apps schützen (sollen). Geradezu legendär ist etwa die Distanz, welche die Finnen seit jeher an Haltestellen voneinander einhalten (siehe etwa adsoftheworld.com, 22.1.2020).
Einige Nationen scheinen auch jetzt nicht wirklich zu Konsequenz und Vorsicht in der Lage zu sein. Und, wenn man bedenkt, dass das Virus nur eine »ganz dumme Idee« des Körpers ist, dann könnte man die Gelegenheit nutzen und vergleichen, wie Gesellschaften denn so mit anderen »dummen Ideen« umgehen. Wessen Computer von einem Virus befallen ist, der tut gut daran, bei der Gelegenheit sein System auch auf andere Schwachstellen zu prüfen – sollten Nationen und Kulturen es nicht ähnlich halten?
Selten für Allwissende
Für die großen Betriebssystem-Architekten der Kulturen, sei es Platon oder Marx, Hegel oder Kant – je praktischer sie waren (so es denn umgesetzt wurde/würde, was sie sagten), umso blutiger, unmenschlicher und grausamer wurde es – und wenn ihre Betriebssysteme nicht blutig waren (oder geworden wären), dann liegt das stets daran, dass sie ohnehin zu »wolkig« waren.
Ideologen, wie heute die grünen und anderen Sozialisten, vereinen in sich zuverlässig eine bemerkenswerte Unkenntnis über die menschliche Seele (also über das »Betriebssystem der Menschen) mit einem übergroßen und eher in der Psyche denn in der Sache begründbaren Selbstbewusstsein ob der Zuverlässigkeit (und also Relevanz) ihrer Vorhersagen.
Diese Pandemie legt Probleme und Schwachstellen in unseren »Betriebssystemen« offen. Es gab diese Schwachstellen auch vor diesem Virus, doch dieses Virus lässt unsere Schwächen (und die Stärken, die zu solchen umgedreht werden könnten) extra schmerzhaft deutlich werden.
Wo wir sind
Es ist vielleicht nicht unklug, im Angesicht eines Problems zunächst einmal zwei Schritt zurück zu treten und zu überlegen, wie wir dahin gekommen sind, wo wir sind – daraus könnte guter Rat erwachsen, wohin wir weiter gehen möchten.
Mit der Frage nach Grund und Ursache solcher Schnitzer meine ich nicht »Verschwörungstheorien« (siehe auch das Video: »Alles Verschwörung?«). Ich meine: Was stimmt im »Betriebssystem Kultur« nicht, was sind die »Bugs«, die zu solchen teils entgegengesetzten(!) Fehlern führen?
Das Nicht-Denken und auf Gefühl statt Fakten basierende Denken, das zuerst zur Gefahr durch Ignorieren des anstehenden Problems führt – und dann wieder zu konkretem Leid durchs Ignorieren anderer Probleme – es ist selbst Folge und Manifestation noch tiefer liegender Probleme im »kulturellen Betriebssystem«.
Was müssten wir reparieren, damit wir das reparieren, was dazu führte, das wir jetzt diese Probleme haben? Und weiter, gegeben die kaum mehr zu leugnende Verwüstung, die von Staatsfunk und linksgrünem Dummheitskult an deutscher Debatte und damit am politischen Handeln angerichtet wurde: Wie lassen sich Teile des ursächlichen Denkens, der Kultur, neu und besser aufsetzen – ohne selbst darin tyrannisch oder propagandistisch zu werden, und selbst eine Medizin auszuteilen, die gefährlicher als die Krankheit ist?
Täglich und praktisch
»Dies köchelt seit April, und es beginnt fertig zu werden«, so schrieb Linus Torvalds damals, 1991.
Nun, es war der Ansatz neuer Lösungen, der da köchelte, wenn auch aus echter und akuter Frustration geboren.
Wir werden an unsere Wurzeln zurück gehen müssen, und wenn es jetzt noch nicht möglich ist, wenn es jetzt noch nicht notwendig erscheint, dann werden wir es morgen tun müssen, und gegeben den Schutt, der täglich neu aufgeschüttet wird, werden wir dann noch tiefer graben müssen. (Siehe dazu auch: »Wird unsere Kraft reichen, den Weg zurück zu gehen?« (16.8.2018))
Wenn wir die Fehler in unserem Denken nicht selbst reparieren, wer garantiert, dass die Geschichte nicht auch dieses Betriebssystem für obsolet erklärt?
Wir kennen es: Wir schalten unseren Computer oder unser Smartphone an, und plötzlich besteht das Gerät darauf, sich und sein Betriebssystem zu aktualisieren. Ach, kämen nur die Updates zu unseren inneren Betriebssystemen – als Land wie als Individuen – wenigstens halb so häufig wie die Updates auf unseren Computern und Smartphones!
Bei Computern ist es hilfreich, mal eben neu zu starten – bei Kulturen und Denkweisen wäre es ratsam, Fehler lieber erstmal zu reparieren!
Im Text »Künstliche Intelligenz und Mäusespeck« (2.4.2019) riet ich dazu, programmieren zu lernen. Heute rate ich es im übertragenen Sinn: Versteht euer Betriebssystem! Repariert euer Denken, wo es nachweislich nicht funktioniert. Am Ende gewinnt, noch immer, der Realitätssinn.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.