Viele Jahre ist es her, dass er und ich uns zum letzten mal gegenüber saßen. Es war bei Klaus Bresser in einer Runde von Phoenix, Oskar Lafontaine war dabei und eben Norbert Blüm. Es ging um die Verwechselbarkeit von Berufspolitikern, um Berufspolitiker versus Berufung Politik. Blüm wie Lafontaine, so sagte ich dort, würde praktisch jeder politisch Interessierte mit einem politisch eigenständigen Bild verbinden, weil sie nicht austauschbar wären wie die Masse der Berufspolitiker. Richard von Weizsäcker rief Bresser am nächsten Tag an, um ihm zu sagen, da wäre tatsächlich mal Wahres über die Parteien (und ihre Berufspolitiker) gesagt worden, die sich den Staat untertan gemacht hätten.
Norbert Blüm gehörte zu den ganz wenigen Politikern in Bonn, die ich mochte. Mit dem Wort Freundschaft habe ich früh gelernt, sparsam umzugehen, zu viele haben eine zu kurze Halbwertzeit.Typischer Weise waren die Politiker in Bonn, die ich gerne sah und sprach wie Blüm aus anderen Parteien, nicht der eigenen. Norbert Blüm mochte ich vor allem, weil er echt war und gerade heraus – ja und natürlich fröhlich und fröhlich natürlich. Davon gab’s schon in Bonn sehr wenige. In Berlin gibt es die Sorte gar nicht mehr: Einzelexemplare nur, wenn das Auswahlsystem des Parteienstaats mal versagt. Da Berufspolitiker vor diesem kein Leben außerhalb der beschützten Werkstatt Parteienstaat kennen gelernt haben, ist das in sich logisch.
Da die christliche Arbeitnehmerorganisation CDA auf der rechten Rheinseite in Königswinter organisatorisch beheimatet war, hatte Norbert Blüm früh das romantische Rheinhotel Schulz in Unkel kennen und schätzen gelernt. Dort saßen wir hin und wieder und philosophierten über Gott und die Welt. Dass wir beide Arbeiterkinder sind, war eine gute Grundlage. Aus der Perspektive schaut sich’s anders in die Welt als aus verwöhnten bürgerlichen Stuben.
Jemand mit seinem Lebenslauf vom Werkzeugmacher über nachgeholtes Abitur und Studium, Pfadfinderisches, Jesuitisches und IG-Metall war auch schon in Bonn recht einmalig, in der Berliner Superblase der Berufspolitiker des Parteienstaates gibt es so jemanden nicht einmal mehr in Ansätzen.
Ich hatte die Friedrich-Naumann-Stiftung 1983 aus Bonn auf die Margarethenhöhe im Siebengebirge oberhalb von Königswinter gebracht – zwischen Petersberg, Ölberg und Drachenfels. In den Margarethenhof kam Norbert Blüm wiederholt. Der Koalitionswechsel 1982 hatte den Auszug des größten Teils der Sozialliberalen aus der FDP zur Folge. Das machte etliche Plätze in den mittleren und oberen Rängen dieser Partei frei, in die relativ junge Leute einrückten, für die das politische Bonn Terra Incognita war.
Hans-Dietrich Genscher hatte Ralf Dahrendorf darauf eingestimmt, ihm als Parteivorsitzender nachzufolgen. Als die FDP wider allgemeines und Genschers eigenes Erwarten bei der vorgezogenen Bundestagswahl 1983 nicht nur über die fünf Prozent kam, sondern mit sieben recht klar, kam Genscher bei Dahrendorf nie mehr darauf zurück. Als Vorstufe war Ralf Vorstandsvorsitzender der Naumann-Stiftung geworden. Er fand meine Idee gut, den Neulingen auf den Stühlen der Landesvorsitzenden der FDP die ersten Schritte in Bonn leichter zu machen.
Norbert Blüm war der erste in einer längeren Serie, den ich mit einem Kreis von einem guten Dutzend im Margarethenhof zusammenbrachte. In der Sache waren politische Gemeinsamkeiten zwischen dem Herz-Jesu-Sozialisten und den ihrer Eigeneinschätzung nach Liberalen nicht existent. Aber menschlich ging das sehr gut und ohne Probleme. Sich gegenseitig politisch zu überzeugen haben beide Seiten nie versucht. Verstanden haben sie sich danach besser. Gesprächsfähigkeit ist ein wichtiges Gut in der Demokratie einer offenen Gesellschaft, die heute beide auf der Strecke bleiben könnten.
Jetzt rufen viele Blüm wenig Freundliches hinterher für politische Aktivitäten seiner späten Jahre und sein berühmtes: Die Rente ist sicher. Sicher ist sie, ja, sagte ich ihm einst, so lange niemand das System ändert, die Frage ist nur, wie hoch wird sie sein können. Ich lasse die Kritik anderer so stehen. Für mich zählt die Erinnerung.
Mit Norbert Blüm zu reden, war immer ein Gewinn. Mir hat er seine politische und philosophische Welt gut erklärt und insofern nahe gebracht. Ich denke gerne an ihn. Aus meiner Politikzeit wird er mir als einer von wenigen immer in guter Erinnerung bleiben. Bis später, Norbert.