Tichys Einblick
Immer neue Illusionen

Ostern auf der Insel des Wohlstands

Noch ist die Bevölkerung trotz lästiger Ausgangsbeschränkungen zufrieden. Die Illusion von Wohlstand ohne Arbeit hält, zumindest über die Ostertage. Frisch gedrucktes Geld macht es möglich.

In Frankfurt, der deutschen Stadt mit dem verkehrsreichsten Flughafen und Bahnhof,  zieht wieder ein Pferdefuhrwerk durch die Stadt. Es bringt den Frankfurtern den lebensnotwendigen Stoff, den Apfelwein. So wird das lokale Grundbedürfnis befriedigt, seit Apfelweinschänken geschlossen wurden. Es ist ein ruhiges, fröhliches Bild. So muss es zuletzt Anfang der 50er-Jahre ausgeschaut haben; die Straßen ohne Blech, sie wirken weit und sind fast leer. Nur die damals herumtollenden Kinder sind entweder nicht mehr da oder in Quarantäne. Kommt es wieder so – so idyllisch arm?

Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann erwartet nach Corona harte Verteilungskämpfe. „Machen wir uns nichts vor: Das wird eine harte Debatte geben, wer die Kosten für die Rettungspakte trägt“, sagte der Grünen-Politiker einer Sonntagszeitung. Letztlich werde die gesamte Bevölkerung dafür bezahlen: „Die meisten Menschen werden nach der Corona-Krise erstmal ärmer sein.“ Baden-Württemberg zum Beispiel spanne für fünf Milliarden Euro einen Schutzschirm, der Betrag sei binnen zehn Jahren zu tilgen. „Das heißt: Eine halbe Milliarde im Jahr muss im Haushalt anderswo eingespart werden. Das Geld fällt ja nicht vom Himmel.“ Er ist erstaunlich ehrlich.

Alles geht weiter wie bisher

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Bislang wurde eher die Erwartung vermittelt: Kurze Pause, dann weiter wie bisher. Corona, das ist bislang die Krise von Freiberuflern und Mittelständlern, die nicht schnell genug beim Ausfüllen staatlicher Förderanträge waren. Nur der Urlaub schien wirklich gefährdet; so warnte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen davor, im Juli oder August Urlaub zu planen. Zu riskant seien solche Vorhaben. Tatsächlich: Die Anzahlung könnte allzu leicht in einem Gutschein des Reiseveranstalters enden, für den wiederum der Staat die Garantie übernimmt. Jeden Tag also dutzendweise werden die Versprechen bestätigt und für immer neue Gruppen ausgeweitet: es wird nicht so schlimm.

Glaubt man dem, dann sind wir dem Lebensideal der linksgrünen Wohlfahrtswirtschaft ziemlich nahegekommen: Wir arbeiten nicht und leben doch, und das ziemlich gut. Nur etwas lokal eingeschränkt, aber auch noch nicht wirklich abhängig von dem Wenigen, was so Pferdefuhrwerk bringt.  Abgesehen von den völlig überlasteten Bereichen wie Gesundheitsversorgung und Lebensmittelhandel ist zwar das wirtschaftliche Leben eingeschränkt, aber der Mangel kommt noch nicht an.

Zu Ostern gibt es Erdbeeren. Auch ansonsten ist die Lebensqualität nicht schlecht – außerhalb Bayerns, wo besonders strenge Regeln herrschen, und auch da gibt es Schlupflöcher vor der Polizei, die eifrig Strafmandate fürs Zusammenrotten von drei Personen schreibt. Wir bummeln täglich mittags durch den Stadtpark im Frühlingsgrün, statt uns im Morgengrauen in überfüllte S-Bahnen zu zwängen. Nur in Norddeutschland, in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, sind Küsten und Inseln gesperrt, gelten Frischlufthungrige als Superspreader – hier paart sich jeweils ein autoritäres Staatsverständnis mit sozialistischem Neid, der Ferienhäuser der Anderen als kapitalistische Dekadenz verurteilt und jeden Schritt und Tritt genehmigungspflichtig machen will. Aber auch dort noch erlaubt: Ein Bier auf dem sonnenwarmen Balkon statt missmutige Gesichter im Feierabendstau.

Der Spargel könnte knapp werden und ist teuer, aber Erntehelfer aus Osteuropa werden eingeflogen – schnell haben sich „Flüchtlinge” in den Sozialstaat integriert, der Arbeit nur für Andere vorsieht und Leistungen für Alle ausschüttet. Wahre Not sieht anders aus. Die Fabriken stehen, aber die Einkommen fließen. Bei vielen als Kurzarbeitergeld eingeschränkt, im öffentlichen Dienst uneingeschränkt als wäre nichts geschehen; der Dschungel staatlicher Transfers grünt, jeden Tag etwas üppiger. Es ist ein Klassenkampf, bei dem der klassische Mittelstand verliert, der öffentliche Dienst seine Position festigt. Es reicht auch für milliardenschwere Zusagen an Italien und Spanien. „Solidarität” fällt leicht, wenn sie aus den vollen Taschen eines Staates bezahlt wird, der Geld aus sich selbst schöpft.

Der Staat lenkt, denkt, zahlt

Der Finanzminister verspricht, der Staat habe gut gewirtschaftet, der Wirtschaftsminister will jeden Arbeitsplatz retten, der Sozialminister gibt den gütigen Onkel, der Bedürftigen gibt. Wir sind im Paradies angelangt, wir arbeiten nicht und leben doch. Ich arbeite ohnehin vom heimischen Büro aus. Nur diese Masken vor Mund und Nase stören. Wir sind im Paradies angelangt, wir arbeiten nicht und leben doch. Von mir aus könnte es so bleiben, auch aus der Sicht Vieler, die diesen Zustand für das Klima beibehalten wollen. Der Staat lenkt, denkt, zahlt alles. Irgendwie. Nicht nur unsere private, auch die öffentlichen Kassen haben sich von Zusammenhängen entkoppelt, denen wir bislang folgten: Dass nicht irgendwer, sondern der Bürger alles bezahlt. Und so ruhen wir in einer schillernden Blase der Wohlstandsillusion.

Aber natürlich wird auch diese Blase platzen. Der Finanzminister hat nicht „gewirtschaftet”, sondern nur abkassiert. Die Zahl derer, von denen noch etwas zu holen ist, schrumpft täglich. Geld wird gedruckt, aber die Währung hat sich einen Doppelvirus von Vertrauensverlust und künftiger Inflation eingefangen. Milliarden an Sparvermögen fliehen aus Spanien und Italien nach Deutschland, halten hier den Dax und Immobilienpreise auf vergleichsweise hohem Niveau. Die EZB transferiert die Milliarden zurück in die südlichen Staatskassen, die es über Anleihen bankrotter Firmen wieder in die Fläche verteilt. Der Euro ist keine Währung mehr, sondern eine transnationale Umverteilungsmaschine. Die „New Monetary Theory“, das neue Perpetuum Mobile der Zeitgeistökonomen soll Wirtschaft über frisch gedrucktes Geld weiter am Laufen halten. Das funktioniert, solange alle, die das neue Geld in Händen halten, ihm noch vertrauen. Wie lange dauert es noch, bis diese monetäre Illusion platzt? Die Staatsfinanzen sind zerrüttet. Viele Unternehmen werden nicht überleben. Freiberufler, Handwerker, Händler und Unternehmer stehen trotz kurzfristiger Hilfen vor den rauchenden Ruinen ihrer Existenz, ihre Altersversorgung wurde pulverisiert, je länger die Krise dauert, um so aussichtsloser die Lage. Niemand soll glauben, dass irgendein Staat, eine Gesellschaft so weitermachen kann. Wir essen längst die Ernten der Zukunft auf, den Rest verteilen wir.

Die Umverteilungs-Illusion

Es ist ja nicht so, dass das nicht auch andere verstehen. Längst sehen die üblichen Umverteiler ihre Zeit gekommen: Der evangelische Bischof, der reich auf dem Sockel seiner Kirche thront, will anderen am Gürtel fummeln und ihn enger schnallen, den eigenen aber nicht. Liedermacher wie Konstantin Wecker sind verdrossen, dass ihre Finca auf Mallorca verwaist und redet von Umverteilung. SPD, Linke und Grüne sind sich ohnehin einig – sie träumen von einer grüne „Pandemie-Wirtschaft“, in der sie das Kommando übernehmen. Kein Tag ohne Steuererhöhungsvorschläge, die immer nur eines bewirken: Die Verunsicherung erhöhen. Diejenigen, die investieren sollen, hören das auch. Warum das letzte Eigenkapital in ein Unternehmen stecken, das anschließend ohnehin Bankrott geht? Warum den Geschäftskonkurs durch Privatinsolvenz ergänzen, warum investieren, wenn deren Ertrag weggesteuert wird? Dann lieber die „Angestellten dem Staat übergeben“, wie mir einer spöttisch geschrieben hat. Die Umverteiler werden feststellen: Es gibt immer weniger davon, denen man in die Tasche greifen kann. Wer keine Miete zahlt, schafft Ruinen. Auf die Wohlstandsillusion folgt die Umverteilungsillusion.

Es geht schon weiter, irgendwie

Wir werden die Krise überwinden – aber die Wirtschaft wird nicht anspringen auf Knopfdruck wie der Küchenmixer. Es wird weitergehen, aber anders, zunächst mal bescheidener. Die übertourig rasende Hochleistungsmaschine der deutschen Wirtschaft muss robuster werden; sie kann nicht jeden Cent aus der Globalisierung herauslutschen, just in time. Die Risiken wurden abgewälzt. Werden sie zurückgeholt schrumpft der Wohlstand. Vieles wird teurer werden durch Vorratshaltung, Rücknahme der Arbeitsteilung. Jobs werden verschwinden, denn die Veredelungswirtschaft der Deutschen, die weltweit billig Komponenten einkauft, teuer zusammensetzt und verkauft, wird so einfach nicht mehr funktionieren. Warum nicht gleich die wieder komplexen Fabriken dahin, wo Arbeitskräfte billig sind, wenn man nicht mehr so billig importieren kann? Der Preis aber wird entscheidend sein, denn auch die Anderen, die Kunden, sind ärmer geworden.

Wir haben es jetzt in der Hand, wie hart wir in der Welt von Knappheit aufschlagen, in der Arbeit nicht nur der Selbstverwirklichung dient, sondern der Existenzsicherung, und in der das Geld nicht von einem Dritten kommt. Wir haben es in der Hand, wie wir den Neustart gestalten: Mit noch mehr Staatswirtschaft werden wir nur ärmer. Besser ist es, wir setzen auf Initiative, Einfallsreichtum, unternehmerisches Handeln. Werden diejenigen, die wirtschaften, mit noch mehr Steuern erdrückt und mit Regulierung erdrosselt, gibt es den früheren Wohlstand für Alle nicht mehr. Denn er ist kein Dauerzustand, kein Geschenk. Er ist erwirtschaftet.

Das Apfelwein-Fuhrwerk von Frankfurt ist selbstverständlich auch subventioniert; aus einem städtischen Programm, das CO2 einsparen will. Vielleicht schaffen wir den direkten Übergang von der Pandemie-Wirtschaft in die CO2-freie Wirtschaft? Wohlstand braucht ja keiner, Hauptsache die Autos sind weg.

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