Der Haushalt der Stadt Darmstadt wird wie der der meisten Kommunen in Deutschland die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Virus- Pandemie total zerfetzt. Das deuten schon Zahlen an, die der Stadtkämmerer in dem Beitrag des Darmstädter Echos nennt. Darmstadt soll an dieser Stelle als Beispiel dafür dienen, in welchen großen Nöten fast alle Gemeinden über Nacht erstmalig oder zusätzlich stecken. Einnahmen brechen weg, Ausgaben steigen durch den Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Virus Pandemie erheblich.
Gewerbesteuer
Der Deutsche Städtetag spricht ganz aktuell von mehr als 10 Prozent weniger Einnahmen der Kommunen aus der Gewerbesteuer. Das hört sich vom Darmstädter Stadtkämmerer ganz anders an.
Kaum ein Darmstädter Unternehmen wird 2020 gewerbesteuerpflichtige Gewinne erzielen. Bereits für das erste Quartal 2020 erfolgte Gewerbesteuervorauszahlungen werden dann spätestens 2021 von den Gemeinden an die Unternehmen zurückgezahlt werden müssen. Mit Stundung seitens der Kommune hat das nichts zu tun.
Einkommensteuer
Für 2020 sind in Darmstadt 103 Mio. Euro fest eingeplant. Der Stadtkämmerer befürchtet ein Minus von 10 Prozent, also 10 Mio. Euro. Das ist in der Tat bei einem Haushaltsvolumen von 738 Millionen nur ein kleines Loch. Das ist aber viel zu gering geschätzt.
Das Einkommenssteueraufkommen (einschließlich des Körperschaftssteuer-Aufkommens) in Deutschland kann sich um grob geschätzt 30 Prozent verringern, entsprechend anteilig auch die Zuweisung für Darmstadt. Also etwa 30 Millionen Euro anstatt 10 Millionen Euro Steuerausfälle 2020 in Darmstadt. Wenn der Stadtkämmerer von 50 bis 75 Prozent Steuerausfällen bei der Gewerbesteuer spricht, dann gilt das genau für die Körperschaftssteuer als Einkommenssteuer der Unternehmen.
Der Gründe für die erschreckend höhere Ausfallschätzung hier an dieser Stelle liegen in der Steuersystematik.
Die geht davon aus, dass die Einkommen (der Bürger) und Gewinne (der Unternehmen und Selbständigen) im Jahre 2020 genauso hoch sein werden wie in dem erfolgreichen Jahr 2019. In dieser Höhe sind dann Vorauszahlungen von den Finanzämtern festgelegt worden. Lediglich die endgültigen Steuerzahlungen, die über die 2019 geleisteten Vorauszahlungen hinausgehen, stehen im Jahre 2020 für die öffentlichen Haushalte zusätzlich zur Verfügung. Da wird aber 2020 wenig hereinkommen, weil die Steuerpflichtigen die Abgabe der Steuererklärung für das Jahr 2019 im Jahre 2020 solange wie möglich bis hin zum Jahresende hinausziehen, wenn sie mit Nachzahlungen für 2019 rechnen müssen.
Viel gravierender ist aber, dass die sofort im großen Stil von den Unternehmen und Selbständigen die Herabsetzung der Steuervorauszahlungen für das Jahr 2020 bei den Finanzämtern beantragt werden, wenn schon abzusehen ist, dass 2020 kein oder viel weniger Gewinn erzielt wird. Das Gleiche gilt für einkommenssteuerpflichtige Privatpersonen, wenn ihre Einkommen erheblich sinken. Auch die Lohnsteuer ist Einkommenssteuer. Wenn die Löhne sinken und durch steuerfreies Kurzarbeitergeld die Nettolohnzahlungen von der Arbeitsagentur übernommen werden, bekommen die öffentlichen Hände sofort weniger Lohnsteuern von den Arbeitergebern überwiesen, und gleichzeitig gibt es weniger Einkommenssteuer-Vorauszahlungen von dem Steuerpflichtigen, wenn die Lohneinkünfte nur ein Teil der Einkünfte sind. Fazit: Berechtigt unterlassene Steuervorauszahlungen sind keine Steuerstundungen.
Gebühren
Die Ausfälle an Gebühren für städtische Leistungen schätzt der Darmstädter Stadtkämmerer nicht als Summe, sondern deutet auch da einen erheblichen Rückgang an. So sollen nach seinen Aussagen gegenüber dem Darmstädter Echo ab April keine Gebühren für die städtischen Kitas mehr erhoben werden, was 200.000 Euro im Monat ausmachen würde ( = 1,8 Mio. Euro bis Ende 2020). Die gleichgerichtete Entlastung freier Träger von Kitas und Hortbetreuung bedeuten 800.000 Euro weniger im Monat ( = 7,2 Mio. Euro pro Jahr) für die Stadtkasse. Zusammen wären das 9 Mio. Euro für das restliche Haushaltsjahr 2020. Im Gegensatz zu Steuereinnahmen-Schätzungen, an denen sich kaum noch etwas ändern wird, hängen die hier angestellten Schätzungen des Gebührenaufkommens davon ab, wann die im Laufe des Jahres wieder erhoben werden
Zuweisungen, Leistungsentgelte, Transferleistungen
Mögliche weitere große Einnahmeausfälle bei dem bisherigen Haushaltsansatz für die genannten Positionen in Höhe von rund 300 Mio. Euro nennt der Stadtkämmerer im Gespräch mit dem Darmstädter Echo zu Recht noch nicht.
Nur nach Informationen der „Lieferanten“ solcher Einnahmen und einer folgenden sorgfältigen und detaillierte Datenanalyse durch Exekutive (Magistrat der Stadt Darmstadt) und Legislative (Haupt- und Finanzausschuss der Darmstädter Stadtverordnetenversammlung) im Lichte der aktuellen Entwicklungen ist eine glaubwürdige Neuplanung möglich. Gerade solche Einnahmen können nun mal nicht konkret festgelegt, sondern nur glaubwürdig im Zeichen der wirtschaftlichen Krise, ausgelöst durch die Bekämpfung der Corona-Virus-Pandemie, geschätzt werden.
Stadtwirtschaft
Darunter wird hier die wirtschaftliche Betätigung der Stadt verstanden. Darmstadt hat eine sehr umfangreiche kommunale Stadtwirtschaft, die in der Vergangenheit positiv in der Summe den Haushalt der Stadt beeinflusst hat. Sowohl die Rentabilität als auch die Liquidität der Darmstädter Stadtwirtschaft wird in der Summe sinken, was die Darmstädter Haushaltsführung auch negativ beeinträchtigen wird. Leere Straßenbahnen der städtischen Verkehrsbetriebe oder Mietausfälle bei den städtischen Baugesellschaften sollen an dieser Stelle nur als Stichwörter genannt sein. Vor allem als Liquiditätspuffer – in der Vergangenheit bei „Engpässen“ in der Darmstädter Stadtkasse geschickt genutzt – wird die Stadtwirtschaft weitgehend ausfallen, möglicherweise müssen einige städtische Unternehmen sogar Liquiditätshilfen benötigen, um Insolvenzen zu vermeiden.
Ausgaben
Weil auch da eine Analyse der Daten im Lichte der aktuellen und absehbaren Entwicklungen notwendig ist, um die Ausgabenentwicklung abzuschätzen, kann nur allgemein gesagt werden, dass die Gesamtausgaben gegenüber den Planansätzen steigen werden. Da ist die vom Kämmerer erwähnte Haushaltssperre „von 10 Prozent bei den Zuweisungen“ nur wenig Ersparnisse bringende Ausgabenbremse, denn die meisten Zuweisungen und Zuwendungen sind gesetzlich oder vertraglich festgelegt und damit nicht kurzfristig zu kürzen. Außerdem sind bei den freiwilligen Zuwendungen viele Ausgaben politisch begründet, und an vielen von ihnen wird im Anbetracht der Kommunalwahl in Darmstadt im Frühjahr 2021 kaum gerührt werden. Bei kommunalen Ausgaben ist ein neuer Planungsansatz notwendig, bei dem alle Ausgaben auf den Prüfstand gestellt werden müssen. Die entscheidende Frage auch für Städte und Gemeinden ist dann: Welche Ausgaben sind systemrelevant oder nicht systemrelevant?
Ausblick
Die Entscheidung der Darmstädter Stadtverordnetenversammlung, den Haupt- und Finanzausschuss als Haushaltsausschuss parallel zu seiner umfangreichen Arbeit auch noch als Ersatzparlament einzusetzen, ist im Grunde unverantwortlich. Nur zwei oppositionelle Fraktionen haben das abgelehnt und stattdessen hat eine Fraktion als „Notparlament“ ein Gremium der Fraktionsvorsitzenden vorgeschlagen, das ähnlich, wie es im Bundesrat geregelt ist, die jeweiligen Stimmzahlen der einzelnen Fraktionen bündelt. Das wurde ohne jede Begründung von den „Regierungsparteien“ abgelehnt. Dabei wurde es während der gesamten Legislaturperiode nicht anders gehandhabt, weil allen Magistratsvorlagen von den Koalitionsparteien geschlossen zugestimmt wurde, während Anträge von Oppositionsparteien mit wenigen unbedeutenden Ausnahmen von der Koalitionsmehrheit geschlossen abgelehnt wurden.
Trotz der drängenden Probleme und daraufhin notwendigen kurzfristigen Entscheidungen hat das Darmstädter Notparlament, der Haupt- und Finanzausschuss, jetzt vier Wochen Pause.
Das eigentliche Darmstädter Stadtparlament als parlamentarisches Spiegelbild des Magistrats könnte dagegen wahrscheinlich erst wieder am 1. September 2020 tagen. Es bleibt zu hoffen, dass schon bald wieder die Stadtverordnetenversammlung tagen kann und sich dadurch der Haupt- und Finanzausschuss (Haushaltsausschuss) auf seine extrem umfangreiche und schwierigen Aufgabe konzentrieren kann, dem Magistrat der Stadt Darmstadt dabei zu helfen, eine drohende Insolvenz zu verhindern.
Dieter Schneider und Günter Zabel