„Man muss sehr vorsichtig sein, wenn es irgendwelche Nachrichten aus China gibt.“
(Chan Chang-Chuan, Dekan der Hochschule für Gesundheitswesen Taiwan – im Interview mit der Deutschen Welle, 30. März 2020)
Den Namen COVID-19 gibt es noch gar nicht, als im Dezember 2019 die ersten Berichte über eine mögliche neue Lungenerkrankung auf dem chinesischen Festland die abtrünnige Insel Taiwan erreichen. Es gibt überhaupt keinen Namen dafür.
Aber die Regierung in Taipeh hat so ihre Erfahrungen mit dem großen Bruder. 2002 war in China das SARS-Virus ausgebrochen – auch das der Beginn einer weltweiten Epidemie. An deren Ende im Jahr 2003 war (außer dem Ursprungsland China) mit 346 Infizierten und 37 Todesopfern keine Nation schlimmer betroffen als Taiwan.
Rückblickend wirken diese Zahlen, im Vergleich zur aktuellen Corona-Pandemie, geradezu unwirklich niedrig.
Die 17 Jahre seit der traumatischen SARS-Krise hatte man in Taiwan dazu genutzt, um sich besser auf eine mögliche neue, ähnliche Bedrohung vorzubereiten. Dabei hatte man aus der Analyse der damaligen Ereignisse eine zentrale Schlussfolgerung gezogen: selbst und direkt so viele authentische Informationen zu sammeln wie nur möglich.
Nach den Erfahrungen mit Pekings Öffentlichkeitspolitik (besser: Regierungspropaganda) 2002/2003 wollte man nie wieder von Daten abhängig sein, die sich dann später als aus politischen Gründen geschönt oder auch glatt gefälscht erweisen.
Schon Ende 2019 – da gibt es über die neue Krankheit mehr Gerüchte als Berichte – wollen taiwanesische Wissenschaftler deshalb aufs Festland reisen, um sich die Sache vor Ort selbst anzusehen. China lässt die Forscher nicht einreisen.
„Da wussten wir: Das ist ernst,“ sagt Chan Chang-Chuan, Dekan der Hochschule für Gesundheitswesen an der Nationalen Universität Taiwan. Schon zum Jahreswechsel 2019/2020 verbietet Taiwan deshalb alle Reisen von und nach China.
Zum selben Zeitpunkt, am Genfer See: Am Sitz der Weltgesundheitsorganisation WHO, gehen Analysen – und Warnungen – aus Taipeh ein. Aber offiziell nimmt die WHO diese Informationen nicht zur Kenntnis. Denn Taiwan wird von der WHO nicht anerkannt.
Dafür hat China gesorgt. Das bevölkerungsreichste Land der Erde sieht Taiwan als abtrünnige Insel und regulären Teil der großen Volksrepublik an. In allen internationalen Organisationen dieser Welt übt Peking riesigen politischen Druck aus, um eine offizielle Anerkennung Taiwans als souveräner Staat zu verhindern.
Die WHO hat sich dem chinesischen Druck gebeugt. Taiwan wird von der Weltgesundheitsorganisation nicht anerkannt, seine Informationen werden höchstens inoffiziell verarbeitet, meistens aber schlicht ignoriert.
So auch bei der neuen Krankheit, die wir heute als COVID-19 kennen.
In der Frühphase – als China noch das alleinige Epizentrum der Corona-Krise ist und das Virus von dort aus überallhin exportiert wird – stützt sich die WHO allein auf Angaben aus Peking.
Am 14. Januar sieht das dann so aus:
„Vorläufige Untersuchungen durch die chinesischen Behörden haben keinen eindeutigen Beweis für eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung des neuen Coronavirus (2019-nCoV) ergeben, das in Wuhan/China entdeckt wurde.“
Was von den offiziellen Daten aus China zu halten ist, zeigt sich nur sechs Tage später: Am 20. Januar kann das Offensichtliche nicht mehr länger geleugnet werden. Peking räumt ein, dass das neue Virus eben doch von Mensch zu Mensch übertragen wird. Allerdings glaubt niemand, dass die chinesische Führung das erst zu diesem Zeitpunkt tatsächlich weiß – vielmehr gibt sie es erst zu diesem Zeitpunkt tatsächlich zu.
Zur Erinnerung: Taipeh hatte die WHO schon Ende Dezember 2019 (!) auf die Wahrscheinlichkeit einer Mensch-zu-Mensch-Übertragung ausdrücklich hingewiesen. Doch die Daten und Vorschläge aus Taiwan – dem weltweit bei der Eindämmung der Seuche wohl erfolgreichsten Land überhaupt – werden am Genfer See konsequent ignoriert.
Die WHO hat alle nötigen Informationen, aber sie nutzt sie nicht.
Obwohl also wesentlich bessere Daten aus Taiwan schon längst zur Verfügung gestellt wurden, stützt sich die WHO allein auf die offiziellen Daten aus China – von denen selbst Peking mittlerweile zugibt, dass sie falsch sind.
„Wenn Sie falsche Daten haben, treffen Sie falsche Entscheidungen,“ stellt Chan Chang-Chuan nüchtern fest. Und so dauert es ewig, bis die WHO zumindest gewisse Reisebeschränkungen empfiehlt (die in Taiwan schon längst maßgeblich dabei geholfen haben, die Ausbreitung des Virus einzudämmen). Es dauert noch länger, bis die Organisation die Krankheit als Pandemie einstuft.
Die WHO bekommt vom deutschen Steuerzahler derzeit 30 Millionen Euro jährlich. Wie viel mehr die Organisation an Politik interessiert ist als an Gesundheit, zeigt ein sehr kurzes Interview, das eine taiwanesische Journalistin mit dem stellvertretenden WHO-Direktor Dr. Bruce Aylward führte – oder besser: zu führen versuchte.
Der Mann ist Arzt und war Leiter der gemeinsamen Forschungsgruppe von WHO und China zu COVID-19.
Wie viele Menschen hat dieser politische Eiertanz wohl das Leben gekostet?